MEMORYLESS? Programm Mai bis Juli 2022
Ja, dieser Ort hat schon viel gesehen, darin waren sich die Redenden sogar bei der Eröffnung einig.
Wir im KULTUM erachten es als nötig, die Narrative, die dieser Saal versprüht oder zu erzählen weiß, die Bilder, die hier restauriert wurden, immer wieder in Erinnerung zu rufen, diese Geschichte neu zu befragen, sie neu in die jeweilige Zeit zu werfen.
Ich weiß schon, so manche Leerstelle muss man besetzen, so wie Manfred Erjautz beim Stiegenabgang seiner so polyvalenten Schau einer seiner vielen kleinen Dinge hinzugefügt hat. Er hat quasi ein neues barockes Emblem kreiert: MEMORYLESS bezeichnet jedenfalls in der aktuellen Ausstellung nicht nur ein Kunstwerk, sondern auch einen Zustand.
Memoryless. Auch wenn nun einmal die Schönheit und die Freude zählen, dass die Renovierung gelungen ist, ist es dann auch die Botschaft der Bilder, deren Zentralbild immerhin einmal „teilen“ lautet. Diese wirkt still und bar jeder Gegenwartsneudeutung – nicht nur in Form restaurierter Fresken oder Tempera- und Ölgemälde aus dem frühen 18. Jahrhundert, sondern auch in Form aktueller Kunst. Das ist wiederum unsere Aufgabe. Lesen Sie mehr dazu im Inneren dieser Programmzeitung: Über ihre Funktion nämlich, nicht nur das barocke Lebensgefühl der hinkünftigen Kulturbesucher zu stärken, sondern auch an die Worte und Werke zu erinnern, die mit der Entstehungszeit dieses Gebäudes einhergegangen sind. Kunst, das habe ich schon immer gesagt, lässt die Geister entfleuchen, wenn man sie nicht erinnert, würdigt oder angemessen mit ihnen umgeht! Das ist nämlich die Kernthese des KULTUMuseums, die ich nur einen Tag vor der Eröffnung den Theologinnen und Theologen der österreichischen Systematischen Theologie nahe bringen wollte. Ich wollte ihnen die Kunst sogar als Quelle – als DIE Quelle – theologischer Erkenntnis anempfehlen. Doch da kam erwartungsgemäß Widerstand. Die Kunst, so meinte der Kollege der Dogmatik aus Salzburg, habe seit dem 24. Februar 2022 ein massives Glaubwürdigkeitsproblem. Denn ausgerechnet die Salzburger Festspiele würden doch primär von russischen Oligarchen gesponsert. Da sei es mit der Unschuld der Kunst doch vorbei. Sie sei immer eine Koalition mit der Macht eingegangen. Ohne sie wäre Kunst nicht „konumierbare“ Kunst. Das saß, freilich. Hatte ich doch gerade von unschuldigen Bildern gesprochen. Back to the Minoritensaal einen Tag später und seinen restaurierten Bildern: dem Kollegen aus Salzburg ist wohl recht zu geben! (Sancte Francisce! Ora pro nobis.) Sein Kollege in Fundamentaltheologie, Martin Dürnberger, Leiter der Salzburger Hochschulwochen, war dann wenige Tage später in der neuen Diskurs-Reihe Seismographics am 10. Mai bei uns zu Gast. Ein großartiger Vortrag über Rap-Songs und Populärkultur. Alphatiergehabe, Authentizitätssehnsucht, katastrophisches Bewusstsein, die Flucht ins Digitale und Sinnkollapse analysierte er als Botschaften der Populärkultur. So kann Gegenwartsdeutung gehen! Diskurskurator Florian Traussnig setzt auch bei NEU GELESEN. NEU ERZÄHLT. NEU GEMISCHT am 22. Juni mit dem Kulturwissenschaftler Hartmut Böhme einen weiteren Akzent, den Sie sich unbedingt vormerken sollten: „Die Sintflut-Erzählung in Ovids Metamorphosen“ stehen unter dem Erkenntnisinteresse, was wir aus Katastrophen der Vergangenheit lernen können. Die erstmals stattfindende Reihe NACHWORT DER DICHTER ist am 23. Mai mit Lesungen von Ruth Johanna Benrath, Judith Nika Pfeifer und Herbert J. Wimmer der großen Dichterin Friederike Mayröcker gewidmet, die fast genau vor einem Jahr gestorben ist. Als Kooperation mit dem Schauspielhaus Graz liest Beatrix Doderer aus dem Roman „The Testament of Mary“ von Colm Tóibín am 9. Juni: Maria, die Mutter Gottes, erhält dabei eine Stimme, die man feministisch nennen könnte. „Es gibt Zeiten“, sagt da die Mutter Jesu, „da ich weiß, dass ich mehr von der Welt verlange. Nicht viel, aber mehr.“ Willkommen!
— Herzlichst: Ihr Johannes Rauchenberger