Zlatko Kopljar: Auslöschung
Der Ziegelturm im Hof vor dem Minoritensaal ist eine der 22 „Konstruktionen“ des kroatischen Künstlers Zlatko Kopljar, der im KULTUM im steirischen herbst 24 auf drei Etagen ausgestellt wird. Ausgelöscht sind längst die Hersteller dieser Ziegel. Ausgelöscht ist vielfach auch die Erinnerung, gegen die sich der Künstler zur Wehr setzt: Es breitet sich dabei ein künstlerisches Werk aus fast vier Jahrzehnten aus, die die Frage nach der Rolle der Kunst in einer heutigen Gesellschaft stellt, die bedrohlich an ihren Fundamenten des Zusammenlebens sägt: Kopljars Werk setzt sich mit den Themen Schuld und Opfer nach der Erfahrung des Krieges auseinander, mit Werten in einer postkommunistischen und einer kapitalistischen Gesellschaft, mit Ethik und vor allem mit der Sehnsucht nach Orientierung. Transzendenz, Erhabenheit und Rituale spielen dabei eine große Rolle. Der Künstler setzt sich gegen Auslöschung dieser Themen vielfach zuwehr.
AUSLÖSCHUNG gilt aber auf spezifische Weise auch für Kopljars eigenes künstlerisches Schaffen: Nach der Inszenierung als Performer, später als Lichtfigur, werden bildhauerische Modelle entworfen, die die Frage nach Kommunikation untereinander und die Bergung von Kunst sehr grundsätzlich stellen: Das MoMA in New York und die Tate Modern in London werden zu Reliquiaren in dieser Schau. Schließlich verabschiedet sich Kopljar auch von dieser Form von Kunst und beginnt eine Phase als Maler. Diese Gemälde, die seit 2021 entstehen, sind das erste Mal überhaupt in dieser Ausstellung (im großen Ausstellungssaal) zu sehen: Mit „Disturbances“ betitelt, evozieren sie Frieden, Spiritualität und Erhabenheit.
Diese Ausstellung im Partnerprogramm des steirischen herbst 24 mit seinem aktuellen Thema „HORROR PATRIAE“ zeigt einen künstlerischen Spannungsbogen aus mehr als drei Jahrzehnten. In immer neuen Anläufen und in unterschiedlichsten Medien bearbeitet Kopljar dabei auch seinen persönlichen „Horror Patriae“, der auch ein allgemeiner und aktueller ist – nicht nur für Österreich, sondern für ganz Europa. Der Künstler weitet aber sein eigenes Trauma von Ex-Jugoslawien und dessen Kriege auf die Traumata des 20. und 21. Jahrhunderts insgesamt aus.
Faschismus, Vernichtung, (Post-)Sozialismus und (Post-)Kapitalismus stehen dabei im Zentrum seiner künstlerischen (Er-)forschung und Transformation. Seine immer wiederkehrende Lebensfrage ist: „Welche Rolle spielt in all diesen Feldern der Künstler?“ Und die Kunst selbst? Selbst wenn er – oder sie – von Grund auf scheitert: Es gibt bei Kopljar eine faszinierende Dialektik, die der Künstler konsequent durchspielt. Was all diese Prozesse und Bilder eint, hat mit dem Ausstellungsthema „Auslöschung“ ein mehrdeutiges Schnittfeld.
Die umfangreiche Schau beginnt im Hof vor dem Minoritensaal mit von Zwangsarbeiter*innen eines ehemaligen Konzentrationslagers in Jasenovac (in dem ebensoviele Menschen getötet wurden wie im österreichischen Mauthausen)hergestellten Ziegeln (K19). Es klebt Blut an ihnen. Die Ausstellung spannt den Bogen zum reinszenierten Kniefall Willi Brandts (K15) im Warschauer Ghetto im Kleinen Minoritensaal und führt über den Lift bzw. der Stiege West zum neu adaptierten Ausstellungsflügel im 2. Stock: In den sieben Ausstellungszellen und im Gang ist das Frühwerk mit den dokumentierten Performances und das Spätwerk seiner insgesamt 22 „Konstruktionen“ zu sehen, die sich um Licht und Auslöschung drehen. Auf dem Podest zum Dachboden (das nur mit Ausstellungsbegleitung zu besichtigen ist) liegen leichte Federn und eine große Nadel. Dutzende an (viel kleineren) Nadeln wurden im großen Ausstellungsraum im Westflügel in die (Lehm-)Wand gerammt: „I BELIEVE“ aus dem Jahre 1993. Damals war Zlatko Kopljar von Andrej Tarkowskij beeinflusst, in dessen Filmen wiederholende Rituale beschworen werden.
Die Hauptwerke, u.a. K9 compassion, die „Knieperformance“ in New York und anderen Zentren der Macht, für die Kopljar international bekannt geworden ist, sind im 1. Stock der Museumsräume arrangiert. Der Künstler kniet dabei auf einem Taschentuch, dem einzigen Stück Land, das er dabei hat. Seine Geste ist nur auf dem ersten Blick eine Unterwerfung. Sie ist vielmehr eine Selbstbehauptung. Jahre später reflektiert Kopljar diese Performance mit einem erneuten New York-Aufenthalt: K17 wird zum erschütternden Dokument eines Aufeinander-Angewiesenseins weniger durch Empathie, als viel mehr in der Gier: Der Film ist im Cubus zu sehen.
Was kann Kunst zu den Gesellschaftsfragen beitragen? Zlatko Kopljar hat eigentlich sein ganzes Lebenswerk dieser Frage gewidmet. Er appelliert dabei auf die Unterscheidung von gut und böse, er glaubt an ein ethisches Handeln. Blauäugig ist er dabei nicht, im Gegenteil. Er setzt auf die Macht des Subjekts und glaubt an die Präsenz – selbst nach ihrer Auslöschung. Sein Werk ist von nun an Teil unseres Museums. Ich freue mich sehr darüber.
Herzlich willkommen!
Johannes Rauchenberger