HIERHIN, ATEM!
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Hierhin, Atem, steck mich an,
send aus deiner fernsten Ferne mir
Wellen Lichts
Willkommen Armenleutevater
Willkommen Mundschenk
Willkommen Herzensjäger
Bester Tränentrockner,
Lieber Seeleinwohner,
Mein Freund, mein Schatten
Einmal Ausruhn
für Grübler und Gehetzte, für
Verkrampfte ein Aufatmen bist du.
Unmöglich schönes Licht,
überström den Abgrund
meines Herzens, dir so vertraut.
Gott bist du, ohne dich
ist alles Nacht und Nebel,
Grausamkeit, Schuld,
aber du machst reine.
Verwelkt meine Blüte – gib Wasser,
Salb meine Wunden.
Ich sage dir ja, tu nein.
Vergilt meinen Zweifel mit Freundschaft
Siebenmal tausendmal
Nichts bin ich ohne dich.
Tot will ich zu dir hin.
Dann werd‘ ich lachen
Huub Oosterhuis: "Veni, Sancte Spiritus"
(dt. Übersetzung: Alex Stock)
Beim Begräbnis von Philipp Harnoncourt (1931–2020) in Grundlsee wurde – mit Hubert Gaisbauer, Bertl Mütter, Peter Ebenbauer, Barbara und Johannes Rauchenberger die Idee geboren, zu Pfingsten 2021 in der Herz-Jesu-Kirche wieder eine Pfingstvigil zu feiern. Zehn Jahre zuvor hat dieser große Liturgiewissenschaftler anlässlich seines damaligen 80. Geburtstag die Kunstpreise "1+1+1=1 Trinität" in Bildender Kunst und Literatur gestiftet. Er vergab zudem fünf Kompositionsaufträge und eine Tanzpferformance. Das KULTUM war damals der fruchtbare Austragungsort dieses außerordentlichen Ereignisses. Seither hatte sich Philipp Harnoncourt in seinem letzten Lebensjahrzehnt der Renovierungsarbeiten der Heiligen-Geist-Kapelle in Bruck an der Mur gewidmet, die am Tag nach seiner Beerdigung mit einer Improvisation von Bertl Mütter eröffnet wurde.
An jenem Symposium zur Trinität 2011 war auch ein zweiter Gast zugegen, dessen fünfter Todestag sich am 17. Juli 2021 jährt: Der Bildtheologe Alex Stock (1937–2016), Autor der 11-bändigen Poetischen Dogmatik. Er war mein großer Lehrer. Wie Harnoncourt hat auch er buchstäblich bis zum Schluss gearbeitet. Der letzte Band seiner Ekklesiologie (über die Zeit) erschien wenige Tage vor seinem Tod.
Von ihm stammt das Motiv der heurigen Pfingstvigil – in einer Zeit, wo es gefährlich geworden ist, einzuatmen, weil in ihm das gefährliche Virus sein könnte, das die Welt seit mehr als einem Jahr immer wieder zum Stillstand gebracht hat.
"HIERHIN, ATEM!" So lautete schon ein frühes Büchlein von Alex Stock, in dem dieser sich mit der Poesie des niederländischen Theologen und Dichters Huub Oosterhuis auseinandergesetzt hat. Dieser sprachmächtige Theologe, der viel darauf setzte, Theologie in Poesie zu übertragen, wurde von der neokonservativen Welle der Katholischen Kirche in den Niederlanden ausgebremst und gleichsam mundtot gemacht - wie auch Alex Stock von der Erzdiözese Köln, der vom damaligen Kardinal 20 Jahre lang ein Sternchen verpasst bekam: "Von der Katholischen Kirche nicht anerkannt."
Nun, wo die Kirche dort immer mehr darniederliegt und Menschenmassen aus ihr fliehen, jetzt, wo der Kirche vor Ort - nicht zuletzt durch die Coronakrise extrem beschleunigt - beinahe die Luft auszugehen droht, gilt es, mit der Glut des Feuers dieser großen Theologen den Ruf hinauszuschreien: "HIERHIN, ATEM!" Kein Atem der Angst, kein Atem, der diese Krankheit auslöst, sondern ein Atem, von dem erwünscht wird, dass er einen anstecken soll - "aus der Fernsten Welle Lichts".
Denn, wie schön ist doch dieser Willkommensgruß an den Heiligen Geist:
Willkommen Armenleutevater
Willkommen Mundschenk
Willkommen Herzensjäger
In den Psalmenübertragungen des Dichtergelehrten Arnold Stadler, die in der Pfingstvigil zu hören sind, heißt es etwa:
Wenn ich rufe,
höre mich doch! Gott, du mein Retter!
Als ich am Ersticken war,
hast du mich beatmet, hast du mich
wiederbelebt.
Du warst mein Atem.
Hör mich also noch einmal,
verzeih die Bettelei und höre mich an!
Die Kirche war in der Corona-Pandemie, sagen viele, zu schweigsam. Ihr ist die Sprache ausgangen. Nicht allen. Viele haben den Mund aufgemacht – gegen diese Regierung, die den Flüchtenden die kalte Schulter zeigte. Sie wurde, wie wir später erfahren haben, dafür hämisch bedroht und lächerlich gemacht.
Ihr Gewaltmenschen!
Wie lange noch wollt ihr mir ans Leben? und
warum lebt ihr zum Schein,
warum euer Lügenleben?
Auch dieser Psalm ist in der Pfingstvigil zu hören.
HIERHIN, ATEM! Wir lassen die Kunst sprechen, aber auch die alten Texte, auch das Gebet. Die Anrufung ist so stark wie selten zuvor – denn vieles, sehr vieles liegt darnieder. Umso stärker dieser Zu-, Aus-, Anruf! Und: Wir werden wieder singen.
Johannes Rauchenberger
Zu den Kompositionen der Pfingstvigil 21
Margret Kreidls Gedichte »EINLEUCHTEND WEISS« bilden die Grundlage dreier neuer Kompositionen, die im Rahmen der Pfingstvigil in der Grazer Herz Jesu Kirche am 21. Mai zur Uraufführung kommen werden. Das KULTUM hat die KomponistInnen Sanziana-Cristina Dobrovicescu, Clemens Nachtmann und Antonis Rouvelas beauftragt, jeweils ein Werk für die Mezzosopranistin Klaudia Tandl und das Ensemble airborne extended zu schreiben und die Texte Margret Kreidls darin einzuweben.
Sanziana Dobrovicescu lässt lässt ihre vertonte Textpassage aus einem graduell überblasenen Ton der Bassflöte heraus keinem. Zuerst entwachsen dem atmenden Geräusch der Flöte die Wörter nur fragmentarisch. Ohne ihren semantischen Zusammenhang gleich preiszugeben, treten die Silben und Laute in eine kammermusikalische Interaktion mit den anderen Klängen der Flöte, Harfe und des Cembalos. Später werden die Aussagen klarer, wenn es heißt »Die Buchstaben haben eine Gestalt. Die Gestalt. Das Geräusch. Es zirpt. Es blüht« stimmen drei SpielerInnen wortwörtlich in einem rhythmischen Unisono überein. Die neue Komposition lotet dabei in einem fragilen Zusammenspiel aus sprachänhlichen Instrumentalklängen und zum Instrumentalton gewordenen Textbausteinen die Schattierungen dessen aus, was wir gemeinhin als »Vertonung« subsummieren. Ein fein gesponnenes Stück Kammermusik aus der Feder einer Komponistin, die in Bukarest Violine und Komposition studierte und zurzeit in der Kompositionskasse von Franck Bedrossian an der Grazer Kunstuniversität ihre Studien komplettiert.
Für seine Komposition »›Einleuchtend Weiß‹, Fragment« nach Texten von Margret Kreidl wählte der Grazer Komponist Antonis Rouvelas die Besetzung Mezzosopran, Flöte und Blockflöte. Für die Aufführung des Neuen Stückes wird in der Partitur ein Raum mit möglichst langem Nachhall empfohlen, sodass die drei Stimmen möglichst gut miteinander verschmelzen können. Im Amalgameren instrumentaler Farben ist auch eine kompositorische Strategie zu erkennen die sich mit einem bekannt gewordenen Zitat Helmut Lachenmanns auf den Punkt bringen lässt: »Komponieren heißt: Ein Instrument bauen.« (Helmut Lachenmann, Über das Komponieren, in: MusikTexte, Heft 16, Köln, Oktober 1986, S. 11). In der Komposition Antonis Rouvelas' schälen sich aus dem legierten Material immer wieder kleine solistische Fenster heraus, die den Blick auf den Text frei legen und semantische Aspekte des Klanggeschehens in den Lichtkegel der Wahrnehmbarkeit rücken. Antonis Rouvelas hat bei Beat Furrer Komposition studiert und arbeitet zurzeit an seiner Doktorarbeit an der Universität von Thessaloniki.
Clemens Nachtmann kam 2004 über ein DAAD-Postgraduiertenstipendiums nach Graz, wo er zunächst bei Beat Furrer Komposition studierte und ab 2005 an der Kunstuniversität musiktheoretische Fächer unterrichtete. Sein Interesse gilt der Musik wie der Philosophe gleichermaßen. Er publizierte zahlreiche Aufsätze zur Kunst und nahm zu gesellschaftstheoretischen Fragen Stellung – etwa in Schriften wie »Die Attraktivität der Barbarei. Plädoyer für eine positive Entgrenzung des Individuums« (bahamas Nr.57/2009). Zu Redaktionsschluss lag seine neue Komposition, die am 21. Mai zu hören sein wird, noch nicht vor.
Mit dem Ensemble airborne extended gastiert eine Formation in Graz, die sich in den letzten Jahre nicht nur in herausragender Weise für die Neue Musik-Szene verdient gemacht hat, sondern auch auch ganz wesentlich dazu beitrug, dass zahlreiche Kompositionen österreichischer KomponistInnen für diese recht untypische Besetzung aus Flöte, Blockflöte, Harfe und Cembalo entstanden. Das Ensemble wurde durch das NASOM-Programm des Außenministeriums (New Austrian Sound Of Music) gefördert und stand seither auf zahlreichen internationalen Bühnen. Die Mitglieder des Ensembles sind Elena Gabbrielli (Flöten), Caroline Mayrhofer (Blockflöten), Sonja Leipold (Cembalo) und Tina Žerdin (Harfe).
Die Mezzosopranistin Klaudia Tandl konnte hat sich in den letzten Jahren durch ihre herausragende Interpretationskunst nicht nur für zahlreiche KomponistInnen verdient gemacht, sondern auch einem breiteren Publikum Interesse und Begeisterung für die Neue Musik geweckt. Mit ihrer Lieddou Partnerin war sie bei mehreren internationalen Wettbewerben erfolgreich – in diesem Jahr erschien ihr erstes Soloalbum mit dem Titel »Schubert's Women« beim Label Gramola.