Last & Inspiration: Wer hat die richtige Religion?
(Glaubens-)Narrative mit Fragen: „Wer hat die richtige Religion?“
Ein Ausstellungsdurchgang
Johannes Rauchenberger
Religionskonflikte
„Wer hat die richtige Religion?“ Das Verhältnis der Katholische Kirche zu den anderen Kirchen und Religionen ist im 800. Gründungsjahr der Diözese herzlich, freundschaftlich und von einem ökumenischen Geist getragen; völlig selbstverständlich trugen ihre Vertreterinnen beim Festakt ihre Grußbotschaften vor. Im historischen Rückblick ist es alles andere als selbstverständlich, dass sich eine Institution, die mindestens 200 Jahre lang als die „Religion der Sieger“ eine Konfession bekämpft hat, transformieren kann.[55]Graz spielt heute für den Dialog der Religionen eine vorbildliche Rolle.[56]Graz schreibt für die christliche Ökumene 1997 Geschichte: die II. Europäische Ökumenische Versammlung „Versöhnung. Gabe Gottes – Quelle neuen Lebens“ wird in Graz ausgetragen. Damals gibt es auch eine große Ausstellung zeitgenössischer Kunst:„entgegen. ReligionGedächtnisKörper in Gegenwartskunst“[57], in der in der Grazer Katharinenkirche bzw. im Mausoleum Kaiser Ferdinands II. der indisch-britische Bildhauer Anish Kapoor eine vergoldete Hohlkugel positioniert: „Graz ist für mich Gold“, sagt er, nachdem er erstmals die Kirchen dieser Stadt gesehen hat, „Graz ist Barock. Ein Wissen, dass es nicht lange dauern wird. Die wahren Probleme sind Schönheit, Stille und vielleicht der Tod.“[58]Bei der Vernissage bekennt ein hoher Amtsträger der reformatorischen Kirchen: „Erstmals gehe ich in diesen gegenreformatorischen Bau, von dem ich glaubte, dass ich nie in ihn hineingehen würde.“[59]Die konfessionellen Wunden in dieser Stadt sitzen tiefer, als man ahnt.
Das Fest zum „Gedenkjahr 500 Jahre Reformation“ in Graz 2017 findet seinen Schlusspunkt sogar damit, dass die katholische Fronleichnamsprozession bei der Festbühne der Evangelischen Kirche endet.
Und doch: Die Herausforderung der Zukunft ist der Dialog der Religionen, Fundamentalismen werden weltweit überall stärker. Sind die entscheidenden religionspolitischen Entscheidungen in der Steiermark nicht vielmehr auch einem „katholischen Fundamentalisten“[60]zu verdanken? So wird Ferdinand II. (1578 – 1638) heute im Internet auf der Habsburger-Seite genannt. Ein Rückblick ist in der „Stadt der Reformation“, zu der sich Graz im Jahr 2017 erklärt hat, angezeigt. Graz ist auch die „Stadt der Gegenreformation – nur wollen wir das bitte nicht all zu sehr bemühen“[61], so (lachend) Heinrich Schnuderl. Und dies wohl viel eher, wenn man auch nur ein wenig die Bauten und Bilder in Betracht zieht: Jesuitenkollegium, Alte Universität, Mausoleum, Antoniuskirche, Mariahilferkirche, Dreifaltigkeitskirche – um nur die wichtigsten zu nennen. Noch um 1770 gestaltet der Bildhauer Veit Königer den Brunnen des damaligen Jesuitenkonvikts mit dem „Herkules am Scheidewege“, wie Alois Kölbl im Hof des jetzigen Domherrenhauses hinweist: „Die Hydra ist geköpft – gemeint war der Sieg des Katholizismus über die Reformation.“[62]
Alois Kölbl im Gespräch mit Johannes Rauchenberger über Karl II., die Jesuiten und die Waffen des Geistes. Videoportrait, Graz 2018; Komposition, Kamera, Schnitt: Elias Rauchenberger, Dauer: 4’36’’
Das „Brucker Libell“[63], die „steirische Religionspazifikation“ ist in der Ausstellung „Last&Inspiration“ das historisch folgenschwerste Ausstellungsstück für die Abbildung dieser Zeit. Die Stände, die die Feldzüge des Erzherzogs gegen die immer wieder einbrechenden Osmanen finanzieren müssen, wollen im Gegenzug Religionsfreiheit. Doch dieser politische Deal platzt. Und der erste Akt der Gegenreformation ist damit eröffnet. Hätte Erzherzog Karl II. (1540 – 1590) seine Unterschrift 1580 unter dieses Schriftstück gesetzt, wäre die Steiermark wohl protestantisch geblieben. Er verweigert. Das „Cuius regio, eius religio“ sollte vielmehr für das Gegenteil sorgen. Die Medienkünstlerin Ruth Schnell hat 440 Jahre später im Seckauer Mausoleum (das sich Erzherzog Karl II. bauen lässt) und im Grazer Mausoleum (das sich sein Sohn Ferdinand II. errichten lässt) viele, viele imaginäre „Leichen im Keller“ parat, die als Worte durch das schöne Areal fliegen, vor allem dann, wenn man wegschaut:
„MACHT HABSBURG FEUDALISMUS SPÄTMITTELALTER PIETAS AUSTRIACA KIRCHE WIRTSCHAFT KRISE DEMOGRAFIE ZERSPLITTERUNG AUTORITÄT BÜRGERTUM ADEL STÄNDE MACHTZUWACHS FURCHT TOD APOKALYPSE TEUFEL WELTGERICHT FEGEFEUER HÖLLE AB 1456 GRAVAMINA BESCHWERDE SCHRIFTEN IGNATIUS LUTHER REFORM GNADE GLAUBENSKRIEG 1522 PREDIGT WIEN PAULUS SPERATUS AUSBREITUNG ZWEI DRITTEL PROTESTANTEN HANS UNGNAD 1551 FERDINAND I. RELIGIONSEINHEIT 1555 RELIGIONSFRIEDE CUIUS REGIO EUIS RELIGIO WES DAS LAND DES DER GLAUB 1572 JESUITEN STEIERMARK ALS TASK FORCE GEOPOLITIK OSMANEN AUFRÜSTUNG GRENZSICHERUNG 1578 BRUCKER LIBELL KARL II. GEGENREFORMATION HEILSAME KATHOLISCHE REFORMATION BÜCHER BRENNEN SCHULEN SCHLIESSEN SCHWÖRE! BEKENNTNIS BEICHTE RELIGIONSEID KETZER HÄRESIE DOPPELLEBEN KRYPTOPROTESTANT BIBELSPRACHE DEUTSCH 1598 ERLASS AUSWANDERN ZEHENT KEPLER GEHT KETZERHAMMER MARTIN BRENNER 1618 BIS 1648 30 JAHRE KRIEG 1620 WEISSER BERG SCHLACHT 1781 TOLERANZPATENT KIRCHE STAAT MENTALITÄT GERECHT DEMOKRATISCH SOZIALER FRIEDEN IDEOLOGIE DOGMA GESELLSCHAFT GESAMT INKLUSION”[64]
Auf das „Cuius regio, eius religio“ besteht, so Heinrich Schnuderl in seiner historischen Erzählung im Grazer Dom,[65]vor allem eine Frau, deren Abbild auf beiden Mausoleen im Kenotaph zu sehen ist: Maria Anna von Bayern (1551 – 1608). Als junge bayrische Prinzessin setzt sie dem anfangs durchaus toleranten Karl II., der auch ihr Onkel ist, in Glaubensdingen zu. Auch ihre Schwiegertochter, die zugleich ihre Nichte ist, wird Maria Anna (1574 – 1616) heißen, von der in der Ausstellung zwei Finger[66]zu sehen sind, die die 1616 verstorbene Gattin des jungen Kaisers (und zugleich dessen Cousine) den Klarissen im Paradeishof versprochen hat. Diese wiederum haben ihr Kloster an der Stelle der protestantischen Stiftsschule gelegt, die Ferdinand im Jahr 1600 schließen lässt – auch Johannes Kepler muss in jenem Jahr bekanntlich deshalb Graz verlassen. Heiratspolitik für den Glauben zieht in jener Zeit verwinkelte Bahnen. Papst Paul V. gibt jedenfalls seine Zustimmung zur Heirat, wie es Papst Pius V. schon bei Karl II. und seiner Frau getan hat; ersterer hat ja auch die Reliquien für die Brauttruhen nach Graz entsandt. Die 15 Kinder des frommen Paars sind noch heute im Presbyterium des Grazer Doms in einem großen Bild unverkennbar ausgestellt. Ferdinands „Gegenreformationskommissionen“ 1599/1600 werden, unterstützt durch den Seckauer Bischof Martin Brenner (1548 – 1616) zwei Jahre lang durch die Lande ziehen. Der Bischof, dessen Grabstein in der Bischofkapelle in Seckau mit „Apostulus Styriae“ gekennzeichnet ist (aber der eben auch „Ketzerhammer“ genannt wird), wird Katechesen geben und die längst protestantisch glaubenden Menschen anschließend auffordern, sich wieder zum „richtigen Glauben“ zu bekennen. „Aus heutiger Sicht: ein Psychoterror.“[67]Die Alternative: Hof und Land, aber vor allem auch die Kinder zu verlassen und diese den Umerziehungsanstalten anzuvertrauen. So wird es fast 180 Jahre lang weitergehen – bis zum Toleranzedikt Kaiser Josephs II. 1781. Dokumente der „Katholischen Erneuerung“ sind in dieser Abteilung der Ausstellung zu sehen, das älteste Matrikenbuch aus Haus im Ennstal („keine einzige katholische Taufe!“[68]), ein Missale der tridentinischen Messreform[69], Prägemünzen von Bischof Brenner[70], Beichtzettel[71]und Visitationsprotokolle aus den steirischen Pfarren von ihm und seinem Nachfolger Jakob Eberlein.[72]Man bekommt ein deutliches Bild über die kirchlichen Umstände dieser Umbruchszeit. Und eine Grablegung von Francisco Scolari[73]zeigt als eines von vielen Beispielen, dass man in jener Zeit zur Wiedererlangung des katholischen Glaubens in der Steiermark auf italienische Künstler setzt: In Rom, mit den Jesuiten, beginnt die „südliche Reformation“. Aus dem Norden freilich ist längst die deutsche Sprache in die Liturgie eingedrungen. Auch so schöne Sätze wie „All so sehr hat Gott die Welt geliebt…“ (Joh 3,16) Oder: „Allein durch den Glauben wird der Mensch gerecht gemacht“ (Röm 3, 28). Die Besucherinnen und Besucher der Ausstellung im Priesterseminar lesen die Sätze aus der Bibel, die man dann fast 200 Jahre lange verstecken musste, im Durchblick in den Barocksaal, aufgemalt auf der Rückseite des einzigen (!) Altars, der sich aus der Zeit, als die Steiermark fast zur Gänze protestantisch ist (1570), erhalten hat.[74]Er ist der stellvertretende Kommentar für eine äußerst konfliktreiche Zeit in der Glaubensgeschichte der beiden Konfessionen in diesem Land. In der Ausstellung steht er – vermittelt durch den damaligen Vorsitzenden des Ökumenischen Forums, des evangelischen Superintendenten Hermann Miklas und des damaligen Bischofvikars Hermann Glettler – für die „Gastfreundschaft“ im ehemaligen Bibliotheks- und später Kapellenraum dieses Hauses. Allein durch Glauben? Das „Allein“ hat man später durchgestrichen, im Originaltext ist es tatsächlich nicht zu finden.
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[55]Vgl. Rudolf K. Höfer: Konfessionen und Ökumene, in: 800 Jahre Diözese Graz-Seckau, 140-165.
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[56]Der Interreligiöse Beirat der Stadt Graz wurde 2006 ins Leben gerufen und besteht aus VertreterInnen der staatlich anerkannten Religionsgemeinschaften. Er wird vom Bürgermeister als beratendes Gremium einberufen und gibt im Anlassfall gemeinsame Stellungnahmen zu wichtigen Fragen des Dialogs, die das friedliche Zusammenleben betreffen. Vgl. https://comunityspirit.com
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[57]Vgl.
entgegen. ReligionGedächtnisKörper in Gegenwartskunst, Hg. von Alois Kölbl, Gerhard Larcher, Johannes Rauchenberger, (Ausst.-Kat. anlässlich der II. Europäischen Ökumenischen Versammlung: Kulturhaus Graz, ehem. Jesuitenkollegium/Priesterseminar, KHG-Galerie, Galerie am Weizberg und Kirchen der Grazer Altstadt: 23. Mai – 6. Juli 1997), Ostfildern/Ruit 1997. -
[58]Anish Kapoor, Zit. und Abb. in: Johannes Rauchenberger: Gott hat kein Museum | No Museum Has God. Religion in der Kunst des beginnenden XXI. Jahrhunderts | Religion in the Beginning of the 21stCentury, 3 Bde/3Vol, Paderborn 2015, 12-13.
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[59]Pastor Winfried Nausner, im Gespräch mit dem Autor, April 1997.
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[60]http://www.habsburger.net/de/personen/habsburger-herrscher/ferdinand-ii [20.7.2018]
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[61]Heinrich Schnuderl im Gespräch mit Johannes Rauchenberger über Macht und Kirche im Grazer Dom. Videoinstallation, Graz 2018; Komposition, Kamera, Schnitt: Elias Rauchenberger, Dauer: 6’22’’, online:https://youtu.be/AVYicobtH90[15. 7. 2018]
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[62]Alois Kölbl im Gespräch mit Johannes Rauchenberger über Karl II., die Jesuiten und die Waffen des Geistes. Videoportrait, Graz 2018; Komposition, Kamera, Schnitt: Elias Rauchenberger, Dauer: 4’36’’, online: https://youtu.be/aJwBAAZqz3c [15. 7. 2018]
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[63]Steirische Religionspazifikation (Brucker Libell), 20. Jänner 1580, Graz, Originalhandschrift, Pergament mit 6 anhängenden Siegeln Graz, Steiermärkisches Landesarchiv, Landhandfeste Nr. 56b
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[64]Ruth Schnell: cuius regio / wes das land, 2018; Mitarbeit: Patricia Köstring, Kunststoff und Leuchtdioden, Teil1, Mausoleum Graz
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[65]Heinrich Schnuderl über Macht und Kirche im Grazer Dom, Videoinstallation.
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[66]Messingkästchen mit zwei Fingern von Maria Anna von Bayern, † 1616; Kästchen und Authentik, 1853Messing, Graz, Domkirche Hl. Ägydius, Inv.-Nr. 6112.A.T.15
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[67]Heinrich Schnuderl über Macht und Kirche im Grazer Dom, Videoinstallation.
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[68]Ältestes Katholisches Matrikenbuch: Taufmatriken aus Haus im Ennstale, 1586–1629, Handschrift auf Papier, Graz, Diözesanarchiv Graz-Seckau
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[69]Missale Romanum, 1602, Venedig, Druck auf Papier, Graz, Diözesanarchiv Graz-Seckau, Bibliothek, Inv.-Nr. 967
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[70]Vgl. Hans Zwigott: Prägemedaille: Siegreiche Gegenreformation, o. J. (1600) Silber, Graz, Universalmuseum Joanneum, Archäologie und Münzkabinett; Giovanni Pietro de Pomis: Portraitmedaille: Martin Brenner, Bischof von Seckau, 1612, Silber, Graz, Universalmuseum Joanneum, Archäologie und Münzkabinett; Inv.-Nr. 40302, 40303; Giovanni Pietro de Pomis: Medaille: Errichtung des Grazer Mausoleums, Erzherzog Ferdinand und Erzherzogin Maria Anna, 1615, Graz, Universalmuseum Joanneum, Archäologie und Münzkabinett, H.3527, P.5
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[71]Beichtzettel aus Mariazell, 2. Hälfte 17. Jahrhundert, Kupferstiche auf Papier, St. Lambrecht, Benediktinerstift
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[72]Visitationsprotokolle von Bischof Jakob Eberlein, 1617–1619, Handschrift auf Papier, 424 Blätter und Index
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Graz, Diözesanarchiv Graz-Seckau, Gebundene Quellen
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[73]Giuseppe Scolari: Grablegung Christi, um 1580, Öl auf Leinwand, Graz, Pfarre Karlau, Inv.-Nr. 6120.B.R.3
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[74]Protestantischer Flügelaltar aus der katholischen Kirche St. Achaz, um 1570, Tempera auf Holz. Eigentum: Schladming, katholische Pfarre Schladming, Evangelische Peter-und-Paul-Kirche