60 Jahre Theologie – Peter Trummer
Mit 80 noch einmal ein Jesus-Buch
Was der Grazer Neutestamentler Peter Trummer mit dem früheren Papst Benedikt XVI. teilt: Beide haben noch in gleich hohem Alter (um die Achtzig!) ein Jesus-Buch geschrieben. Der eine, mehrbändig, als (damals relativ frisch gewählter) Papst (und der mit seinem Jesus-Buch ausdrücklich wissenschaftlich kritisiert werden wollte), der andere als längst pensionierter, aber ewig aktiver a.O.-Universitätsprofessor einer Provinzfakultät süd-östlich des Alpenhauptkammes: Eben hat Peter Trummer den „Herzschlag Jesu erspüren“ herausgebracht – im gleichen Verlag übrigens wie Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. „Man kennt Peter Trummer als einen redlichen Kämpfer wider Verengungen und als zu den Wurzeln der Texte und der Botschaft unermüdlich Grabenden“, urteilte gerade jüngst die FURCHE (Otto Friedrich) in einer ausführlichen, überaus wohlwollenden Rezension am 1. Juli. Peter Trummer hat mit dem Buch eine Summe seines theologischen Lebens vorgelegt, das einige persönliche Brüche erlebt hat und gerade deshalb eine ehrlichere Sprache spricht, als ein dogmatisch geschliffenes Buch. Vielleicht teilt Trummer mit dem emeritierten Papst nicht nur eine gemeinsame lebenslange Beschäftigung mit der Figur Jesu, sondern auch – man wundere sich – eine Faszination für die Liturgie, von deren Reformen er nicht nur seit dem II. Vatikanischen Konzil, sondern schon seit Papst Pius XII. erstaunlich fasziniert zu berichten weiß: Die Abtei Seckau gehörte in den 1950er Jahren zu den weltweit zwei Orten, die die neue Osternacht als erste „erproben“ durften – als Jugendlicher fuhr er öfters zu diesen Feiern. Und vielleicht teilt er mit Ratzinger auch noch die Sympathie für die Stadt Regensburg, deren Bibliker Trummer vor der lehramtlichen Schlinge bewahrt haben, denn von der „Paulustradition der Pastoralbriefe“ (so seine Habilitation) zu sprechen war damals noch offiziell verboten. Musikalisch sind sie beide auch, wobei Trummer im Gegensatz zum emeritierten Papst in späten Jahren geistliche Lieder komponiert (Wer hätte das gedacht?). Und, last but not least: beide haben (bzw. hatten) ausdrücklich gerne recht, auch in ihrer lebenslangen Beschäftigung mit der Figur Jesu. Das legitimiert es, beide mit dem Buch gemeinsam zu nennen.
Streit ungleicher Partner
Doch das war es dann. Sonst viel, natürlich sehr viel Ungleichheit. Letzterer soll den ersteren ganz schön auf den Zahn gefühlt, als Präfekt der Glaubenskongregation sogar seine Absetzung gefordert haben – doch in der Dialektik bischöflicher Amtsführung österreichischer Färbung blieb das Absetzungsschreiben dann einige Jahre in der Schreibtischlade verwahrt: Das unterscheidet österreichische Grandezza von deutscher Verbissenheit, wenn es um lehramtliche Härte geht. Es ging in der römischen Lehramtsbeanstandung um die Eucharistie, um die Rolle der Priester und um jene der Laien. Es schwingt bei wenigen theologischen Büchern wie bei Trummer so viel Wehmut mit, dass ausgerechnet die Eucharistie überhaupt ein Zankapfel zwischen Lehramtsverfechtern geworden ist: „Das kann doch nicht im Sinne Jesu sein“, so schlicht ist Trummers Urteil. Vielleicht ist in dem Satz auch schon Altersmilde dabei. Sein Eucharistiebuch „… dass alle eins sind. Neue Zugänge zu Eucharistie und Abendmahl“ (Patmos-Verlag, 2001) wollte Peter Trummer damals – der Autor dieser Zeilen schlug als Titel der Buchpräsentation sogar „Eucharistie der Laien“ vor – übrigens im KULTUM präsentieren: Das war allerdings die Zeit, als gleich darauf „Gemach! Gemach!“ aus Rom ertönte. Doch das wusste der Autor dieser Zeilen nicht. Es war der einzige Krach in den letzten 20 Jahren. Die Veranstaltung fand nicht im Kulturzentrum bei den Minoriten statt. Aber dafür im Minoritensaal (damals gehörte der Minoritensaal aber irgendwie zum Kulturzentrum bei den Minoriten dazu): Auch diese praktische Lösung war wiederum der Grandezza österreichischer Realistik im Umgang mit seinen Ketzern geschuldet. In puncto Eucharistie hatte der Bibliker Trummer ganz andere Ansichten als die von Jahrhunderten an Dogmatik getränkte katholische Amtstheologie. Dabei hatte Peter Trummer sein aus dem Leben Jesu abgeleitetes Eucharistieverständnis schon auf die aktuelle pastorale Situation hin gedacht. Nun, wo schon fast alles eingetroffen ist, was Trummer damals diagnostizierte, wären wohl viele froh, wenn sich die Trummer’sche Eucharistietheologie tatsächlich leben ließe… Mittlerweile antworten weithin Bischöfe auf die im freien Fall einbrechenden Besucherzahlen im Gottesdienst: „Gott ist nicht nur in der Kirche. Er ist vor allem in den Familien. Dort, wo Menschen in seinem Namen zusammen kommen.“ (Was soll man bei dem Priestermangel und dem dramatischen Schrumpfen der Gemeinden sonst auch sagen.) Tempora mutantur. (Derzeit irgendwie exponentiell.)
Nomen est omen. Die Trummer-Brothers
Wenn man den Namen „Trummer“ schreibt, ist freilich das Wort (Zer-)trümmern nicht weit. Für Peter Trummer könnte man das hinsichtlich lieb gewonnener dogmatischer Formeln wie „Gottessohn“, „Wesensgleichheit“, „Sühne“ oder liturgischer Usancen wie immer wiederkehrende Schuld- und Opferrituale in der katholischen Liturgie festmachen. Auch liebte er es in seinen Lehrveranstaltungen, dogmatistische Glaubensbekundungen seiner Studierenden öffentlich zu zertrümmern. Doch Peter Trummer ist nicht einfach ein Unikat. Das Flair seines Namens und das Außerordentliche seiner Präsenz hängt schon auch mit seinem Bruder Hans zusammen, dem mitunter dieses „Zertrümmern“, sozusagen im Off, anhaften konnte (bis in die Spitzenpositionen der Diözese hinein konnte er über Nacht buchstäblich „durchgreifen“), wenngleich er ein feinsinniger Organist, Konzertveranstalter, Mitglied der Leipziger Bach-Gesellschaft und einfach ein bescheiden wirkender Messpriester im Grazer Dom gewesen war, dessen Predigten, in denen immer wieder Mutter Teresa vorkam, immer genauestens vorbereitet waren. Daneben hatte er auch noch zwei Lehrstühle (Orgel und Liturgie) an der KUG inne, war dann eben auch noch der jahrzehntelange Chef des legendären Katholischen Pressvereins mit dem ihm untergeordneten Styria-Konzern. Jahrzehntelang war er zudem der „Verwalter“ des Grazer Priesterseminars und lehrte die Alumni kurz vor der Weihe auch den Ablauf der Ritualien, das Handwerk also, wie man die Sakramente richtig feiert. Bei offiziellen Anlässen stand er immer im Hintergrund, aber er war mächtig wie kaum ein zweiter in diesem Land. Vor zwei Jahren ist Hans Trummer gestorben. Er fehlt!
Die insgesamt vier Trummer-Brüder waren bzw. sind um die Kriegszeit geborene Söhne eines Bestatters aus Bruck an der Mur, der in der Nazizeit mit dem Einsatz seines Lebens auch tote Juden, die während des Todesmarsches auf den Straßen liegen blieben, gegen den Führerbefehl in Särgen pietätvoll bestattete. Aufrechter Widerstand also war ihnen in die Wiege gelegt. Mit dieser Geisteshaltung wurde der Platz, auf dem das neue Gebäude des Styria-Medien-Centers erbaut wurde, auf die beispiellose Initiative von Hans Trummer auch „Gadollaplatz“ getauft – in Erinnerung an den in Graz geborenen Joseph von Gadolla, der die Stadt Gotha in den letzten Kriegstagen rettete, weil er durch sein Kapitulationsangebot die drohende Bombardierung verhinderte, aber mit seinem Leben dafür bezahlte.
Die Trummer-Brüder begannen allesamt im Bischöflichen Knabenseminar und maturierten dort auch. Bruder Emmerich, in den frühen 1970er erster Vorsitzender des steirischen Diözesanrates, starb früh sehr tragisch. Nach dem Willen der Mutter hätten alle vier (!) Söhne Priester werden sollen, zwei zogen es ernsthaft in Erwägung, am Ende wurde es nur einer: Hans. Peter Trummer, ebenso Theologe, heiratete noch vor der Weihe und blieb somit „Laie“. Das war damals in Theologenkreisen noch ein völlig neues Wort. (1961 hatte sich der Bibliker Johann Baptist Bauer als erster Laie auf einer theologischen Fakultät für Alte Kirchengeschichte an der Universität Graz habilitiert: Da studierte Peter Trummer bereits Theologie.) Aber als „Laie“ war Peter Trummer anfangs nicht berechtigt, an der katholisch-theologischen Fakultät die Bibel zu unterrichten, er gehörte somit einer Gruppe zweiter Klasse an. (Um ihn an der Universität zu halten wurde er als ein „Zögling“ des für viele Initiativen der damals verkrusteten theologischen Fakultät verantwortliche Karl Amon anfangs sogar Assistent in Pastoraltheologie und Kirchengeschichte, ehe er dann doch zum Neuen Testament wechseln durfte!). Tempora mutantur. (Der Grad der Veränderung ist in der Rückschau exponentiell.) Doch wenn schon Laie, dann als Vorbild christlichen Lebenswandels! Als Peter Trummer sich fünfzehn Jahre später scheiden ließ, war er fortan stigmatisiert: Der Mittelbau war universitäre Endstation. So wurde damals in Österreich und Deutschland freilich ganz allgemein mit dem neuen „kirchlichen“ Personal der „Laien“ umgegangen.
Präzise Textarbeit, auf das eigene Leben übertragen
Doch es gab eine tiefe Befriedigung vor Ort: Peter Trummers Lehrveranstaltungen erreichten Kult-Status. Er brachte den Nicht-AbsolventInnen eines Humanistischen Gymnasiums nicht nur das Bibelgriechisch bei, strebte eine eigene Übersetzung des Neuen Testaments an, sondern begeisterte eine ganze Generation der 1980er und 1990er Jahre mit seiner damaligen „Kultveranstaltung“ eines „Konservatoriums“ für das Neue Testament (damals gab es noch „Freifächer“ auf der Universität). Sie zeichneten sich dadurch aus, auf den Text genau zu schauen. Dogmatische Denkbahnen zu zertrümmern. Übersetzungen zu diskutieren. Auf das eigene Leben anwenden. Die jahrhundertelangen Fehlleitungen falscher Übertragungen herauszustreichen und theologische Konsequenzen zu ziehen.
Seine große Reichweite als theologischer Autor erreichte Peter Trummer freilich erst als Autor des Herder-Verlags: Am Beginn stand ein „Flop“ (den man heute als theologischen Bestseller bezeichnen würde) „Die blutende Frau. Wunderheilung im Neuen Testament“ (1991) war nach der Meinung der damaligen Geschäftsleitung ein Misserfolg: Nur 1700 (!) Exemplare wurden verkauft, 2300 wurden ins moderne Antiquariat verbracht! Sein Lektor hielt ihm dennoch die Stange, weil dieser von der Qualität seiner Bücher überzeugt war, nach Zwischenstationen bei Kohlhammer und im Patmos-Verlag wurde 20 Jahre später die Zusammenarbeit wieder aufgenommen. Es folgten Bücher wie „Steh auf, nimm dein Bett und geh nach Hause. Wie Jesus heilte und heilt“ (2012), „Ich bin das Licht der Welt. Meditationen zu biblischen Ich-bin-Worten.“ (2018). Und: „Auferstehung jetzt – Ostern als Aufstand. Theologische Provokationen“ (2016).
Das Auferstehungsbuch war auch – 50 Jahre danach – eine theologische Neuinterpretation seiner Dissertation aus dem Jahre 1966. Doch die Trockenheit der Bultmann-Zeit hat in den fünf Jahrzehnten Lebenserfahrung des ewig den Urtext suchenden Peter Trummer eine ganz andere Atmosphäre bekommen. Auferstehung hat mit dir, mit mir, jedenfalls aber mit dem Heute zu tun.
Peter Trummer, der in den frühen 1960er Jahren als rund 20-Jähriger bereits das Exsultet der Osternacht (die erst acht Jahre zuvor eingeführt wurde (!) für eine vereinfachte deutsche Fassung adaptierte, hatte nicht nur Theologie – mit Freisemester an der Universität Tübingen, wo mit systematischen Theologen wie Hans Küng oder Joseph Ratzinger brodelnder Aufbruch unmittelbar am Beginn des II. Vatikanischen Konzils herrschte – sondern auch Orgel studiert. In seinem achten Lebensjahrzehnt hat Peter Trummer, Vater von insgesamt sechs Kindern, zeitgemäße geistliche Lieder komponiert, getextet und zur Publikation vorbereitet. Theologie auf die Ebene von Emotion und Gesang herunterzubrechen hatte auch in einer radikalen Umbruchszeite der Bibliker Martin Luther gemacht – reine Exegese ist zu wenig. Will heißen: Theologie will verstanden, geerdet und auch gesungen werden. Peter Trummer ist nach 60 Jahren Theologie zu seinen Anfängen zurückgekehrt – doch es ist kein Stein auf dem anderen geblieben. Allein der Sog der Figur Jesu ist ihm geblieben. Das ist berührend. Und all das verdient Öffentlichkeit. Gewidmet aber ist sein letztes Buch, wiewohl er Jesus mit einem so eindrucksvollen „Herzschlag“ beschreibt, „dem unbekannten Gott“. Auch so kann man 60 Jahre Theologie resümieren.
Viele Jahre noch!
Johannes Rauchenberger