reliqte, reloaded: Zum Erbe christlicher Bildwelten heute.
Artists
KULTUM: Kulturzentrum bei den Minoriten, Mariahilferplatz 3, 8020 Graz
Siegfried Anzinger (AT/DE), Anna & Bernhard J. Blume (DE), Julia Bornefeld (IT/DE), Gor Chahal (RU), Christian Eisenberger (AT), Manfred Erjautz (AT), Hermann Glettler (AT), Dorothee Golz (DE/AT), Bertram Hasenauer (AT/DE), Thomas Henke/Joachim Hake (DE), Werner Hofmeister (AT), Edgar Honetschläger (AT), Lena Knilli (AT), Zenita Komad (AT), Nina Kovacheva (FR/BG), Julia Krahn (IT/DE), Muntean/Rosenblum (AT/IS), Alois Neuhold (AT), Adrian Paci (AL/IT), Arnulf Rainer (AT), Werner Reiterer (AT), Keiko Sadakane (DE/JP), Valentin Stefanoff (FR/BG), Claudia Schink (DE), Michael Triegel (DE), Norbert Trummer/Bodo Hell (AT), Tobias Trutwin (DE), Matta Wagnest (AT), Mark Wallinger (GB), Eduard Winklhofer (DE/AT), Markus Wilfling (AT), Maaria Wirkkala (FI), Daniel Amin Zaman (AT)
QL-Galerie: Leechgasse 24, 8010 Graz: Edgar Honetschläger (AT)
Andrä Kunst: Kernstockgasse 9, 8020 Graz: Irmgard Schaumberger (AT)
Curated by: Johannes Rauchenberger (KULTUM), Alois Kölbl (QL-Galerie)
Gefördert von VAH - Verein Ausstellungshaus für christliche Kunst, München e.V., steirischer herbst, Bundeskanzleramt: Sektion Kunst, Land Steiermark, Stadt Graz
Erbe
Den Beginn der Ausstellung macht der Blick auf ein Bildererbe, das uns längst umgibt: In den Lehmwänden des KULTUMs wurden von der finnischen Künstlerin Maaria Wirkkala 2011 Bilder freigelegt – von Künstlern der allerersten Reihe, allerdings nicht des XXI., sondern des XV. und XVI. Jahrhunderts: Fra Angelico, Ghirlandaio, Gozzoli, Piero della Francesca, aber auch Hieronymus Bosch sind dabei vertreten: Ihre „ständige Sammlung“, die sie anschließend der Sammlung des KULTUMs stiftete, war der Beginn eines vor fünf Jahren ausgerufenen „Museums für Religion in der Kunst der Gegenwart“: Wer ein Museum hat, braucht eine ständige Sammlung! Nach der Ausstellung wurden diese freigelegten Bilder wieder verdeckt. Sie waren seither immer da. Für die Ausstellung sind sie erstmals wieder frei zu sehen.
Entladung – Aufladung: Ging überhaupt je etwas zu Ende?
Dennoch: „Entladung“ von Bedeutung ist der zweite Zugang zur Schau. Sonst wäre ein „reloaded“ fehl am Platz. Dahinter stehen die großen geistes- und kunstgeschichtliche Irritationen der Moderne: Nietzsches „Tod Gottes“, Wolfgang Schönes „Ende der Bildgeschichte Gottes im Abendland“: Das ist auch der konzeptionelle Ausgangspunkt des dreibändigen Buchmuseums „Gott hat kein Museum. Religion in der Kunst des XXI. Jahrhunderts“ (1120 Seiten, 1420 Abb., Verlag Ferdinand Schöningh 2015), von dem einige Werke dieser Ausstellung entnommen sind. Umgekehrte Madonnen aus der Serienproduktion von arte-povera-Künstler Eduard Winklhofer, festgezurrt mit Stacheldraht, auf ihnen ein Molotov-Cocktail, sind deshalb gleich zu Beginn in der Ausstellung zu sehen. Winklhofer: „Meine Idee war, mit diesen, zu Material verkommenen Ikonografien, wieder den Versuch einer künstlerischen Aufladung einzugehen. Dabei war für mich jede Strategie von zitierendem, semantischem Raubbau und Denigration in der Tradition der Popart ausgeschlossen. Statt eines Kommentars galt es wieder eine Frage aufzuwerfen.“
Dieses Grundproblem der Entladung, stärker gesagt: der in der Moderne so gefühlten Abwesenheit Gottes hat sich auch in die Ausstellunggestaltung eingeschrieben. Am anderen Ende des zweiten Ausstellungsflügels befindet sich das wertvollste Bild der Ausstellung, jenes des Leipziger Malers Michael Triegel mit dem Titel „Deus Absconditus“. Relikte aus der Heilsgeschichte, ein verhülltes Kreuz, eine Madonna vor einer leeren Schreibmaschine, Wein und Brot, eine Auferstehungsstatue sind vor dem „horror vacui“ aufgestellt. Halten sie stand? Den dritten Wendepunkt, am Aufgang zum zweiten Stock im Minoritenkloster, bildet Werner Reiterers „Altarentwurf“ („Draft for an Altar“). Er zeigt Gottes Schreibtisch, mit zurückgelassenem Handy und einem niedergelegten Heiligenschein, verbunden mit einem Notizzettel: „I’ll be back in 5 minutes. God“ Kommt er jemals wieder? (Das Handymodell ist schon veraltert).
Interesse an Kunstgeschichte, Interesse an existenzielle Themen: Über die Madonna
Aber nicht nur die Entladung religiöser Ikonografie wird thematisiert, vielmehr die unbändige Lust sich daran neu abzuarbeiten. Humor und Komik bleiben nicht aus, wenngleich existenzielle Perspektiven dominieren. Mit zahlreichen Bildern ist Siegfried Anzinger vertreten. Er war einer der ersten der christliche Ikonografie am Ende des vorigen Jahrhunderts wieder in der Gegenwartskunst salonfähig machte – weniger als Provokation, sondern als pure Lust und Inspiration. Auch wenn er hart an der Hochkomik arbeitet, ist er gerade deshalb so ernst. Bei Muntean/Rosenblum haben sich die Pathosformeln der christlichen Bildgeschichte in die Sinnsuche von Jugendlichen verloren, als ob sie am Ölberg zelten: Ihre Körper, ihre Liebe, ihre Hoffnung liegen herum. Die Mailänder Künstlerin Julia Krahn zeigt wiederum eine Pietà, bei der sie ihren tot erscheinenden Vater im Schoß hält. „Es ging mir darum zu zeigen, dass es irgendwann ein Umschalten gibt, in der die Tochter zur Mutter wird.“ Die Wiener Künstlerin Dorothee Golz zeigt mit ihren „Digital Paintings“ Madonnen, die eine Brücke zwischen den Zeiten Raffaels, Memlings oder van der Weydens in die Gegenwart schlagen und dabei eine erstaunliche Poesie entwickeln. Aber auch ganz abstrakte Lösungen wie jene der japanischen Künstlerin Keiko Sadakane oder von Tobias Trutwin finden sich in der Abteilung „Ikonografie“. Edgar Honetschläger wirft einen außereuropäischen Blick auf die christlichen Bildwelten. Die 15-teilige Arbeit „Il Vangelo – Secondo Pasolini“ von Adrian Paci, gemalte Tafeln nach dem bekannten Jesusfilm „Das Erste Evangelium“ (1964) des italienischen Regisseurs Pier Paolo Pasolini, schlägt die Brücke in die jüngste Gegenwart. Sie befindet sich, wie viele der gezeigten Arbeiten in der neuen Sammlung des „KULTUMdepot“, die im Buchmuseum vorgestellt wird.
Identitätsmarker Kreuz – „Shit happens“
Umfassend ist schließlich das Thema Kreuz. Es wird in der ganzen Bandbreite gezeigt, von existenziellem Ernst, feiner Ironie, Verfremdung, Witz bis zu tiefer Frömmigkeit. Das „Legokreuz“ aus der Wiener Jesuitenkirche von Manfred Erjautz, ein frühes Altarkreuz für die Grazer KHG-Kapelle von Arnulf Rainer (1957), die 12. Station von Adrian Paci, – eine Kreuzigung in seinem Atelier sind in dieser Abteilung die wichtigsten Werke. Anna und Bernhard Blumes „Kreuzweg“, das letzte Werk vor dem Tod des Künstlers (2011) ist zu sehen, berührend Daniel Amin Zamans „Gethsemane“: ein Video, das die Angst des Künstlers an seiner allmählich nassen Unterhose zeigt. Christian Eisenbergers Wasserwaagenkreuze mit einer angeklebten Plastik-Trinkflasche thematisieren mit einer Flaschenaufschrift die unterschiedlichen Antworten der Weltreligionen, einschließlich jene der Atheisten und Agnostiker auf die Tatsache, dass „SHIT HAPPENS“. Außergewöhnlich ist die Kreuzinstallation Hermann Glettlers, der aus entsorgten Sargkreuzen einen Kreuzteppich verschweißt.
Kein Ausweichen vor der aktuellen Gegenwart
Eine Auseinandersetzung mit dem Erbe christlicher Bildwelten darf sich aber nicht vor ganz aktuellen Herausforderungen und Problemen drücken, denn dann wären diese erst recht museal. Welche Bilder sind unter der hier vorgestellten Bildersuche angemessen? „Die Armen dieser Welt“ (das Video „We, the Poor of the World“ von Valentin Stefanoff ist Teil der Eingangssituation der Ausstellung) haben mehrfach das Wort. Nöte, die sich aus einem erzwungenen Neuanfang ergeben, werden wörtlich „aufgetischt“: Die Künstlerin Lena Knilli hat dazu nicht nur eindrucksvolle Zeichnungen verfasst, sondern führt ein derartiges Tischgespräch auch vor Ort. Vorschläge gegen den „Schattengeist“ dieser Welt werden von der Künstlerin Matta Wagnest gebracht, „Anweisungen“ zur Vernetzung über alle Religionen und Weltanschauungen hinweg sind vor allem von der in Tel Aviv lebenden Wiener Künstlerin Zenita Komad lesbar.
Religion und Gewalt
Die dunkle Seite der Religion im Gewand des Fundamentalismus ist unter dem bedrohlich rotierenden Kreuz im Veranstaltungsraum des Kulturzentrums „ImCubus“ erfahrbar: Werner Reiterers „Wer Wind sät…“ macht auf ironische Weise sichtbar, was mit dem Kreuz in der Geschichte angestellt wurde und wird. Dem geht, (dem sakralen Vorgänger von „Reliqte“, nämlich mit „Reliquien“ am Nächsten), vor allem die Kölner Künstlerin Claudia Schink nach: Ihre in Glas geblasenen Leidenswerkzeuge wie Dornenkrone, Kette, Pfeile, Kreuzsplitter und -nägel tragen Namen von Erfolgsstätten des „Abendlandes“: Rom, Constantinopel, Cöln, Cluny, Avignon. Die Frage, die sich dahinter stellt: Wie sehr kippt die „Religion des Schmerzes“ in jene der Macht und deren Missbrauch? Wie sehr hat sie den Schmerz spiritualisiert?
Abendmähler
Die Ausstellung geht Grundfiguren christlicher Bildwelten nach – und meint damit auch jene Bilder, die Künstler ins Kulturgedächtnis eingeschrieben haben. Neben der Madonna und dem Kreuz ist es das Abendmahl. Leonardo da Vincis Abendmahl ist ein solches Bild. Der Tisch, in allen Kulturen ein Zeichen der Gastfreundschaft, hat im Christentum eine besondere Färbung: man denkt an Altar, an Wandlung, daran, dass sich Gegenwart ereignen könnte: Bei Julia Krahn ist er vollgestaubt mit Mehl, bei Michael Triegel vollgestellt mit abgestellten Resten aus der „Heilsgeschichte“ , bei Nina Kovacheva ist er vollgepfropft mit Kinderspielzeug, bei Julia Bornefeld ist er voller Feuer: „Das ist ein ungemütliches Mahl, eine Aufforderung zum Handeln. Mit dem Erbe, das uns hier betrifft, sollten, könnten, ja müssten wir uns beschäftigen. Die Abteilung „Abendmahl“ wird nicht nur mit der Installation Lena Knillis, die die aktuellen Tagesthemen in die Ausstellung holt, sondern sie wird mit einer Installation aus 80 „Gefäßen, Bechern, Schalen, Kelchen, Schüsseln, Statuetteln, Ziborien und Tabernakelchen“ des steirischen Künstlers Alois Neuhold abgeschlossen. Sie sind unbenützbar, strahlen in ihrer Farbe: „Aus dem Küchenschrank Gottes – Unnützbarkeitsgefäße für die Nützbarkeit einer himmlischen Hochzeit“.
Angesicht und letzte Dinge
Damit ist auch die letzte Abteilung der Ausstellung angezeigt: Am Ende geht es im Christentum nicht bloß um Figuren, am Ende geht es um den Anblick. Arbeiten von Lena Knilli, Alois Neuhold und Bertram Hasenauer sind im Raum des Angesichts versammelt. Die Ausstellung endet mit dem Blick und seinem Versprechen auf (letzte) Erkenntnis. Immer wieder tauchen „eschatologische Porträts“ (Th. Macho) auf, die sich auf letzte, existenzielle Fragen beziehen und so die Ikonografien in der Ausstellung in ein spezielles Licht setzen: Joachim Hake und Thomas Henke haben Schriftstellerinnen wie Felicitas Hoppe oder Sr. Corona Bamberg, den Regisseur Thomas Hürlimann, die Philosophen und Soziologen Thomas Macho und Thomas Halik porträtiert, die verteilt durch die ganze Ausstellung zu sehen sind. Es entstanden verdichtete Porträts, „als ob Gott sie anschauen würde“ (C. Bamberg). Das Leitmotiv der Arbeit war die Stelle aus dem 1. Korintherbrief, Kap. 13, Vers 12: „Jetzt schauen wir wie durch einen Spiegel dunkle Umrisse, dann aber schauen wir von Angesicht zu Angesicht.“
Auf diese Stelle bezog sich auch das letzte in der Ausstellung zu sehende Werk des albanisch-italienischen Künstlers Adrian Paci. Kinder halten Spiegel, die das Sonnenlicht reflektieren.
„Mit diesen poetischen Bildern geht die Ausstellung zu Ende“, so Johannes Rauchenberger, „mir war wichtig, zu zeigen, dass es in der Kunst der Gegenwart auch eine betörende Schönheit gibt, wenn es um Aspekte von Religion geht“: Das bekannte Video über die Ankunft an der „Schwelle zum Königreich“ (Threshold to the Kingdom) des britischen Kunststars Mark Wallinger, „ist nicht nur für mich das schönste Himmelsbild der Gegenwart“: Mit dem Klang des Psalms 51 von Gregorio Allegri („Miserere“) bildet es so den Schlusspunkt einer Ausstellung über Ikonografie, die eine große Erzählung zeigt.