DIE SPEISUNG DER 5000: 15.000 Euro-Bildpatenschaft und Ukraine-Hilfe
DER FALL: GESCHICHTE
Der Sprachlosigkeit, der Hilflosigkeit, dem Entsetzen, ja der Wut, die wir angesichts von Putins Angriffskrieg auf die Ukraine alle teilen, versucht jede und jeder auf seine und ihre Weise beizukommen. Ich erinnerte mich in den ersten Kriegstagen an die Serie CASE HISTORY von Boris Mikhailov, die ich im steirischen herbst 2002 ausgestellt hatte: Es waren Obdachlose aus Charkiv, jener Stadt, die jetzt so heftigst bombardiert worden ist. Es waren dabei an den Rand der Gesellschaft Gedrängte zu sehen, die den Zusammenbruch des sowjetischen Systems nicht geschafft hatten. Ihre Nacktheit und Verletzlichkeit berührten zutiefst. Manches erinnerte an die Bilder christlicher Passionsgeschichte. Mikhailov kam damals, Anfang der 1990er Jahre, mit einem Plastiksackerl von Fotoabzügen zur Saatchi-Galerie in London. Diese machte daraus Kunst. Heute hängen diese Bilder im MoMA in New York.
Und jetzt: diese Bilder ...
In den Großstädten Europas zu sein und dabei unterzugehen in den Massendemonstrationen für die Ukraine ist der eine Wunsch. Doch helfen der andere. Wir sind hier. In Graz. Einer kleinen Provinzstadt. Und da passiert vor unserer Haustür Unglaubliches. In den ersten Kriegstagen füllte sich vor der Mariahilferkirche abends der Platz mit Hilfsgütern für die Ukraine. In den Folgetagen wurden die Sachen im frisch renovierten Kreuzgang abgestellt und in der Nacht wurden sie jeweils in die Ukraine gebracht. Bei den Minoriten feiert die ukrainische Gemeinde seit Jahren Gottesdienst. Auch die russische. Und die georgische. In der „Schatzkammerkapelle“ (zumindest vor Corona). Deshalb? Vielleicht auch.
Corona hat das Durchstarten des neuen Minoritenareals verzögert. Seit 1. Jänner liegen die Minoritensäle in der Verantwortung der Diözese Graz-Seckau bzw. des Ressorts „Bildung, Kunst und Kultur“. Eine neue Geschäftsführung mit Walter Prügger und mir trägt dafür die Verantwortung. Die offizielle Eröffnung wurde auf den 4. Mai verschoben. Wie gut, dass es die künstlerische Einweihung mit ATEM schon am 12. November des Vorjahres gab. Die Freude aller (es waren doch schon einige Tausend), die bereits Besuchende im neuen Minoritensaal waren, ist ungetrübt. So schön! Sagen alle. Zu Recht.
Nur bezahlt ist das alles noch längst nicht. „Bildpaten“ sind nun ausgeschrieben: Wir könnten doch mit der KULTUM-Community das größte Bild an der Stirnseite sponsern! 15.000 Euro müssten wir aufbringen. Das müsste doch ein Leichtes sein: Jede/r, der unsere Programmzeitung seit Jahren (gratis) erhält, könnte dafür etwas dazulegen. Ich ersuche Sie (und Dich) darum! Es ist ja nicht irgendein barockes Bild, das man ob seiner Altheit unterstützt. Sondern es ist die „Speisung der 5000“. Natürlich weiß ich, Klimts Kuss ist es nicht. Und eine Apokalypse – die wir latent ahnen – noch weniger. Dennoch. Kunst, so möchte ich meinen, glaubt an die Utopie. Auch die Religion, zumindest in ihren trostvollen Erzählungen. Also, back to presence: Die eine Hälfte Ihrer Spende geht an die vom Krieg getroffenen Menschen in der Ukraine. Die andere Hälfte lässt uns zu den gegenwärtigen Fünftausend werden, die in Kunst und Kultur auch eine notwendige, geistige Nahrung sehen, die Teil einer sozialen Verantwortung werden muss. Vielleicht lässt sich so das Bleibende hier und das aktuell Bedrängende symbolisch verbinden?
Daher stehen die Programmpunkte, die Sie in dieser Zeitung bearbeitet sehen, auch in einem neuen Licht. Die Ausstellung über „Stigmata“ des in Zürich lebenden Gesprächskünstlers Till Velten ist eine Auseinandersetzung über Passionsfrömmigkeit in ihren extremen und mystischen Ausformungen seit dem Hl. Franziskus. Manfred Erjautz‘ große Schau DINGE macht ab 2. April eine Welt von einer Soletti-Barke bis zu einer Jesus-Uhr auf, unterbrochen durch ein schwebendes Skelett: Existenzielle Dringlichkeit, barocke Tischkultur und eine soziale Geschichtsdiagnostik geben sich die Hand. Die Diagonale-Diskussion am 8. April stellt sich dem provokanten Titel: Jugend ohne Gott. Und zeigt anhand von Filmen das Gegenteil. Antike Seuchensatire lesen Brigitte Quint und Walter Schaupp am 31. März neu. Die neue Diskursreihe SEISMOGRAPHICS fragt am 28. April nach der Prophetie der Populärkultur.
Neue Musik definierte heuer den Aschermittwoch, das Ensemble Lux (18. März), Cantando Admont (26. März) und das Ensemble Zeitfuss (25. April) sind weitere Abende, die man sich merken muss. Die Literatur-Reihe DER DOPPELTE GAST wird mit Àxel Sanjosé und Tristan Marquardt am 25. März fortgeführt, das LITERATUR HOTEL am 22. April mit Luljeta Lleshanaku und Andrea Grill. Und eine ewig verschobene ÄRDGEISS (27./28. März) sowie das Tanztheaterstück PIP (3. April) runden ein exquisites Theaterprogramm für die Jüngsten ab.
Willkommen!
— Herzlichst: Ihr Johannes Rauchenberger