Rückschau 2022
Im Jahr 2022 waren im KULTUM vier Ausstellungen zu sehen:
Die in Wien lebende Künstlerin Judith Zillich stellte sich bis 12. Februar 2022 mit dem für westliche Kunstohren provokanten Titel „MUTTER GOTTES“ der ostkirchlichen Ikone. Während eines Auslandsstipendiums in Lwiw (Ukraine) erlernte sie in einer Ikonenmalschule der griechisch-katholischen Universität die alten Maltechniken: Sie unterwarf sich freiwillig den Regeln der Ikonen-Malerei, doch im Zuge ihrer Auseinandersetzung mit den Einzelteilen eines Ikonengesichts begannen sich diese zu verselbständigen. Die Ausstellung wurde in einem 128 Seiten starken Buch dokumentiert, eingeführt mit einem Text von Kurator Johannes Rauchenberger. Viele dieser Werke sind nun Teil des KULTUMUSEUMs.
Von 19. Februar bis 20. März 2022 setzte sich der Zürcher Künstler Till Velten, der sich als „Gesprächskünstler“ versteht, in der beginnenden Fastenzeit mit dem Phänomen der Stigmata auseinander: Der Ausstellungsort war mit Bedacht gewählt – das Museum, das sich in einem alten, eben renovierten Minoritenkloster befindet, reflektiert dabei seine Präsentationsflächen für Kunst und Religion auch hinsichtlich ihrer historischen Wurzeln: Seit dem Hl. Franziskus, von dem erzählt wird, dass er der erste war, der die Wundmale Christi (Stigmata) erhalten hat, gibt es immer wieder auftretende Menschen, die diese intensivste Form einer Einswerdung des eigenen Körpers mit einem geschauten Bild erleben, unter anderem „die andere Maria“ – so der Ausstellungstitel. Ist das echt? Was soll man von solchen Menschen halten? Es erschien eine Kunstedition im Verlag Moderne Kunst Wien.
Die Sprache der Dinge, die Bemessung und zugleich die Bestreitung der Zeit standen im Zentrum der großen Personale des aus Graz stammenden und in Wien lebenden Bildhauers Manfred Erjautz (*1966) im KULTUM, die vom 2. April bis 17. Juli 2022 stattfand. Mit den „Dingen“ sind Dutzende kleiner Tischskulpturen und Uhren gemeint, eine mehr als 50-teilige, neue Totentanzserie, schwebende Steine, schwebende Körper und schwebende Skelette im „Blindflug“, eine untergehende Erde und ein großer Metallkreis, auf dem ein Drache rotierte. Und nicht zuletzt eine große Uhr, deren Zeitzeiger der Corpus Christi ist: „Your Own Personal Jesus“ wurde für das KULTUMUSEUM erworben. Zahlreiche Führungen des Künstlers fanden zu dieser Ausstellung statt, medial wurde sie besonders begleitet, u.a. mit einem Beitrag im ORF2-Kulturmontag.
„DE PROPAGANDA FIDE. Überraschende Glaubenswerbung der Katholischen Kirche“ (22. September 2022 bis 14. Jänner 2023), die Ausstellung in Kooperation mit dem steirischen herbst 2022, war Teil des insgesamt sechs Ausstellungen umfassenden Projekts „Die Kunst der Verführung“, an der insgesamt acht Institutionen (Kunsthaus Graz, GRAZ-Museum, HDA u.a.) teilgenommen haben. Wie man Fragen und Begehren der Religion, des Glaubens und der Kirche als öffentliches Werben um Zustimmung verhandeln kann, soll und darf, stand im Zentrum des KULTUM-Beitrags, das auf 70 Jahre kirchlicher Plakatgeschichte zurückgegriffen hat und diese zugleich mit Kunstwerken aus der eigenen Sammlung kombinierte. Darüber wurde ein kuratorischer Essay von Johannes Rauchenberger gelegt, der die jüngere Kirchengeschichte multiperspektivisch auslotete. Zur Ausstellung erschien eine Bild- und Textbroschüre.
Seit vielen Jahren ist die Diözese Graz-Seckau im Rahmen des Filmfestivals Diagonale auch eine Preisstifterin: Sie vergibt einen Preis für den "besten Kurzdokumentarfilm", der mit 4000 Euro dotiert ist. Seit 2015 hat das KULTUM diesen Preis im Rahmen seines Programmbudgets übernommen. Dieser Preis der Diagonale 22 ging an die Filmemacherin Valérie Pelet für AUGUSTS ORTE (AT 2021, 41 min., OmeU). Im Rahmen eines Screenings wurde dieser und weitere Kurzfilme Pelets im September 2022 gezeigt.
In der Intendanz von Peter Schernhuber und Sebastian Höglinger ist es zur Tradition geworden, auch eine Podiumsdiskussion zu ausgewählten Filmen der Diagonale am Festivalfreitag abzuhalten: Der Eröffnungsfilmt der Diagonale führte zur Diskussion „Jugend ohne Gott. Identitätssuche on- und offline am 8. April 2022, die auch im Nachhinein viel Resonanz erhielt.
In der Reihe „Der doppelte Gast“, die jeweils zwei Lyriker, Lyrikerinnen zu einer gemeinsamen Lesung zusammenführt, waren am 25. März 2022 Àxel Sanjosé und Tristan Marquardt und am 17. Oktober 2022 Kathrin Schmidt und Birgit Kreipe zu Gast.
Die Reihe „Nachwort der Dichter“, die darüber nachdenkt, wie Schreibende sehr oft im Windschatten großer Dichter und Dichterinnen der internationalen Tradition stehen und „diesen Wind“ zum Anker für das eigene literarische Werk nehmen, wurde 2022 mit Friederike Mayröcker eröffnet. Herbert W. Wimmer, Judith Benrath und Nika Pfeifer haben dazu am 4. Juni 2022 einen ganz besonderen Abend gestaltet.
Das KULTUM vergibt Schreibaufträge, wenn es einen größeren, spartenübergreifenden Schwerpunkt plant. Anlässlich der ersten Blumenberg-Tage 2022 hat das KULTUM in der Reihe „es federt“ zwei Schreibaufträge an Lucas Cejpek und Hanno Millesi, sowie drei Kompositionsaufträge an Benedikt Alphart, Alyssa Aska und Henrik Leonard Erdödy vergeben. Die Texte und die neuen Stücke sind am 29. September 2022 im Minoritensaal zur Uraufführung gekommen.
Der zweite Abend in der neu „eingerichteten“ Reihe „Literatur Hotel“, die Reisende mit literarischem Handgepäck einlädt, einen Abend in den Räumlichkeiten des KULTUMS zu verbringen, bot am 22. April 2022 der albanischen Lyrikerin Luljeta Lleshanaku und ihrer Übersetzerin Andrea Grill ein Sprach- und Lesequartier für ihren im Herbst 2021 in der Edition Lyrik Kabinett bei Hanser erschienenen Gedichtband „Die Stadt der Äpfel“.
2022 gingen die „Tage der afrikanischen Literaturen“ des Vereins Chiala in die zweite Runde. Vom 13. – 15. Mai 2022 fand das mehrtägige Literaturfestival im Kulturzentrum der Minoriten in Graz in seiner Reihe "LITERATUR HOTEL" statt. Neben dem Lokalmatador Fiston Mwanza Mujila, konnte der Star der ugandischen Literaturszene Jennifer Nansubuga Makumbi für die Veranstaltung gewonnen werden. Komplettiert wurde die Reihen der Schriftsteller*innen durch die kamerunische Autorin Hemley Boum, die Wahlhamburgerin Lubi Barre, und den ghanaischen Kinderbuchautor Patrick Addai. Neben den Lesungen gab es auch eine Podiumsdiskussion, bei der die Schriftsteller*innen gemeinsam mit dem Literaturwissenschaftler und Moderator Rémi Tchokothe über das diesjährige Thema: „Schreiben über Afrika- Mit und aus Europa“ diskutierten.
Im Rahmen des Internationalen Dramatiker|innenfestivals 2022 fand die am 9. Juni 2022 die Erstaufführung der szenischen Lesung „MARIAS ZEUGNIS“ statt, ein Text, der auf den Roman „The Testament of Mary“ des irischen Autors Colm Tóibín zurückgeht. In ihm wird die Geschichte Jesu aus der Perspektive seiner Mutter Maria erzählt, allerdings nicht in devoter Erinnerung, sondern mit „tausend Gefühlen: Mutterliebe, Wut, Trotz, Angst, Verzweiflung – und Scham“. In einer Strichfassung von Karla Mäder, Daniel Grünauer, Hannah Mey und Beatrix Doderer und in der musikalischen Begleitung von Grilli Pollheimer kam diese Produktion des Schauspielhauses Graz im KULTUM zur Aufführung.
Am 2. März 2022 gestaltete das KULTUM das Musikprogramm des Aschermittwochgottesdiensts in der Grazer Kirche St. Andrä mit. Die Geigerin Daniela Hölbling spielte zeitgenössische Werke für Solovioline von Tomasz Skweres, Kaija Saariaho und des Grazer Komponisten Klaus Dorfegger neben Bachs Partita in d-Moll. Besonders erfreulich war der positive Nachhall der musikalischen Interpretationen: Die vom KULTUM engagierte Musikerin wurde infolge mit diesem Soloprogramm zum renommierten Musikfestival Warschauer Herbst 2022 eingeladen.
Das KULTUM vergab heuer vier Kompositionsaufträge an die Komponist:innen Benedikt Alphart, Alyssa Aska, Matthias S. Krüger und Leonard Erdödy. Das neue Streichquartett von Matthias S. Krüger wurde am 18. März 2022 durch das Ensemble LUX im Cubus erfolgreich zur Uraufführung gebracht. Darüber hinaus war ein weiteres Streichquartett von Thomas Wally zu hören, sowie zwei Streichtrios von Richard Dünser und Alfred Schnittke. Kurator Christoph Renhart führte ein Bühnengespräch mit den anwesenden Komponisten (Dünser, Krüger und Wally).
Die anderen vom KULTUM in Auftrag gegebenen Kompositionen wurden im Rahmen der 1. Blumenbergtage am 29. September 2022 im großen Minoritensaal von Diego Garcia Pliego (Saxofon), Filip Novakovic (Akkordeon) und Benedikt Alphart (Klangregie) uraufgeführt. Diese Veranstaltung fand in enger Zusammenarbeit mit der Sparte für Literatur statt. Die neuen Werke bezogen sich auf die ebenfalls vom KULTUM beauftragten Texte von Lucas Cejpek und Hanno Millesi, die die beiden Autoren selbst vortrugen.
Am 5. Oktober 2022 gastierte das israelische Meitar Ensemble im großen Minoritensaal. Am Programm standen Werke von Talia Amar, Ziv Cojocaru, Amos Elkana, Manuela Kerer und Hannes Kerschbaumer. Edo Frenkel dirigierte das Konzert, das in Kooperation mit der ÖGZM und der Internationalen Paul Hofhaymer Gesellschaft stattfand. Vor dem Konzert gab der israelische Komponist Amos Elkana eine Lecture im Cubus.
Bei zwei Konzerten am 26. April und am 9. November 2022 kooperierte das KULTUM mit dem Grazer Ensemble Zeitfluss. Edo Micic leitete das erste Konzert, in dem Werke von Paul Hindemith, Milica Vujadinovic (UA), Yulan Yu und Klaus Lang gespielt wurden; Antanina Kalechyts dirigierte am 9. November 2022 Werke von Alyssa Aska, Sara Glojnaric, Marko Markus, Daniel Moser und Weiwei Xu.
Darüber hinaus fanden weitere Konzerte in Kooperation mit dem Vokalensemble Cantando Admont und dem Ensemble echo_von_nichts statt. Ende des Jahres übergab Christoph Renhart die Kuratierung der Sparte Neue Musik an den Grazer Komponisten Benedikt Alphart.
Die 2021 neu belebte Sparte Diskurs im KULTUM wurde im Jahr 2022 mit einem klaren inhaltlichen und qualitativen Profil versehen und hat sowohl mit Präsenzveranstaltungen als auch Online-Formaten unsere brüchige Krisen- und Kriegsgegenwart zeitdiagnostisch ausgedeutet – mit historischer Sensibilität für die Kulturleistungen früherer und gleichzeitig mit zeitgenössischer Offenheit für die (populär-)kulturellen Energien unserer Tage. Neben „klassischen“ Vorträgen und anlassbezogenen Diskursveranstaltungen wurden 2022 zwei neue Veranstaltungsreihen sowie zwei neue kuratoren- bzw. personenzentrierte Online-Formate eingeführt – intellektuell redlich, milieuübergreifend und neugierig suchend.
In der Reihe „Seismographics“ etwa wurde am 28. April 2022 mi Steve Rabitsch und Julia Baier über die Prophetie von Hollywood-Filmen diskutiert und der Theologe Martin Dürnberger hat am 10. Mai 2022 nach dem Erkenntniswert von Rapsongs gefragt.
In der Reihe „Neu Gelesen. Neu Erzählt. Neu Gemischt.“ waren 2022 Expertinnen und Experten eingeladen, einen (Zeitzeugen-)Text über Katastrophen-, Kriegs- und Krisenzeiten vergangener Zeiten neu auszudeuten. In teilweiser Kooperation mit der KHG Graz wurde etwa am 31. März 2022 mit Brigitte Quint und Walter Schaupp ein satirischer Text über einen antiken Wunderheiler (und Proto-Corona-Scharlatan) debattiert, der Kulturwissenschaftler Hartmut Böhme aktualisierte am 22. Juni 2022 Ovid’s Sintflut-Erzählung und der Journalist Martin Haidinger interpretierte am 28. Oktober 2022 Grimmelshausens Simpliccissimus vor dem Hintergrund des Ukrainekriegs.
Ad hoc … im Leseraum: Mit diesem Online-Format reagierte Diskurs-Kurator Florian Traussnig spontan auf Zeitaktuelles: So hat er etwa den Ukraine-Krieg oder die Fußballweltmeisterschaft in Katar auf Youtube analysiert und kommentiert.
Schlaglicht: Mit kurzen „Biopics“ bzw. informativen Miniaturen warf Diskurskurator Florian Traussnig analytische Schlaglichter auf zeitgenössische oder historische Intellektuelle oder Politiktreibende und verzahnte diese mit aktuellen Debatten und gesellschaftlichen Phänomenen. Zuletzt stellte er sich die Frage, ob wir im "Zeitalter der Killerclowns" leben.
Andere & Aktuelle Diskurse:
Es gab auch Kooperationen mit den anderen KULTUM-Sparten (bei den ersten "Blumenbergtagen" am 30. September ein Diskurs-Brunch mit Rüdiger Zill und Aglaia Kister), der UNI Graz (mit der erfolgreichen Veranstaltungsreihe Kunst im Krieg im WS 2022/23) und ein Diskurspanel im Rahmen der „Camps Conference“ am 26. Mai 2022 in Anwesenheit von ehemaligen Guantanamo-Häftlingen). Der Vortrag mit dem Kulturphilosophen Bazon Brock am 7. November 2022 geriet online zum Quotenhit: Fast 9000 Mail wurde er innerhalb von zwei Monaten aufgerufen.
Zum Saisonauftakt konnten wir im März 2022 das auf Grund der Pandemie bereits zwei Mal verschobene hochaktuelle Umweltstück „D’Ärdgeiss“ der Schweizer Puppenspielerin Margrit Gysin zeigen. Es war die Österreich-Premiere! Ausgezeichnet mit dem STELLA 2019 für herausragende darstellerische Leistung und eigens für unseren Veranstaltungsraum Cubus adaptiert wurde das Tanz Stück „PIP“ von Tänzerin Emmy Steiner und Dschungel Wien. Wortlos, nur mit dem Körper, Gestik und Mimik zog Emmy Steiner alle Aufmerksamkeit auf sich und sorgte bei Alt und Jung für Begeisterung.
Viel lauter ging es beim Kunstworkshop DINGS zur Sache. Veronika Reiter begleitete unser Publikum ab 6 durch die Ausstellung DINGE / THINGS von Manfred Erjautz. Dabei durfte geschrien, gelauscht, gerätselt und in der Werkstatt selbst getan werden. Im Mai war das Theater Geist aus Berlin zu Gast im KULTUM. Mit sehr viel Knetmasse inszenierte Annegret Geist den preisgekrönten Buchklassiker „Du hast angefangen! Nein, du!“ von David McKee. Zu sehen war ein humorvolles Stück über Streit, Frieden, Empathie und Perspektivenwechsel. In Kooperation mit dem internationalen Grazer Theaterfestival für Junges Publikum SPLEEN ließen wir im Juni unsere Phantasie spazieren gehen. Das Stück „Wolkengucken“ des Figurentheater Anne-Kathrin Klatt aus Tübingen über das Flüchtige und Beständige im Leben lud zum Träumen ein.
Das neue Schuljahr läuteten wir mit dem lauten und lustigen Stück „Bei Vollmond spricht man nicht“ von Theater Anna Rampe aus Berlin ein. Eine widerspenstige Prinzessin begibt sich allein auf Reisen und erlebt so einige Abenteuer. Begeistert empfangen wurden am 6. und 7. November auch diesmal wieder„Wolkengucken“des Bavastel Puppentheater Graz. Ein besonderes Highlight war ohne Zweifel am 27. und 28. November 2022 das weithin bekannte Stück „Das Neinhorn“. Mit viel Freude und scharfzüngigem Humor erzählten die beiden Schauspielerinnen Annegret Geist und Christine Müller die Geschichte des eigensinnigen Einhorns auf der Suche nach dem eigenen Weg. Ruhig und besinnlich bei Kerzenschein und Weihnachtsliedern endete das Theaterjahr am 21. und 22. Dezember 2022 mit dem weihnachtlichen Figurenspiel „Über die Felder und dann nach links“ / Hör- und Schaubühne Stuttgart nach einer Geschichte von Otfried Preussler.
Nach zwei zähen Theaterjahren im Zeichen der Pandemie, kehrte das Publikum 2022 in unser Haus zurück. Die Stücke waren vor allem in der zweiten Jahreshälfte zum großen Teil ausverkauft.