CINEMA ALTERA: Unser Programm im Februar/März 2023
Das KULTUM verwandelt sich zur Diagonale-Zeit diesmal in ein CINEMA ALTERA. Alle Ausstellungsräume werden zu einem anderen Kino, inszeniert mit einer Ausstellungsarchitektur, die gleichzeitig Kunst ist. Die aber keine Inszenierung im klassischen Sinne ist, sondern eher ein Paralleluniversum, das die digitale Oberfläche nicht sperrig werden lässt, sondern die im Medium sinnlicher Erfahrung in die digitale Filmerzählung leichter, neugieriger einsteigen lässt: Ich muss zugeben, dass ich noch selten bei einer Ausstellung derart „hilflos“ war – angesichts des bewältigten Materials, das ein Künstler vorgelegt hat. Hilflos nämlich in dem Sinne, für eine Kunst beim Publikum „werben“ zu wollen, das noch nicht weiß, was ihm entgeht, würde es nicht zu dieser Ausstellung kommen. Also, herzliche Einladung! Denn die Kunst, die Thomas Henke hier – in Installationsbauten von Lorenz Estermann – in seiner „Retrospektive“ (er ist erst 51) als „künstlerische Portraitarbeit“ bezeichnet, geht derart „unter die Haut“, das man nur schwer wieder auftauchen kann.
Wie können derartige Werke in heutiger Kunst entstehen, das habe ich mir bei Thomas Henke in den letzten Jahren schon öfters gefragt, angefangen vom „Film der Antworten“, den der Künstler 2013 bei uns zum ersten Mal gezeigt hat, bis zum jüngsten „Samstag Mittag, 12 Uhr“: Was beispielsweise Thomas und Peggy Henke die bekannte Schauspielerin Martina Gedeck in ihrem jüngsten Film lesen lassen, ist derart erschütternd – angesichts des Wissens, dass die Schreibende dieses Tagebuchs von 1941 bis 1943, die jüdische Schriftstellerin und Intellektuelle Etty Hillesum (1914–1943), in Auschwitz als eine von 6 Millionen Jüdinnen und Juden ermordet werden wird: Sie ahnt alles voraus, sie stellt sich nach auf dieses unvorstellbare Ende ein, sie ging offenen Auges darauf zu. Sie hätte die Möglichkeit gehabt, unterzutauchen. Aber sie tat es nicht. Doch was dabei an innerer Entwicklung sichtbar wird, ist schier unvorstellbar. Und gleichzeitig ist es ein tour de force in spiritueller Sicht. Ihre Anrede Gottes angesichts ihres Wissens, das sie ermordet wird – unfassbar. „Wir müssen dir helfen, nicht du uns“, heißt es etwa an einer Stelle.
Henkes Zugriff auf existenzielle Fragestellungen ist so außerordentlich, dass unser Haus als Ort der Auseinandersetzung von Gegenwart, Kunst und Religion wie gemacht dafür ist – gerade in einer Zeit, wo verfasste Religion rundherum gerade implodiert. Eine derartige Kunst braucht einen Ort. Und sie braucht ein Publikum, das sich Zeit dafür nimmt, mit diesen besonderen Portraiterzählungen des Künstlers in den eigenen Spiegel zu blicken. Wie vielfältig das sein kann, lesen Sie auf den nächsten Seiten. Am Aschermittwoch (22. Februar) wird Thomas Henke kommen – ich lade Sie herzlich zum Gespräch ein.
Am Aschermittwoch und einen Tag davor (21./22. Februar) ist das KULTUM Gastgeber für eine länderübergreifende bild-theologische Fachtagung, die Martina Bär, Professorin für Fundamentaltheologie an der Uni Graz, mit ihren Kollegen aus München und Marburg durchführt: Der so genannte „Iconic Turn“ wird erstmals als wissenschaftliche Fragestellung für die christlichen Konfessionen behandelt. Die Tagung ist auch für ein interessiertes Publikum offen. Am Abend dann ist KULTUM-Neue Musik in der Liturgie zum Aschermittwoch am 22. Februar in der Kirche St. Andrä zu hören, in der die Violinistinnen Judith Fliedl und Alyona Pynzenyik Luigi Nonos „Hay che caminar“ interpretieren werden.
Am 16. März ist dann so etwas wie der „Höhepunkt“ der Henke-Retrospektive: Der Philosoph Thomas Macho, die Schriftstellerin und Büchner-Preisträgerin Felicitas Hoppe und der Pianist und Echo-Klassik-Preisträger Claudius Tanski werden über „Kunst als Zuflucht und Befreiung“ lesen und diskutieren und, ja, spielen. Ich wünsche Ihnen, dasss Sie Zeit(en) finden, in diese besondere Welt einzutauchen oder eine oder mehrere der Spezialscreenings, die wir meist sonntags am frühen Abend und in den ersten Tagen der Karwoche durchführen.
In der Diagonale-Woche freuen wir uns abermals, Gastgeber für eine engagierte Diskussion zu sein. An dieser Stelle sei Peter Schernhuber und Sebastian Höglinger auch ein besonderer Dank für die wunderbare Zusammenarbeit in den letzten Jahren gesagt! Am 24. März diskutieren die Regisseur*innen Evelyne Faye, Rainer Frimmel und Weina Zhao und der Medienethiker Hans-Walter Ruckenbauer unter der Diskussionsleitung von Florian Traussnig Selbstbehauptungen im Portrait anhand der beiden Filme „Lass mich fliegen“ und „Emile – Tagebuch eines Optimisten“. Trotz enormer finanzieller Engpässe werden wir auch diesmal den „Preis für den besten Kurzdokumentarfilm“ auf der Diagonale 23 stiften. Danke, Natalie Resch, für die Organisation der Jury!
Diskurskurator Florian Traussnig nimmt das traurige Datum des ersten Jahrestages des Kriegsbeginns in der Ukraine zum Anlass, am 28. Februar mit dem Experten Ralph Janik über „Russland- und Ukrainebilder auf Austrotwitter & Co.“ zu diskutieren.
Nicht unerwähnt bleiben darf an dieser Stelle, dass das erste Konzert unseres neuen „Neue Musik-Kurators“ Benedikt Alphart am 23. Jänner ein großer Erfolg war. Das „Lautsprecherorchester“ spielte unter dem „Dirigat“ des in Graz lebenden Komponisten und Klangkünstlers Roman Gavryliuk. Der Kontrabass von Juan Pablo Trad Hasbun steuerte den elektronischen Klängen akustisches „Low End“ bei. Bestellen können Sie auch unser frisches PIXI-Programmbuch für die Jüngsten als Programmvorschau für den Frühling/Sommer. Am 5./6. März geht es mit „Gute Nacht“ (Mezzanin Theater Graz) und am 19./20. März mit der „Kleinen Wolke“ („Fliegendes Theaters Berlin“) wieder los. Fühlen Sie sich eingeladen und willkommen!
Herzlichst: Ihr Johannes Rauchenberger