Philipp Harnoncourt (9.2.1931–25.5.2020) zum 90. Geburtstag
Ich verknüpfe seine Frage dabei mit einem Bauwerk, das Philipp Harnoncourt – gemeinsam mit seinen Geschwistern Nikolaus, Alice, Juliane, Karl und Franz – gerettet hat: Die „Heiligen Geist Kapelle“ in Bruck/Mur. Dieses Bauwerk hatte eine erstaunliche Geschichte bis zur vollkommenen Verwahrlosung.
Am Ende des 15. Jahrhunderts ließen wohlhabende Brucker Bürger dieses damals völlig ungewöhnliche Bauwerk mit dreiseitigem Grundriss vor den Toren der Stadt Bruck erbauen – als Dank an die überstandene Pest und die Osmaneneinfälle. Philipp Harnoncourts schlüssige Interpretation, in unzähligen Vorträgen vermittelt, war die: „Der Trinität des Todes jener Jahre (Pest, Hungersnot und Krieg) setzten diese wohlhabenden Brucker Bürger die Trinität des Lebens entgegen, als Dank- und Denkmal.“
Harnoncourt hat fast 10 Jahre lang mit unglaublicher Akribie Menschen und Mächte verwickelt, dass dieses vollkommene heruntergekommene Gebäude wiederhergestellt wurde. Am Tag nach seinem Begräbnis wurde es am Dreifaltigkeitssonntag des 7. Juni 2020 zu den Improvisationsklängen der Melodie „Locus iste a Deo factus est“ (A. Bruckner) des Posaunisten Bertl Mütter eingeweiht.
Man fragte natürlich hinter vorgehaltener Hand, warum Harnoncourt in den letzten Jahren fast nur dieses Projekt verfolgte – schließlich befindet es sich mitten im Brucker Brückenknoten, zu laut, um an eine faktische Nutzung auch nur anzudenken. „Diese Kapelle hat keinen Nutzen, aber sie stiftet Sinn“, sagte er dazu immer wieder provokant. Ein Denkmal zur Bewahrung der Schöpfung etwa dachte er an. Nicht einmal im Ansatz wäre es in all diesen zehn Jahren des unglaublich zu nennenden Engagements Philipp Harnoncourts zur Rettung dieses außergewöhnlichen Bauwerks denkbar gewesen, dass sich die Welt im Jahr seines Todes derart verändern würde, dass jemals wieder eine derartige Bedrohung wie zur Erbauungszeit dieser Kapelle auch nur denkbar gewesen wäre.
„Habt Ihr verstanden, was ich euch mitteilen wollte?“ Vielleicht ist es jetzt dies: Dass dieser Bau eine Erinnerung an eine Zeit im öffentlichen Raum mitten im Beschleunigungswahn von Autobrücken ins Heute stellt, in der man die Überwindung einer Seuche auch im Transzendenten verankert hat. Viel ist derzeit vom Schweigen der Religion die Rede.
Merkwürdig, bereits im Vorjahr wurde ein Wettbewerb zu einem "Corona-Denkmal" ausgelobt. Drei der besten sollen realisiert werden. Auch am kommenden Aschermittwoch in St. Andrä spielt ein solches eine Rolle.
„Habt Ihr verstanden, was ich euch mitteilen wollte?“ Philipp Harnoncourt, der sich so unendlich viele Verdienste in der Theologie, der Liturgiewissenschaft, in der Ökumene, in den liturgischen Räumen unseres Landes erworben hat, hat mit diesem seinem Engagement zur Errettung dieses Denkmals uns wohl am meisten hinterlassen: Es steht mitten der fortan sich bewegenden Autos als erratisch schöner Block, als Prisma, das im Wirrwarr der Horizontalen an einer Vertikalen festhält.
Johannes Rauchenberger