Wie Phönix...
Umbau
Zwischendurch waren es Bilder, die ebenso zeitlich wie vergänglich waren. Ein Johannes Nepomuk, dem der Sack überstülpt wurde – nur der Putto macht noch „Psst!“. Ein mit dem Presslufthammer aufgebrochener Kreuzgang, der Biennale-tauglich gewesen und als beste Kunstinstallation durchgegangen wäre, die je in diesen 45 Jahren hier gezeigt wurde. Ein wohl sechs Meter tiefes Loch mitten im Kreuzgang, der manche fragen ließ, ob man hier eine Tiefgarage (!) bauen wollte. Ein Treppenaufgang zur längst angelaufenen Ausstellung, der eben nicht zu betreten war, weil die erste Stufe zu hoch war. Am Ende wurde dann dieses kunstvoll geschmiedete Gitter mit einem Vlies zugehängt, als die Säulen geschliffen wurden und sich eine einzige Staubwolke über den Hof legte. Am Abend dann, bei Kunstlicht, wurde erst sichtbar, wie sich die Spinnweben ihren Platz verschafften. Dieses Jahr ist so absurd, dass selbst diese Bilder Teil des Drehbuchs der Geschichte werden könnten. Was ich sagen will: Hier bleibt nichts, wie es war. Der Minoritenorden und die Diözese reden wieder miteinander. Und wie! Als ob es die Bleischwere des vergangenen Jahrzehnts nicht gegeben hätte. Manchmal komme ich mir vor, wie Phönix, der aus der Asche, dem Staub steigt. Anders gesagt, ich bin, wie die Kleine Zeitung vor der Wiederöffnung schrieb,„in Frühlingsstimmung“. Dabei stehen wir kurz vor dem Herbst, wo wir ja eigentlich nicht wissen, ob wir das Programm, das wir verschoben oder neu konzipiert haben, auch tatsächlich machen „dürfen“. Hätte man eine derartige Frage jemals gestellt?
Der Corona-Lockdown hat das im Februar 2020 begonnene umfassende Renovierungsvorhaben der Minoritensäle und des Kreuzgangs des Minoritenklosters beschleunigt: Nach Ostern wurde – zeitlich etwas vorverlegt – auch mit der Renovierung des Kreuzgangs begonnen, dessen Niveau gesenkt wird und dessen charakteristische Säulen der franziskanischen Kreuzgangsarchitektur renoviert werden. Der Zugang zu den Minoritensälen wird derzeit völlig neu gestaltet, ebenso der Backstage-Bereich für die Künstler. Verbaute Sichtachsen wurden durchgebrochen, Niveaus abgegraben und vereinheitlicht. Der zweite Hof wird autofrei und steht ab Herbst 2021 auch für Veranstaltungen offen. Die Neuformatierung des Gebäudes lässt ein neues Kunst- und Kulturzentrum mitten in Graz entstehen!
Für das KULTUM bedeutet dieser Umbau einen (ursprünglich gar nicht vorgesehenen und auch nicht kommunizierten) Einschnitt in seiner 45 jährigen Geschichte. Ein bleiernes Jahrzehnt scheint zu Ende zu gehen! Es ist, als ob sich die Konstellation der Entscheidungsträger über die Nutzung des Gebäudes derzeit vollkommen neu formatiert hat. Ein Kairos hat sich aufgetan. Ein öffentlicher Dank an dieser Stelle schon einmal vorab! Den Finanziers, namentlich Land Steiermark, Stadt Graz, dem Minoritenorden und den Spendern, der neuen Konventsleitung mit P. Petru, dem neuen Guardian, und den Verantwortlichen der Diözese mit Walter Prügger, Andreas Ehart, Franz Steinkellner!
Auch wenn der faktische Alltag im mitunter lauten Umbaugetöse samt Staubwolken oft schwer zu ertragen ist und wir mitunter zwischen Selbstironie und Verzweiflung pendeln: Die in den Corona-Tagen aufgebaute Ausstellung über die „Innergärten und Trotzdemblüten“ wurde realer als gedacht – sie endet mit dem Satz: „Ich sehe das Tor zum Paradies weit offen.“
Auch im KULTUM selbst haben wir in den Corona-Tagen umgebaut: Ein neuer Empfang lässt nun alle BesucherInnen wirklich „beginnen“ ... Und ein „Leseraum“ lässt Sie innenhalten und in den Publikationen schmökern... Aber damit leite ich schon über zur WEB-Seite!
"Corona-Zeit"
Ja, Monate liegen hinter uns, an die zu denken wir niemals gewagt hätten. Zu Ostern noch war alles still, der Baum blühte wie jedes Jahr. Still war dieser Ort freilich aus ganz anderen Gründen. Jede und jeder von uns verbindet andere Erinnerungen an diesen in der beschleunigten Moderne singulären, jähen Stillstand. Ich selbst zählte (per Dekret mit Siegel!) zu jenen wenigen, die nicht ins Homeoffice mussten – also (wir erinnern uns an dieses grässliche Wort) offenbar „systemrelevant“ waren. Genau genommen hatten wir im KULTUM keinen Lockdown (zumindest hatte ich das für mich beschlossen), wenngleich sich eine Einsamkeit über dieses alte Kloster gelegt hatte, die mitunter auch gespenstisch schön gewesen ist. Als mich die Katholische Akademie in Hamburg gefragt hatte, doch an ihrem Lockdown-Programm „Trostbrücken“ mitzumachen, ist mir nichts anderes eingefallen, als mich in den völlig leeren Kreuzgang zu stellen und mich an die Tiere zu erinnern, die die finnische Künstlerin Maaria Wirkkala in luftiger Höhe über den Hof ziehen ließ – in einer fragilen Balance. Sie hatten ein Ziel damals, das die Künstlerin „ESCAPE“ genannt hatte. Das war ein verschlossener Raum mit gleißendem Licht, das aus den Fugen tritt. Da war einerseits das ganze Leid der Welt (mit diesen Tieren) abgebildet und auf der anderen Seite diese Ritzen hinter verrschlossenen Türen, aus denen ein verheißungsvolles Licht herausströmte. Spätestens da war mir klar, wie wichtig die Bilder sind, die wir – in Form von Kunst oder wie auch immer – in uns gespeichert haben, wenn eine diffuse Angst sich über uns legt. Und die Zeit damals vor Ostern war doch eine derartige, die sich noch immer nicht ganz aufgehellt hat, im Gegenteil: Das waren nur drei Bilder der Erinnerung, aus der wir in den Corona-Tagen ein ganzes Museum gefüllt haben: Mehr als 500 Bilder sind so – auf 10 Museumsräume verteilt – beschrieben und virtuell besuchbar.
In eben diesem Raum, in dem sich im Jahre 2011 das gleißende Licht durch die verschlossenen Zellentüren in Form von strahlenden Fugen seine Bahn brach, begann Alois Neuhold in den Kar- und Ostertagen seine Ausstellung „Innergärten und Trotzdemblüten“ aufzubauen. Erneut war eine verschlossene Tür im Zentrum der Installation, die täglich wuchs und wuchs und wuchs. Das war eine unglaubliche Erfahrung beim Aufbau einer Ausstellung mitten im Lockdown, mitten in einer Zeit, wo man – wir erinnern uns an die belehrende Bundesregierung in ihren täglichen Pressekonferenzen – nur drei Gründe hatte, die das Verlassen der eigenen Wohnung erlaubten… (rechtswidrig hin oder her.) Am Ende – oder am Anfang – waren wir das erste Museum in der Steiermark, das am 15. Mai um 11 Uhr öffnete. Seither waren schon sehr viele Menschen da, trotz der Widrigkeiten des Zugangs, der beinah symbolisch zu werden schien. Die alle 14 Tage stattfindenden Künstlergespräche mit dem Künstler am Sonntag waren bislang alle ausgebucht! In den Ferien fanden bzw. finden noch solche am 12.7., am 26.7. am 9. 8. und am 6. 9. statt: jeweils sonntags um 18 Uhr. Die letzten beiden – schon während der Schulzeit – sind dann am 20.9 und 3.10.
Den ganzen Sommer über haben Kinder ab 6 in Paradieswerkstätten gebastelt, gemalt, gestaunt. Was einen also erwarten wird, hat man diesen Zugang erst einmal überwunden! Sehen Sie selbst. Ich denke, das alles hier ist erst ein Vorgeschmack.
Seit Anfang September versuchen wir nun, auch mit einem "normalen" Programm wieder zu starten. Mal sehen. Wir haben wieder mit der Schreibwerkstatt für Kinder ab 8 (ab 31. August) begonnen. Am 4. September fand die "reale" Preisverleihung für den besten Kurzdokumentarfilm der DIAGONALE an TOTAL REFUSAL statt, Filmscreening und Diskussion inclusive. Am 18. September wird TEXT IM KLANG #4 (im Barocksaal) nachgeholt. Und am 25. September startet die neue Literatur-Reihe "Der doppelte Gast" mit Thomas Ballhausen und Helwig Brunner.
Seien Sie herzlich willkommen, jetzt, gerade jetzt.
Johannes Rauchenberger