Last & Inspiration: Muß ich heute Angst haben?
(Glaubens-)Narrative mit Fragen: „Muß ich heute Angst haben?“
Ein Ausstellungsdurchgang
Johannes Rauchenberger
Maria Hülf.
Angst und Wunderglaube sind ein weiteres, in unseren Ausstellungen aufgegriffenes Narrativ in der Religionsgeschichte der Steiermark: In der Aufklärung versucht man ihm eine Ende zu setzen. Mit den Pestsäulen, den Mariensäulen, mit dem Marien- und Heiligenkult wird versucht, diesem von Seiten der Kirche und der öffentlichen religiösen Denkmalkultur beizukommen. Dass dies auch in der Sprache zeitgenössischer Kunst glaubwürdig möglich sein kann, zeigt die Videoinstallation im Gang des Südflügels, der akustisch von betörenden dalmatischen Marienliedern dominiert wird. Die „Mutter vom Guten Rate“, einst von den Engeln aus Albanien wegen der heranziehenden Osmanen nach Rom überflogen (so die Legende), kommt via Skype-Schaltung wieder zurück ins arme Land. Aber sollte sie nicht wirklich zurückkommen, dort, wo es noch echte Armut gibt? Adrian Paci gelingt mit pilgrIMAGE[32]ein bewegendes Werk. Es sind Legenden, die Maria mit der Geschichte verweben; zwei weitere werden im inneren Ausstellungsraum zum Thema: Maria Loreto[33]und Mariahilf[34]- sie sind beide eng mit der Geschichte dieser Stadt und dieses Landes verbunden. Der spätere Kaiser Ferdinand II. (1578 – 1637) gelobt in Loreto, das „Land von der Ketzerei zu befreien“.
Kopien des Gnadenbildes von Graz-Mariahilf nach Giovanni Pietro de Pomis, 18./19. Jahrhundert, Öl auf Leinwand. Graz, Diözesanmuseum (2); Graz-Leechkirche;
Und das Gnadenbild Mariahilf wird 1611 von Pietro de Pomis, dem Propagandakünstler und -architekten des Erzherzogs und späteren Kaisers gemalt: Mit seinen Bildern und seinen Bauten – Mariahilferkirche, Domkapellen und Mausoleum (auch Schloss Eggenberg!) – beginnt die Gegenreformation. Diese geht von Graz aus! Nachdem die Osmanen besiegt sind, empfiehlt Papst Innozenz XI. dieses Gnadenbild der ganzen Christenheit. Und als Geschenk für das große Bemühen zur Rekatholisierung bekommt der junge, ehrgeizige und im Jesuitenkolleg Ingolstadt katholisch erzogene Erzherzog Ferdinand von Papst Paul V. (1605 – 1621) aus der Familie der Borghese zwei Kisten voller Reliquien aus der Via Salaria geschenkt. Um sie adäquat beherbergen zu können, nimmt man dafür zwei kostbare „Brauttruhen“ aus der Familie Gonzaga aus Görz, die damals im Stift Millstatt lagern. Die Jesuiten, die das altehrwürdige Kärntner Stift längst betreuen, werden von Erzherzog Karl II. (1540 – 1590) angehalten, die 1585 von ihm gestiftete Grazer Universität zu alimentieren. Nun, 1617, kommen die Brauttruhen nach Graz und werden mit den Reliquiengeschenken des Papstes gefüllt. Der Erzherzog wird zwei Jahre später Kaiser werden und nach Wien gehen. Nur ein Jahr später beginnt mit dem Prager Fenstersturz der 30-jährige Krieg, dessen erste große Schlacht 1620 am Weißen Berg stattfindet – der Mariazeller Mutter wird dafür besonders gedankt, der Kaiser betet vor ihr für die verlorenen Seelen, die er in Prag hängen hat lassen. Das Mausoleum in Graz, das Ferdinand 1615 von seinem Propagandaarchitekten Pietro de Pomis beginnen hat lassen, wird erst 80 Jahre später fertig gestellt. Da sind nicht nur die Protestanten ausgewiesen, sondern auch die Osmanen besiegt. So ändert sich auch das ikonografische Programm der Decke des Mausoleums, die die Schlacht um Wien zeigt und den „Türkenpoldl“ Kaiser Leopold (1640 – 1705), den Neffen Ferdinands II., verherrlicht, auch wenn dieser aus Angst vor den Osmanen im Sommer 1683 aus Wien geflohen ist und die Schlacht nicht er, sondern der Polenkönig Jan Sobieski angeführt hat – nicht ohne sich und sein Heer vom flammenden Prediger, dem Kapuziner-Pater Aviano, kurz vor der Schlacht spirituell und ideologisch stärken zu lassen. Die Brauttruhen mit den Reliquien aber stehen bis heute im Grazer Dom. Den Touristen wird freilich mehr von Andrea Mantegna, von dem die Reliefs der Truhen stammen, erzählt als vom später aufgefüllten Inhalt. Derartige Geschichten weiß der gegenwärtige Dompropst und Dompfarrer Heinrich Schnuderl zu erzählen.[35]
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[32]Adrian Paci: PilgrIMAGE, 2005, Videoprojektion, Ton, 13’48“, Zürich, Courtesy Galerie Peter Kilchmann
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[33]Johann Tendler: Gnadenbildkopie Maria Loreto, 1839, Holz, gefasst, tw. versilbert und Lüster, Eisenerz, Pfarrkirche Hl. Oswald, Inv.-Nr. 6053.A.Q.53
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[34]Gnadenbildkopien Graz-Maria Hilf, 18./19. Jahrhundert nach Giovanni Pietro de Pomis, Öl auf Leinwand
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Graz, Diözesanmuseum (2); Graz-Leechkirche; Graz-Welsche Kirche und Heilbrunn, Pfarre
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[35]Dompropst und Dompfarrer Heinrich Schnuderl im Gespräch mit dem Autor zu den Dreharbeiten über „Macht und Kirche im Grazer Dom“, teilweise unveröffentlichtes Drehmaterial. Videoinstallation, Graz 2018; Dauer: 6’22’’, Online: https://youtu.be/fLQlb78oXDI[15. 7. 2018]
Die vielen Gesichter der „Muttergottes“
Aber es gibt auch die Denkmalkultur unter dem Mantel des Glaubens, sie entsteht vor allem nach überwundenen Katastrophen und Konflikten. Man sucht bei der Muttergottes unter ihrem Mantel nicht nur Zuflucht, sondern zieht mit Marienbildern auch in den Kampf und errichtet nach siegreichen Schlachten der „Generalissima“ zu Ehren, wie Ferdinand II. die Gottesmutter Maria auch betitelte,[47]Denkmäler. Mariensäulen werden in der Steiermark vor allem im 17. und 18. Jahrhundert errichtet, als einerseits das Land von mehreren Pestepidemien heimgesucht wird und andererseits das osmanische Heer eine dauerhafte Bedrohung darstellt. Errichtet werden sie meist an gut sichtbaren und zentralen Orten zum Dank für überwundene Gefahr und Bedrohung.
Die Gottesmutter Maria ist in diesem Land also eng mit den Narrativen der Abgrenzung und der „rechten Religion“ verbunden. Später erst werden Lourdes- und Fatimastatuen nicht nur für die Wunder-, sondern vor allem für die Friedensidee aufgegriffen, auch wenn die Sprache dabei oft nicht nachgezogen ist („Rosenkranzsühnekreuzzug“ etwa wird die 1947 gegründete katholische Gebetsinitiative genannt, die sich der Friedensbotschaft von Fatima verpflichtet). Zahlreiche solcher Grotten entstehen in Kirchen oder als Kapellen. Aber eine strategisch geplante marianische Erneuerung als neue Friedenswallfahrtskirche, wie sie etwa am Bau der Grazer Münzgrabenkirche kurz nach dem Zweiten Weltkrieg intendiert ist, findet in der Praxis dann doch keinen entsprechenden Erfolg: Die Münzgrabenkirche in Graz, die im Geiste der Madonna von Fatima gebaut ist, bleibt zu groß.
Im Mittelalter aber erhält Maria auch theologisch einen unvergleichlich hohen Rang. Neben der Schutzmantelmadonna – wie in Frauenberg bei Admont oder Straßgang – ist es vor allem die Pietà bzw. die „Schmerzhafte Mutter“ – wie in Weizberg – , aber vor allem die „Schöne Madonna“ – wie in Admont, Neuberg an der Mürz, Bad Aussee, Judenburg oder die Varianten der „Übelbacher Madonna“[48]: Eine stattliche, schöne Frau, meist edel gekleidet, ein Kind auf ihrem Arm tragend, als Königin des Himmels. Man hat die Wurzeln dieser Hochstellung Marias in der zisterziensischen Frömmigkeit, aber auch in der deutschen Mystik gesehen. Maria wird als Erlöserin und Königin des Himmels betrachtet.[49] Der französische Künstler Guillaume Bruère hat bei seinem Aufenthalt in Graz in der Alten Galerie am Universalmuseum gezeichnet: 40 einzigartige Zeichnungen sind dabei entstanden, eine Auswahl davon waren in der Ausstellung „Glaube Liebe Hoffnung“ im Kunsthaus Graz[50]und in der QL-Galerie[51]zu sehen.
Manche, wie die Admonter Madonna, die Schutzmantelmadonna aus Frauenberg und die romanische Mutter mit Kind sowie das Weihnachtsmotiv einer Admonter Tafel zeichnet er drei, vier Mal hintereinander: Man kann nachvollziehen, wie viel konzentrierter jeweils ein Motiv geworden ist. Als der Künstler im Februar 2018 allein in der Alten Galerie zeichnet, kommt es zu einem intimen und bis zur fast völligen körperlichen Erschöpfung geführten malerischen Gespräch zwischen Statuen, Bildern und Künstler, so als ob die sechs-, sieben-, achthundert Jahre dazwischen aufgehoben wären: Mit seinem Zeichenwagen fährt er durch die Räume, bleibt plötzlich stehen, weil ihn jemand gerufen hat – ein Gesicht, ein Schmerzensmann, eine Madonna, ein Apfel, ein Kind.
Marienwallfahrtsorte in der Steiermark
Mit Maria sind die Wallfahrtsorte verbunden, von denen es so viele in der Steiermark gibt wie kaum wo anders.[52] Es gibt die frühen mittelalterlichen wie Straßengel, Weizberg, Seckau, Mariazell, Pöllauberg. Im Spätmittelalter kommen weitere hinzu. Zur Zeit der Gegenreformation aber wachsen sie massiv an. In der Dichte liegen sie vermutlich weltweit an der Spitze. Manche, sehr viele von ihnen sind eingeschlafen oder still gelegt, manche nicht. Es bleibt die Frage im Raum: Warum so viele? Sind die Steirerinnen und Steirer der Mutter Gottes näher als andere Völker? Oder ferner, dass sie so oft kommen hat müssen? Jedenfalls haben Marienwallfahrtsorte auch etwas mit den Betreibern zu tun, oder, modern gesprochen, mit „pastoralen Strategien“. Und schließlich fügt sich noch eine Frage an: Wann und zu welchen Bedingungen wirkt ein Gnadenbild Wunder? Und wann lässt das Wunderwirken nach? Etwa, wenn es ins Museum kommt? Oder, wenn seine Nutzer aufhören, daran zu glauben? Helmut und Johanna Kandl gehen im Zuge ihrer Beschäftigung mit europäischen Marienwallfahrtsorten (und wie sich Menschen, einfache Gläubige, Priester, aber auch Bischöfe dort verhalten) den „Mariazellerweg“ mit. „Magna Mater Austriae“[53]ist ein dokumentarisches Tagebuch einer Wallfahrt nach Mariazell anno 2007, also im 850. Jahr des Bestehens dieses größten Wallfahrtsortes der Steiermark, ja Mitteleuropas.
Helmut & Johanna Kandl: Magna Mater Austriae, 2009; Video, Dauer: 21’50”, Schnitt: Arne Hector. Courtesy der Künstler
Das Künstlerpaar zweintopf (Eva Pichler, Gerhard Pichler)[54] setzt etwa zeitgleich mit ihrer subversiven Wallfahrt an einem anderen Ort der Steiermark, nämlich in Frauenberg bei Admont, an. Es ist ein subtil-ironischer Kommentar zum Wunderglauben in Zeiten des alles beherrschenden Kapitalismus heute.
zweintopf (Eva Pichler/Gerhard Pichler): bribery (bestechen), 2012, Drei Holzboxen mit Wachs-Votivgaben und Bankenlogos
Video, Dauer: 5’43”
Admont, Benediktinerstift, Museum für Gegenwartskunst
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[47]Vgl. Maximilian Liebmann: Mariazell im Spiegel kirchlich-religiösen und politischen Lebens von Mitteleuropa. Ökumene Symposion: Die Last der Geschichte – Mariazell und Marialogie von der Reformation bis ins 20. Jahrhundert. 18./19. März 2007, in: http://www.professor-liebmann.at/pdf/MariazellDruck.pdf, 7. [09.07.2018].
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[48]Vgl. Schöne Madonnen: Kurz-Videoportrait, Graz 2018; Dauer: 2’47’’ Vgl. Peter Krenn, Kurt Woisetschläger: Alte steirische Herrlichkeiten. 800 Jahre Kunst in der Steiermark, Graz 1968, 23f, 27-29; Vgl. Schöne Madonnen 1350-1450, Hg. vom Salzburger Domkapitel, Ausst.-Kat. 17. 6. – 15. 9. 1965, Salzburg 1965.
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[49]Vgl. Stefanie Rinke: Das „Genießen Gottes“. Medialität und Geschlechtercodierungen bei Bernhard von Clairvaux und Hildegard von Bingen (berliner kulturwissenschaft, Bd. 3, hg. Von Hartmut Böhme, Christina von Braun und Thomas Macho), Freiburg/Berlin 2006.[50]Zu den Arbeiten von Guillaume Bruère in der Ausstellung „Glaube Liebe Hoffnung“ im Kunsthaus Graz vgl. auch in: Glaube Liebe Hoffnung,
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[51]Guillaume Bruère, „En dehors de moi cette chose n'est pas faite“, QL-Galerie, 12. 4. – 26. 8. 2018.
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[52]Vgl. Michaela Sohn-Kronthaler: Maria und Heilige – Verehrung und Wallfahrt, in: 800 Jahre Diözese Graz-Seckau. Von der Gründung bis zur Gegenwart. Hg. von Michaela Sohn-Kronthaler, Rudolf K. Höfer, Alois Ruhri, Wien 2018, 334-359.
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[53]Helmut&Johanna Kandl, Magna Mater Austriae, 2009, Video, Dauer 21’50’’, Schmitt: Arne Hector, Courtesy die Künstlerin und der Künstler
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[54]zweintopf (Eva Pichler/Gerhard Pichler): bribery (anfüttern), 2012, 3 Holzboxen mit Wachs-Votivgaben und Bankenlogos, Video 5‘43“, Benediktinerstift Admont, Museum für Gegenwartskunst.
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