Das Programmjahr 2021 im KULTUM stand einerseits unter den Vorzeichen radikaler Einschränkungen im Kulturbereich im Zuge der Corona-Schutzbestimmungen und andererseits unter den Vorzeichen eines großen Umbaus im Grazer Minoritenkloster: Kreuzgang, Höfe und die Minoritensäle wurden seit Februar 2020 umfassend saniert. Diese Umstände hatten erhebliche Einschränkungen in der konkreten Programmarbeit zur Folge. Gleichzeitig ist am Ende ein völlig neues, überraschendes, einladendes Areal entstanden, das zu den attraktivsten von Graz gehört und uns völlig neue Arbeitsmöglichkeiten eröffnet.
Nichtsdestotrotz haben wir unter diesen teilweise äußerst widrigen Umständen ein schönes – und auch viel besuchtes Programm (vor allem in den Ausstellungen) – realisieren können. Trotz der unterschiedlichen Lockdowns hatten wir insgesamt 211 Ausstellungstage. In insgesamt drei Programmzeitungen wurde das Programm vorgestellt.
Es war im besten Sinne eine In-Spiration, eine Einhauchung, eine Beatmung mit Kunst für diesen neu renovierten Minoritensaal. Die offizielle Eröffnung findet am 22. Jänner 2022 statt, die künstlerische Einweihung ging am vergangenen Freitag, den 12. November über die Bühne. Mehr als eineinhalb Jahre wurde der Minoritensaal und das ganze Areal renoviert. Fünf Monate lang lief mitten in der Baustelle die Ausstellung EINATMEN – AUSATMEN, die wir heute abgebaut haben.
Mit „neu, ATEM, neu“ hat das Kulturzentrum bei den Minoriten diesen besonderen Ort, in dem seit 1965 kulturelle Veranstaltungen stattfinden, künstlerisch „wiedereingeweiht“. Im lateinischen Sinne von „dedicatio“: Was ja so viel heißt wie Widmung, Zueignung. Das war der Atem, der durch die Corona-Pandemie so im Zentrum steht – aber vor allem ist dieser angstbesetzt, wo er doch die Bedingung des Lebens ist. ATEM – das ist aber auch eine Übersetzung für „Spiritus“, den Heiligen Geist: Diese Politarität schwang in diesem Projekt „ATEM“ mit, das wir ja mit Pfingsten begonnen hatten.
Explizit und implizit kam dies auch in der ersten Lesung der Büchner-Preis-Trägerin Felicitas HOPPE vor, die diesen unglaublich schönen Abend eröffnet hat: "Lieb Nachtigall, wach auf". Ein biografischer Text über erste religiöse Imagination des Asthma-Kindes, eine Erinnerung an den Flötenspielenden Vater mit dem genannten Lied, von dem es am Ende hieß: SING, SING, SING, SING!
Ihr folgte ein auch für diesen Abend geschriebenen Text Arnold STADLER, eine fulminante Prosa, die sich an eine Reise an den Kilimandscharo anknüpft, wo der Schriftsteller ob seines Asthmas nicht rauf durfte, diesen Berg des Paradieses (für so viele Touristen) aber imaginierte. Barbara Rauchenberger hat diesen wunderschönen Text für den Autor, der coronabedingt im letzten Atemzug abgesagt hatte, gelesen.Darüber hinaus waren noch Gedichte des Leipziger Lyrikers und Theologen Christian LEHNERT, gelesen von Daniel Douenis, und der Wiener Schriftstellerin Margret KREIDL zu hören, deren Gedichtzyklus „EINLEUCHTEND WEISS“ (in Auszügen) von den Komponist*innen Sanziana Dobrovicescu, Clemens Nachtmann und Antonis Rouvelas vertont wurde. Die Mezzosopranistin Klaudia TANDL und das ENSEMBLE AIRBORNE EXTENDED haben die Werke wunderbar interpretiert. Die Wochenzeitung "DIE FURCHE" hat in ihrem aktuellen Feuilleton den ganzen Text Margret Kreidls abgedruckt.
Zuvor fand die letzte Führung durch die Ausstellung EINATMEN – AUSATMEN mit Kurator Johannes Rauchenberger und Gastkuratorin Katrin Bucher Trantow statt: Mehr als fünfzig Personen nutzten ein letztes Mal diese Möglichkeit, die Ausstellung, die von so vielen gesehen wurde, zu besuchen.
Bereits am Nachmittag wurde in einem von Florian Traussnig gestalteten DISKURSPANEL im neu gestalteten kleinen Minoritensaal nach Atem und Atemlosigkeit in Kunst, Philosophie und Gesellschaft gefragt. Welche Rolle spielt Atmung in der Kunst? Die Berliner Kunsthistorikerin Linn BURCHERT blickte auf die (zeit-)historischen und zeitgenössischen Dimensionen der Inspiration. Atemnot als gesellschaftliche und diskursive Metapher thematisiert die Kasseler Literaturwissenschaftlerin Nikola Roßbach und setzte sich dabei differenziert mit den alten und neuen Unfreiheiten der Rede auseinander. Eine neue politische – und friedlichere – Philosophie, die uns Menschen als Atmende und Entzünder sieht, skizzierte der slowenische Philosoph Lenart Škof, der alle Anwesenden in Bann zog.
Herzlich willkommen in den Spätherbst hinein, den wir frühlingshaft beginnen: Am 12. November schließen wir im neu renovierten Minoritensaal die Klammer zu Pfingsten, ja, so merkwürdig wollen wir hier die Zeitrechnung schreiben. HIERHIN, ATEM! war nämlich der Beginn in diesem Finale einer riesigen Baustelle, die in diesen Tagen zu Ende gegangen ist. Und ein Start – wir erinnern uns? – des weitgehenden Verbots, Kulturveranstaltungen abzuhalten. Und jetzt heißt es bald wieder: "Wie lange noch?" WHO IS AFRAID OF NEW NORMAL? war denn auch eines der meist fotografiertesten Sujets unserer Ausstellung, die in den letzten fünf Monaten hier gelaufen ist. Immer wieder haben sich Kunstwerke anders gezeigt, je nach Lärm, je nach Wind, je nach Staubsituation. Wir haben geseufzt, den Atem angehalten. Nun atmen wir durch. Am 12. November gibt es auch die letzte der so oft abgehaltenen Führungen durch diese Ausstellung.
Aber was ist das schon angesichts eines wirklich historisch zu nennenden Kraftakts, den all die Handwerker, Restauratorinnen und Architekten mit dem Minoritenkonvent und dem unermüdlichen Guardian P. Petru Farcaş als Bauherrn, unterstützt durch ein Kuratorium mit verantwortungsvollen Vertretern des öffentlichen Lebens und finanziert vor allem mit den Mitteln der Stadt Graz und des Landes Steiermark, hier in den letzten zwei Jahren geleistet haben! Wir sind ja nur Mieter (hatten also auch sehr wenig dazu zu sagen) – und dennoch die täglichen Nutznießer all dieser neuen Schönheiten: der neu zu erlebende Kreuzgang mit seinen charakteristischen Säulen, die durch die Mauerdurchbrüche sich in der Sichtachse nun auch auf den zweiten Hof erstrecken. Das neu atmende Ambiente einer Architektur aus dem frühen (und mit dem Minoritensaal späten) 17. Jahrhundert. Das italienische Flair, das an den franziskanischen Ursprung dieses Ortes erinnert. Don't forget: Seit dem späten 13. Jahrhundert sind die Minoritenbrüder (die bis zum späten 15. Jahrhundert im Franziskanerkloster angesiedelt waren) durchgehend in Graz.
Dagegen sind die 46 Jahre, die das Kulturzentrum bei den Minoriten hier seinen Ort hat, reichlich wenig, nicht wahr? Man wird also bescheiden in einem solchen Ambiente mit seinen guten (schlechte gab es auch genug!) Geistern. Pietro de Pomis (der Architekt des Klosters und der Kirche und der Schöpfer der Mariahilf-Madonna), Joachim Carlone (der Architekt des Minoritensaals), Carlo Maderni (der Maler der Deckenfresken), Johann Baptist Raunacher (der Maler der „Speisung der 5000“), die Eggenberger, die das alles finanzierten, sind solche am Anfang aus dem Bereich der Kunst. Freilich, viele der neuen Nutzer dieses neu gestalteten Veranstaltungszentrums werden zurückfallen wollen in das barocke Flair. Und Saal wie bezauberndes Ambiete sind ja auch ein hervorragender Ort dafür. Aber dieser Ort ist auch ein Ort des Widerspruchs! So steht SILENTIUM an der Stirnwand, wo doch geredet, musiziert und gefeiert wird. Er ist eigentlich ein Speisesaal, der er längst keiner mehr ist und wo höchstens potente Mieter ihre Speisedinner abhalten werden. In seiner Entstehungszeit wurde er reichlich üpping ausgestattet angesichts seiner Nutzer, der franziskanischen Brothers, die sich doch der Armut mit dem Heiligen Franziskus verschrieben haben. Und es sind heute die Bettler, die als verlässliches Personal hier zu Messenszeiten im Kreuzgang täglich ihren Raum beanspruchen. Ein Saal, ein Ort voller Widersprüche, durch und durch.
Vielleicht ist er deshalb auch so gegenwärtig? Von Egon Kapellari, dem früheren Grazer Bischof und in Kunstdingen leidenschaftlichen Mann, lernte ich in den letzten Jahren, dass die Geschichte dialektisch verläuft. Was auch immer also aus diesem Ort werden wird, hier ist der Atem der Historie sehr stark. Auch jener der jüngsten Geschichte! Denn dass an diesem lange so heruntergekommen wirkenden Ort ausgerechnet zeitgenössische Kunst so beharrlich ihren Raum beansprucht hat, ist alles andere als selbstverständlich. Und die Geister, die hier in Form von Kunstwerken (im Zwischengeschoß mit den kleinen vergitterten Fenstern) lagern, sind wachsam. Sie werden immer wieder aufwachen, vielleicht werden sie sich auch zeigen, in diesen alten Gemäuern.
Dass Kunst, Gegenwart und Religion sich produktiv verhalten können, dafür steht das KULTUM in Graz – und es ist in dieser Hinsicht eine Leuchtmarke im europäischen Raum. So groß sind dann auch die Namen, die hier, im altehrwürdigen Minoritensaal, am 12. November das erste Mal lesen werden. Felicitas Hoppe und Arnold Stadler, Christian Lehnert und Margret Kreidl. Wenn man nach Namen in der zeitgenössischen Literatur sucht, wo auch Religion eine besondere Rolle spielt, so zählen sie zur ersten Reihe. Seien auch Sie bei dieser Art von In-Spiration dieses Ortes dabei – und fühlen Sie sich eingeladen!
Zum Abschluss der Renovierung des Minoritensaals und des MINORITEN-Kreuzgangs lädt das KULTUM zu einem dichten Festprogrammam 12. November 2021 – mit Lesungen, einem Konzert, einer abschließenden Ausstellungsführung und mit einem Diskurspanel:
Wovon sprechen wir, wenn wir von Atem reden? Die Literatur bezweifelt das Sang- und Klanglose, zumindest bezweifelte sie es, seit sie begann. Mit dem ihr eigenen Atem, der länger ist, ersetzt sie das Sang- und Klanglose durch Sprache, unterwandert das Sprachlose mit ihren Atemzügen, widerspricht mit den Luftgeschäften der Poesie den Verstockungen. Wir haben Felicitas HOPPE,Christian LEHNERT, Margret KREIDL und Arnold STADLER eingeladen, zu ATEM neue Texte zu schreiben: Diese werden im neu renovierten Minoritensaal erstmals gelesen. Die Mezzosopranistin Klaudia TANDL und das ENSEMBLE AIRBORNE EXTENDED bringen erneut Vertonungen von Margret Kreidls Text „EINLEUCHTEND WEISS“ der Komponist*innen Sanziana Dobrovicescu, Clemens Nachtmann und Antonis Rouvelas zu Gehör.
Noch einmal kann in einer abschließenden Führung die Ausstellung EINATMEN – AUSATMEN, die in der Endphase der Minoriten-Baustelle mit Werken von mehr als einem Dutzend Künstlerinnen und Künstlern dem alten Gebäude ebenso einen Atem einhauchte wie auch tief existenzielle Beiträge zum Atem und zur Atemnot zur Anschauung brachte, besichtigt werden.
Bereits am Nachmittag wird in einem von Florian Traussnig gestalteten DISKURSPANEL im neu gestalteten kleinen Minoritensaal nach Atem und Atemlosigkeit in Kunst, Philosophie und Gesellschaft gefragt. Welche Rolle spielt Atmung in der Kunst? Die Berliner Kunsthistorikerin Linn BURCHERT blickt auf die (zeit-)historischen und zeitgenössischen Dimensionen der Inspiration. Atemnot als gesellschaftliche und diskursive Metapher thematisiert die Kasseler Literaturwissenschaftlerin Nikola ROSSBACH und setzt sich dabei differenziert mit den alten und neuen Unfreiheiten der Rede auseinander. Eine neue politische – und friedlichere – Philosophie, die uns Menschen als Atmende und Entzünder sieht, skizziert der slowenische Philosoph Lenart ŠKOF.
Bürgermeister Siegfried Nagl lädt am Ende des Abends in den neuen Räumlichkeiten des Minoritenzentrums zu einem Buffet.
Wir laden Sie herzlich am Freitag, den 22. Oktober 2021 um 19 Uhr ins KULTUM (Cubus) zur nächsten Ausgabe der Lyrik-Reihe DER DOPPELTE GAST mit Ursula Krechel und Daniela Danz ein. Barbara Rauchenberger, die Kuratorin der Reihe, führt in die Werke der beiden Autorinnen ein.
Der neue Gedichtband BEILEIBE UND ZUMUTE, der vielfach ausgezeichneten Autorin Ursula Krechel erprobt den Gang übers Seil und vermeidet dennoch jegliche Haltung, die ein Glücken garantieren könnte. Es sind Kunststücke mit offenem Ausgang und offenem Ende, gleichermaßen kühn, wie klug, voller Wagemut und Spielfreude. Sie zeigen Zeile für Zeile die Meisterschaft einer großen Autorin.
Wenn zeitgenössische Lyrik eine Dringlichkeit hat, dann in den Versen von Daniela Danz, die sie in ihrem letzten Gedichtband WILDNIß versammelt hat. Das Brachland als Gemeinschaftsraum, die Wildnis als Spiegel: Stets greifen ihre fulminanten Gedichte, formbewusst und voll Entdeckerfreude weit aus und führen doch immer auch ins innerste Fühlen zurück.
"LEICHTEN REHFALL" verspricht der nächste Abend der Lyrik-Reihe „Der doppelte Gast“ im KULTUM. Ulrich Koch und Thomas Kunst lesen am kommenden Freitag, den 8. Oktober bei uns im Cubus. Es wird ein poetischer Pas de deux, soviel ist sicher...
"Wie soll es weitergehen, jetzt, wo ich lebe", heißt es in einem Vers, der Ulrich Kochs zehntem GedichtbandDies ist nur ein Auszug aus einem viel kürzeren Text entnommen ist, einem Band, der von der Darmstädter Jury zum Buch des Monats September 2021 gewählt wurde. Diese Gedichte aus dem Flachland des Lebens sind sowohl Daseinsfeier als auch Sprachartistik, und zugleich untergraben sie auf zärtliche Weise beides: Zu meiner Wiedergeburt trage ich schwarz.
Die Gedichte von Thomas Kunst gehören zu den Virtuosesten und Fantastischsten, die sich kaum einfügen lassen in die zeitgenössische Lyriklandschaft. Weil sie ganz bei sich sind. Und weil sie glücklicherweise alles vermissen lassen, wonach „profane Epiphaniker“ lechzen. Eine einfache Probebohrung aus dem BandKolonien und Manschettenknöpfe ist Beweis genug: "Wenn wir nicht wußten, ob wir schon tot waren, gingen wir Früchte kaufen, immer nur Äpfel, Aprikosen und Früchte".
Für alle, die schon die Lange Nacht der Museen für sich planen: Im KULTUM herrscht dichtes Programm: Um 18.30 Uhr spricht Kurator Johannes Rauchenberger mit Künstler Daniel A. Zaman, um 19.30 Uhr stoßen Gastkuratorin Katrin Bucher Trantow und Künstler Michael Endlicher dazu, mit dem die beiden ein Gespräch führen, um 20 Uhr gibt es eine "exklusive" KuratoInnenrenführung für die Lange Nacht. Wer noch Stille und Einkehr sucht: Von 21.30 bis 22.30 ist Heribert Friedls so beeindruckende Soundinstallation "tears of c" in der Mariahilferkirche zu hören... WELCOME!!