Matta Wagnest: SCHATTENGEIST
1991 endete der Kalte Krieg. 1991 setzte ein neuer ein: Die Annexion Kuweits durch den damaligen Diktator Saddam Hussein löste den Kuweitkrieg aus. Auf Treiben der Vereinigten Staaten setzten die UN ein Ultimatum. Allein die Ankündigung des Krieges ließ damals 800.000 Menschen nach Jordanien fliehen. 11 Tage lang hatte Hussein Zeit, am 17. Jänner lief das Ultimatum ab. Diese Tatsache – das Ultimatum – machte damals die Künstlerin Matta Wagnest zum Ausgangspunkt ihrer Reflexion über die prognostizierte Katastrophe.
Was kommt nach dem Ultimatum?
11 Alutafeln, auf dem schlicht die 11 Daten zu sehen sind, von 711991 bis 1711991, spiegeln sich in stark vergrößerten Zeitungsbildern, auf die u.a. die damaligen politischen Akteure von Hussein, Bush, Baker, Aziz sowie die Medienbilder der damaligen Tage zu sehen sind. 11 Tage lang wurde auf das „Ende“ zugesteuert. Das Ende der Serie markierte den Beginn des Krieges. Im Rückblick war es auch der Beginn der nachhaltigen Destabilisierung im Nahen und Mittleren Osten.
Die scheinbare Zufälligkeit dieser 11 Tage im Jänner 1991 sind für Matta Wagnest nur ein Beispiel, wie nachhaltig jeder Tag historisch werden kann. Wie absurd absolute Androhungen sind, und was es eigentlich heißt, dass es ein „Nachher“ gibt. Ultimaten zeichnen bekanntlich die schrecklichsten Zeitmarkierungen der jüngeren Geschichte aus: Sie gehen von einem „Wenn-Dann“, mehr noch von einem prognostizierten Nicht-Einlösen-Können aus. Das vermeintliche oder auch tatsächliche Pathos der jeweiligen Ereignisse eines Tages – „Die Situation spitzt sich zu! Der Plan droht zu scheitern! Jede Minute zählt! Machtwechsel! Das Ultimatum ist abgelaufen!“ – setzte die Künstlerin damals das Programm hinzu: „[Die Weltsicht bleibt dramatisch gleich]. Vom Anfang bis zum Ende einer Zeit.“
AMERICA NO WHERE. AMERICA NOW HERE. Die Macht Amerikas in ihrer dominanten Führungsrolle für die Welt hat dramatische Spuren hinterlassen. Und der steirische herbst betrachtet in diesem Jahr die Folgen einer „neuen kulturellen Kartografie“. Die ganze Welt ist in der Ausstellung bei den Minoriten folglich an die Wand gemalt - eingezwängt zwischen dem Schriftzug „WHOMANRIGHTS“ (Menschenrechte, Frauenrechte, wer??) und „Skulptur Europa“.
Rettungssegel gegen das Treiben der Gegenwart
Diese frühen politischen Arbeiten Matta Wagnests sind in der Ausstellung der Bezugspunkt auf ihr jüngeres künstlerisches Werk, das für sie nach einem existenziellen Rückzug keimte und entstanden ist – und sich in einer radikalen Deutlichkeit der „Rettung der Menschheit“ widmet.
Ihre allerjüngsten Bilder sind sozusagen eine „Weltneuheit“: Sie sind mit Öl auf Leinen gemalt, nur mit Öl in einem sehr wörtlichen Sinne: mit Altöl von Motoren. Dahinter steckt der Kampf um den Ölpreis, die Gier der Konzerne, der Gockel der Macht und des Geldes.
Diese werden konfrontiert mit harten Handlungsanweisungen der Künstlerin: „listen!“ (Hör zu!), „declare“ (Leg es offen!), „reset“ (Fang von vorn an!) - oder heißt es „respect“? Mit blauer Farbe sind derartige Worte zu Bildern geformt. In einer zweiten Serie von Schriftbildern schreibt sie mit Goldfarbe neue Worte auf die Leinwand. Oder malt Schiffe, die auf die Flüchtlingskatastrophe genauso anspielen wie auf die beginnende Kolonialisierung der Welt am Beginn der Neuzeit. Vor allem aber sollen sie dem Wind der Zeit widerstehen: Der Gefahr der totalen Inflation der Begriffe ausgesetzt, setzt sie Worte wie „Liebe“, „Verständnis“ und „Demut“ als Rettungssegel gegen das Treiben der Gegenwart. Dessen Antriebsmotor ist für Matta Wagnest der Narzissmus, den es für sie zu überwinden gilt – existenziell, gesellschaftlich und kulturell.
Ihm stellt sie einen neuen interkulturellen Diskurs entgegen. Zu jedem dieser Worte ist eine Art „Gewissenserforschung“ und „Handlungsanleitung“ der Künstlerin vernehmbar. „still“, „cross“, „fall“, „bleed“, „deep“, „good“ ... Matta Wagnest traut der Kunst zu, entscheidungsfähig für das Gute zu werden. Und somit auch uns, die wir uns durch die Kunst zu einer derartigen Form der Kommunikation bekennen.
Ob man sie assoziativ, intuitiv oder kognitiv liest – jede Möglichkeit ist gleichermaßen von Bedeutung: Es käme vor allem darauf an, einen Moment lang „innezuhalten“, um ein „Verstehen auf mehreren Ebenen“ zu ermöglichen, zeitlich wie räumlich. Diese Worte stellen „kommunikative Brücken“ für einen interdisziplinären, interkulturellen und interethnischen Dialog dar. Was sollen wir an Werten retten, aber vor allem: realisieren? Diese zwölf Worte weisen in den Umgang mit reduzierter Sprache ihres Frühwerks hinein: Staccato-artige Worte plakatierte Matta Wagnest bereits in den frühen 1990ern im Grazer Stadtraum. JETZT / IMMER / NIE / SPÄTER machten schon damals auf die drängenden Qualitätsmomente von Zeit aufmerksam – längst bevor die Designindustrie derartige künstlerische Einfälle inflationierte.
Abtragen am Körper - kollektives Schmerzdenken
Matta Wagnest begann als Künstlerin in einer Zeit, als das Kontroversielle in der Kunst einen hohen Stellenwert hatte. Dieses Kontroversielle liegt ihr immer noch. Performance spielt dabei eine große Rolle – im Chillen, im Singen, im Tanzen vor der großen Politik, im Nähen von Worten mit der Schreibmaschine, im Sitzen in einem großen Zelt, das im Cubus aufgeschlagen ist, und das sie „casa verde“ („grünes Haus“) nennt: BesucherInnen sind dabei willkommen.
Kontroversiell ist sie 25 Jahre später freilich umso mehr in ihrem absoluten Anspruch. Ihr künstlerisches Handeln hat zwei ganz große Felder im Blick: den Körper und die Zeit. Es ist die Definition von Zeit, die Zerstückelung von Zeit, die Ausdehnung dessen, was in der Zeit geschieht. Ausdehnung geht nie ohne Körper. Und Körper geht, so Matta Wagnest, nie ohne den eigenen Körper.
Besonders verletzlich zeigt sich der Körper im Schlaf. Dort, wo er sich erholt, wo Träume sein Bewusstsein formen. Schlafende zeigt Matta Wagnest gleich im ersten Raum. „Schlafende sind so verletzlich.“ „Watched while sleeping“ war eine sehr frühe Arbeit, die erstmals in Tokyo zu sehen war. Der Raum ist dem im Frühsommer plötzlich verstorbenen Kunsthistoriker Werner Fenz gewidmet: Auch sein Geist bleibt, wenngleich der Körper gegangen ist.
Das „Abtragen am Körper“ zeichnet sie an ihrem eigenen Körper vor. „Schmerzbilder“ entstanden in und nach der Phase ihres Rückzugs. Die Erfahrung des Schmerzes, sagt Matta Wagnest, ist gesellschaftlich tabuisiert: Das führt zur Verhärtung oder verleitet zu Bewältigungsstrategien der Angst. Der Fehler bestehe darin, so die Künstlerin, die Schmerzerfahrung als das Problem des Einzelnen abzutun: Sie sei vielmehr auch eine Erfahrung, an der die Gesellschaft insgesamt lernen könnte. Will heißen: am eigenen Körper werden auch die Probleme der Zeit abgetragen. Jede Änderung beginnt dort, gerade im Wissen, den die Erfahrung des Schmerzes freisetzt.
Wider den Schattengeist
Und dieser „Schattengeist“ durchzieht ein fast durchsichtiges, aber ziemlich dominantes Flattern in der Ausstellung bei den Minoriten. Im direkten Gegenüber prangen die Buchstaben von WHOMANRIGHTS im Korridor an der Wand. Bereits 1995 war diese Arbeit für die Istanbul-Biennale 1995 entstanden: Der Anspruch ist größer denn je. MENSCHENrechte, FRAUENrechte, getreten mit Füßen, WER? Matta Wagnest lässt nicht locker, den Körper, ihren eigenen Körper für diese permanente Frage einzusetzen. Immer wieder: „Am Körper tragen sich die Wunden der Gegenwart ab.“
Und dieser „Schattengeist“ durchzieht ein fast durchsichtiges, aber ziemlich dominantes Flattern in der Ausstellung. Im direkten Gegenüber prangern die Buchstaben von WHOMANRIGHTS im Korridor an der Wand, ursprünglich für die Istanbul-Biennale 1995 entstanden: Der Anspruch ist größer denn je. MENSCHENrechte, FRAUENrechte, getreten mit Füßen, WER? Matta Wagnest lässt nicht locker, den Körper, ihren eigenen Körper für diese permanente Frage einzusetzen. Immer wieder: „Am Körper tragen sich die Wunden der Gegenwart ab.“
WHOMANRIGHTS - Rauminstallation in der Ausstellung, ursprünglich 1995 für die Istanbul-Biennale entstanden.
Widerstand als Kriterium für Klarheit
Matta Wagnests Direktheit, ihre Geste fast im Modus der Heilsbringerin verblüfft, eckt an, lässt distanzieren, ja sich abwenden. (Schade, dass ausgerechnet der steirische herbst sie (deshalb?) nicht mit ins Programm genommen hat, wo sie doch passgenau sein Thema spielt.) Manche, viele nimmt sie mit. Nächstes Jahr ist sie mit dem „Schattengeist“ im Österreichischen Kulturforum in Washington. Auch der "Angalien", im Vorjahr bei "reliqte, reloaded" das Eingangsbild zur Ausstellung im KULTUM und von der Diözese als Teil unserer Sammlung erworben, wird dort zu sehen sein.
Mit „Skulptur Europa“, ihrem nächsten Herzensprojekt, will sie den Städten der EU-Mitgliedstaaten begehbare, labyrinthische Objekte implantieren, als „Verortung eines Diskurses, der letztlich nur global zu führen ist.“ Gläsern ist die labyrinthische Skulptur, die an frühe Arbeiten aus den 1990er Jahren der „Transcendent Spaces“ anknüpft. Transparenz sollte wichtigstes Kriterium bei Entscheidungsfindungen sein. Und ohne Spiritualität geht es nicht – gerade auch nicht in Europa. Punkt. „Ohne Spirit kann man nicht denken, nicht leben. Auch Agnostiker und Atheisten werden den Spirit vermutlich nicht negieren.“ Zitiert Andrea Schurian die Künstlerin im ganzseitigen Beitrag in „Der Standard“: „Jeder Satz ein kleines Grundsatzmanifest; ein mäandernder Lehrausgang in die aus Kürzeln, Formen, Schlagworten, Farben, Fotos, Videos, Objekten, Gemälden, Aquarellen, Zeichnungen, Konzepten und Projekten bestehende Kunstwelt von Matta Wagnest.“
„ford.crystal.blu“, Matta Wagnest präsentiert in den Kristallwelten Swarowski 2003 eine hinführende Arbeit zu „Skulptur Europa“ (2016). Ein visionäres Projekt:, das sämtliche EU-Nationen mitgestalten können.
Aber, keine Prophet(in) ohne Widerstand, vor allem im eigenen Land: Matta Wagnest kann PolitkerInnen, Kirchenleuten, MeinungsbilderInnen mit ihrem überzeugten Auftritt buchstäblich auf die Pelle rücken und diese für ihre Überzeugungen einspannen. Sie wagt sich soweit hinaus, dass irgendwann vermutlich jede/r, der mit ihr zu tun hat(te), gedacht, gesagt oder weiter gesagt hat: „So bitte nicht.“ Das aber ist genau der Punkt: Sie deckt genau das auf, was uns hindert, der erkannten Wahrheit (sic!) ins Gesicht zu sehen. Was, bitte, kann man ihren Botschaften entgegensetzen – ohne dabei unversehens selbst zum Schattengeist zu werden?
Matta Wagnest, „casa.verde“, (grünes Haus), 2003 - 2016: Ein Ort zum Chillen, zum „Seele-baumeln-Lassen“, installiert im Cubus
Die blaue Kunstfigur als erstes Bild der Ausstellung im Stiegenhaus gibt denn auch gleich die Alternative an: Vor einem Jahr sang Matta Wagnest bei der Eröffnung der großen Ausstellung "reliqte, reloaded" unerkannt blau verhüllt, die Schubert-Melodie von "Wohin soll ich mich wenden?" Dieser Geist kehrt also wieder. Wohin? Wohin! (Zu dir!) Gebückt, aufrecht, demütig, schließlich körperlos. Aber anwesend als Geist.