... closed due to a private party
Ich schreibe dieses Editorial gerade in luftiger Höhe im Flugzeug über Berlin, wo ich ein großes Werk aus unserer Sammlung – den „Film der letzten Zuflucht“ von Thomas Henke, der im vorigen Jahr bei O* im KULTUM seine preview hatte – in der Katholischen Akademie Berlin eröffnet und vorgestellt habe. Letzte Zuflucht! Vor wenigen Stunden stand ich erstmals (!) noch auf der Siegessäule und blickte über den „Himmel über Berlin“. Den Flügel auf dem Cover dieser Programmzeitung trug zwar nicht Bruno Ganz, er wurde von der bulgarisch-französischen Künstlerin NINA Kovacheva geschaffen. Die international renommierte Künstlerin, die mit ihrem Partner Valentin Stefanoff die nächste Ausstellung – als Künstlerkollektiv ninavale – bestreitet, beschreitet höchst lohnenswert zu begehende Wege für unser künstlerisches Jahresthema in diesem Kulturjahr, also für unser Interesse, wo wir am Ende (oder jetzt schon) leben wollen. Auch wenn der Titel dieses Ansinnen freilich zu unterbinden meint: „Paradise is temporarily closed“. Der Notizzettel, der, wie wir erfahren, von Gott selbst kommt, ist sozusagen das krasse Gegenteil zu Alois Neuholds Aussage vom Frühjahr mitten im Lockdown: „Ich sehe das Paradies weit offen.“ Nun, ein eschatologischer Lockdown? Der Grund ist eine Party. Und wir fühlen uns dabei wohl selbst ertappt. Hoffentlich. Damit meine ich nicht so sehr die zu wenig eingehaltenen Corona-Maßnahmen im Sommer, sondern die Art und Weise, wie wir uns als Gesellschaft insgesamt in einer Zeit verhalten, die eigentlich nach Solidarität schreit. Moria! „Christlich-sozial!“ Nicht nur ich schäme mich (fremd). „Paradies wegen Party vorübergehend zu. Gott.“
Papst Franziskus, den man in seiner eben veröffentlichten Enzyklika „Fratelli tutti“ über eine globale Geschwisterlichkeit bereits „naiven Kommunismus“ oder „Unterkomplexität“ vorwirft, könnte man in Zeiten vermeintlicher, bewusst geschürter oder auch wirklicher und existenziell bedrohender Ängste ja auch einmal¬ „künstlerisch“ lesen: „Mit der Bergpredigt ist kein Staat zu machen“, hat schon Bismarck gesagt. Aber wenn ihm diese Vision genommen ist? Historisch sind die Wochen, in denen diese Ausstellung stattfindet. Die fortschreitende Pandemie! Womöglich ein neuer Lockdown. Und dann Trump!? Da ist Kunst nur ein kleines Sandkorn im Sand der Wüste dieser Welt, ja. Aber! Und der Titel ist natürlich auch ein Format, wie man in Zeiten wie diesen (noch) Veranstaltungen machen kann. Aber sehen sie selbst: Am 24. Oktober, 11 Uhr wird diese Schau eröffnet. Das Künstlerpaar aus Paris ist anwesend! Kuratorenführungen folgen jeweils samstags am 7. und 14. November, sowie am 12. Dezember. Herzliche Einladung!
Zurückhaltender, aber nicht minder kraftvoll in den Wochen (Monaten?) dieser strengen Zugangsregelungen ist Lyrik. Auch sie ist gewohnt ohne Massen gut zu existieren und Leben zur Sprache zu bringen, wie es sonst niemand vermag. Erfreulich war der erste Abend von „Der doppelte Gast“ mit Thomas Ballhausen und Helwig Brunner. Er ist auch auf unserem YouTube-Kanal nachzuhören. Das nächste Double ist der Schweizer Autor Franz Dodel, bei den Minoriten schon öfters zu Gast, vor allem ist seine 2012 gezeigte Schau „Nicht bei Trost“ unvergesslich.
Dodel, ein „moderner Odysseus“ und Schreiber eines mittlerweile 50.000 Zeilen umfassenden Kettengedichts, hat Mila Haugová, die „Honigmacherin“ und Grande Dame der slowakischen Lyrik, eingeladen: Am 22. Oktober! Das auf diesen Abend folgende „Lyrikpaar“ ist der in Aachen lebende Christoph Wenzel und die in München schreibende Karin Fellner. Mit ungewöhnlichem Sprachempfinden fischen diese beiden Lyriker, nein, nicht in trüben Tiefen, sondern im nahen Hellen.
Reichlich ist auch der Tisch in Neuer Musik gedeckt: Zwei Mal in der Mariahilferkirche (mit Saties „Messe des Pauvres“ der IGNM Steiermark am 20. November und mit einer „Text.Installation.Musik.Performance“ von „NeuesMusikTheater.Graz“ am 26. November. In den Franziskussaal weichen wir mit den „UA aus GU“ aus: Fünf Uraufführungen wurden für das Studio Dan komponiert! Unbedingt vorzumerken sind bitte auch die „Crosstalks“ von Manuel Alcaraz Clemente und Reinhold Schinwald (ÖGZM) am 9. Dezember. Schon einmal hat uns der Ausnahmeschlagwerker Clemente im Cubus begeistert. Und trotz der Zugangsbeschränkungen versuchen wir auch das reichlich angesetzte Kindertheaterprogramm durchzuführen… am 20. Oktober (Mezzanin Theater), 26./27. November (Theater Geist /Berlin) und am 20./21 Dezember (Hör- und Schaubühne Stuttgart). Und last but not least: Das gute Weihnachtsgeschenk (Seite 22)!
Herzlichst: Ihr Johannes Rauchenberger