RENATE KRAMMER: POESIE DER LINIE
Begonnen hat Renate Krammer auf einem Seminar vor rund 20 Jahren mit dem Abzeichnen von Holzstapeln: Nicht nur die Methode der Serialität war damit bei ihr geboren, sondern auch die Entscheidung, mit dem „immer Gleichen“ Künstlerin zu werden. Und zu bleiben. Renate Krammer schuf in ihrem Atelier in Kumberg in den letzten zwei Jahrzehnten ein ganz außerordentliches Oeuvre, das in dieser Einzelausstellung im KULTUM nun auch endlich einmal auch sehr umfassend und in dieser Breite erstmals gezeigt wird, wenngleich die gezeigten Werke in Wirklichkeit nur ein ganz kleiner Ausschnitt sind. Sie hat zurecht eine besondere Aufmerksamkeit durch ihre Teilnahme an der 15. Architekturbiennale in Venedig im Vorjahr erhalten, was sie nicht durch das Vitamin B von Galeristen, Kuratoren (und schon gar nicht: durch das Weichenlegen von Kulturpolitikern) erreicht hat, sondern schlicht dadurch, dass sie ein Jahr zuvor einen Folder am Ausstellungsort hinterlassen hat und so kontaktiert wurde. Was sie dort als Interaktion mit dem Raum begonnen hat, setzt sie in diesem für die Ausstellung neu entstehenden, begehbaren „Linienraum“ eindrucksvoll fort: Man kann Bilder nicht nur sehen, Zwischenräume wahrnehmen und Vibrationen erspüren, man kann die „gestrichten“ Wände auch sinnlich betreten. In der „Entstehung eine Aktionskunst“ (W. Mracek), ist Renate Krammers Kunst im Ergebnis Meditation. „Raum“ ist dabei freilich nicht bloß eine begehbare Kiste oder ein begehbarer Tunnel, „Raum“ ist ein vibrierendes Möglichkeitsfeld, eine kulturelle Größe. Raum ist ein Gewebe von Beziehungen von Dingen, und Menschen in der sie umgebenden Architektur. Wie und wo verdichtet sich dabei die Kommunikation? Wo kann man dabei Anteil nehmen, wo an diesen Verdichtungen und Verwebungen weiterarbeiten?
Ausstellung von Renate Krammer, Die Poesie der Linie, 6. Dezember 2017 bis 6. Jänner 2018, KULTUM.
Renate Krammers Linien rücken Urelemente der Gestaltung ins Zentrum. Sie werden in unzähligen Variationen der Formen und Beziehungen zueinander in Spannung versetzt. Vibrationsräume entstehen. Eine Struktur wird sichtbar – als Partitur, als Schrift, als Schwingungsraum. Die Lebendigkeit von Krammers „Strichen“ lassen die Intimität ihrer Entstehung erahnen.
Renate Krammer, Buntstift auf Papier, 120 x 240 cm
Auch wenn man Renate Krammers Stricharbeiten scheinbar schnell wiedererkennt, sollte man sich die Zeit nehmen, die je individuellen Bilder lange zu betrachten – und man wird große Unterschiede feststellen, wie sie entstanden sind. Es ist, „als würden sie sich mit der Dauer des Betrachtens zu verändern beginnen“ (Erwin Fiala). Die Details der Linienführung, die Spuren des gebrochenen Graphits, die je bewältigten formalen Elemente erzeugen im Gesamtblick allmählich die Erfahrung des Schwebens und der Oszillation. Die Bezüge, die man am Beginn sehen wollte, lösen sich auf in der Erfahrung eines je größeren Raums. Oder, um eine große Künstlerin zu zitieren, die für Renate Krammer ein großes Vorbild ist, Agnes Martin: zum „Raumlosen“. Renate Krammer widmete dieser Meisterin der Stille 2015 auch eine Serie „On a silent day...“, als deren famose Einzelausstellung im Düsseldorfer Kunstmuseum 2015 so viele begeisterte. „On a clear day“ hieß es damals (1973) bei der kanadisch-amerikanischen Künstlerin. Deren Suche nach der „Form“, die man als Wort streng genommen nicht einmal verwenden sollte, so Agnes Martin, war im Grund eine nach der vollkommenen Gegenstands- und Formlosigkeit. Und die Malevic oder Mondrian am Beginn der Moderne einst mit dem „Nullpunkt“ zu beschreiben suchten. Das ist streng genommen die Stille, die auch Renate Krammer in ihrem durch und durch eigenständigen Werk meint. Stille Tage, so kann man in Anklang an Agnes Martins Ansage der „Klarheit“ zurecht folgern, hatte Renate Krammer in ihrem künstlerischen Tun, sehr viele. Es ist vielen zu wünschen, an dieser ebenso famosen Ausstellung mit ihrer unvergleichlichen Poesie der Linie zu partizipieren.