Unterdrückung & Bekenntnis
Aus: Reflektiert zeitgenössische Kunst das Christentum? Ein kuratorisches Gespräch zwischen Katrin Bucher Trantow, Johannes Rauchenberger und Barbara Steiner | Is Christianty Reflected in Contemporary Art? A conversation between Katrin Bucher Trantow, Johannes Rauchenberger and Barbara Steiner, in: Glaube Liebe Hoffnung. Zeitgenössische Kunst reflektiert das Christentum | Faith Love Hope. Christianity Reflected in Contemporary Art, herausgegeben von | edited by Katrin Bucher Trantow, Johannes Rauchenberger, Barbara Steiner, (IKON. Bild+Theologie, hg. von | ed. by Alex Stock und Reinhard Hoeps), Verlag Ferdinand Schoeningh, Paderborn 2018, S. | p. 148-151.
Katrin Bucher Trantow: In Verbindung zu Formen politischer und gesellschaftlicher Meinungsmache endet die Ausstellung räumlich an deren Rändern wie der gläsernen Aussichtsplattform, der sogenannten Needle, beziehungsweise beim Ein- und Ausgang – oder sie beginnt damit – mit Fragen der Angst und deren Zusammenhang mit Macht und Religion: Aviano, Franz Kapfers ausschreitender Heiliger, tritt uns als launig anmutende Pappfigur mit hoch erhobenem Kreuz entgegen und erinnert an Filme wie Der Exorzist ebenso wie an das eine oder andere Wahlplakat. Aviano war ein predigender Kapuzinerpater, der unter dem polnischen König Sobieski am Kahlenberg kurz vor der entscheidenden Schlacht gegen das seit Monaten von Osmanen belagerte Wien am 12. September 1683 eine flammende Predigt hielt. Dann zog das Heer in die Schlacht – und gewann. Damit war das christliche Abendland gerettet. Im Austrofaschismus hat Engelbert Dollfuß dann Aviano geschickt vereinnahmt. Aviano, der das Kreuz als Schild und Waffe gegen das Böse vor sich herträgt, erhält bei unserer Ausstellung sein Gegenüber, ebenfalls von Kapfer, in MARIA. Still und schön blinken die Buchstaben ihres Namens von der Needle S.O.S. Neben dem weiblichen Versprechen des Schutzes eröffnet sich damit auch die christliche Kontroverse zwischen Wort und Bild, zwischen dem Wert des abstrakten Konzepts und dem der figurativen Darstellung.
Barbara Steiner: Die Verteidigung des christlichen Abendlandes wird heute erneut von allen Seiten beschworen. Insofern ist Kapfers Arbeit höchst aktuell. Sie antwortet auf eine fortschreitende Einverleibung eines Begriffs, der – seiner christlichen Bedeutungen entkleidet – zu einer populistischen Floskel wird. Auch wenn die meisten Menschen Aviano nicht kennen, finden sich in den öffentlichen Kommentaren, die man auf ihn als Pappfigur schreiben kann, Parolen, die vom Hass auf andere künden. Auch „Maria“ wird im Kontext des Kunsthauses vermutlich weniger als Mutter Gottes wahrgenommen. Die Geschichte des Bezirks Lend und das flackernde Rotlicht des Namens könnten eher eine Bar assoziieren lassen. Das passt übrigens ganz gut zur Provokation der Architekten des Kunsthauses, hier oben in der Needle eine Striptease-Bar einzurichten ...
KB: Dieser damals von den Architekten auf jeden Fall provokativ gemeinte Vorschlag, Sexarbeit als wirtschaftstreibenden Faktor des Viertels in den Schaukasten des Hauses zu stellen, verweist ganz ernsthaft auf Tatsachen einer Gesellschaft, die bis heute durch Verdrängung gekennzeichnet sind. Als solche gehen sie einher mit Unterdrückung, Schuld, Not, Ausbeutung, Scheinheiligkeit und Betrug. Wo als verwerflich eingestuftes Tun nur im Abseits geschieht, heißt es nicht nur wegschauen und übersehen, sondern auch ganz bewusst verdrängen. Jeder wusste um die Gast- und Freudenhäuser am Ort des Wallfahrtwesens, der Zusammenhang wurde jedoch ausgeblendet.
BS: An Verdrängungen ist Österreichs Vergangenheit durchaus reich. Welche Sprengkraft die Verwendung von Symbolen hat, sah man in Graz bereits 1987 an der Weißen Fahne, einer Gemeinschaftsarbeit von TEER (Wolfgang Temmel und Fedo Ertl). Eine Woche lang wurden fünf der bekanntesten Macht repräsentierenden Zeichen (Pentagramm, Kreuz, Swastika, Hammer und Sichel) auf ein weißes, an einer Fahnenstange befestigtes Tuch auf dem Schlossbergplatz projiziert. Der Skandal war fertig! Heute ist es nicht anders, obwohl interessanterweise Kritik und auch Attacken nun von linker Seite und nicht wie damals von rechts kommen.
KB: Wir rechneten ja mit Protesten und Diskussionen, nachdem wir die Entscheidung getroffen hatten, 31 Jahre später diese Arbeit anlässlich der Ausstellung Glaube Liebe Hoffnung vor dem Kunsthaus zu reaktivieren. Wir wollten auf die sich verändernden Bedeutungen und vor allem auf die Instrumentalisierung der Symbole durch verschiedene Gruppen hinweisen.
BS: Die Instrumentalisierungen und Überschreibungen von Symbolen kann man sehr gut am Hexagramm und an der Swastika nachvollziehen. Das Hexagramm wurde lange von Juden und Nichtjuden verwendet. Erst seit der Zeit der Aufklärung begann der Davidstern (Magen David) Judentum zu repräsentieren. Im Nationalsozialismus wurde der Magen David zum „Judenstern“. Mit der Staatsgründung Israels setzte man den Magen David als Emblem der Nationalflagge Israels ein. Die Swastika wird im Hinduismus, Jainismus und Buddhismus bis heute als religiöses Glückssymbol verwendet. Im Deutschen nannte man das heraldische Zeichen, das der Swastika ähnelt, seit dem 18. Jahrhundert bereits „Hakenkreuz“. In seiner antisemitischen und rassistischen Umdeutung machten die Nationalsozialisten ein nach rechts gewinkeltes und 45 Grad geneigtes Hakenkreuz 1920 zum Kennzeichen der NSDAP und 1935 zum zentralen Bestandteil der Flagge des Deutschen Reiches. Wichtig finde ich an der Arbeit von TEER, dass der dünne Stoff der weißen Fahne und die Projektion die Symbole geisterhaft oder spukähnlich wirken lassen – für mich auch eine Wiederkehr des Verdrängten.
KB: Der Grat zwischen dem Drang, etwas herauszufinden und zu wissen und der Notwendigkeit, genau dies zu unterlassen, zwischen Vergegenwärtigen und Verleugnen ist schmal. Dazu passt auch die Arbeit von Danh Võ, der aus Anlass der Ausstellung eine Zeichnungsserie entwickelt hat, die über den Schriftsteller Josef Winkler einen Bezug zur engen dörflichen Welt Kärntens herstellt, in der Gewalt und Wegschauen bis hin zur Selbstverleugnung gang und gäbe waren.
BS: Der Künstler kooperiert auch bei dieser Serie mit seinem Vater Phong Võ. Dieser schreibt von Heinz Peter Knes ausgewählte Textpassagen aus insgesamt sieben Büchern Winklers ab, in denen u. a. der gemeinsame Selbstmord zweier männlicher Jugendlicher vorkommt. Doch Phong Võ kann den Sinn des Geschriebenen nicht verstehen. Ihm sind – wie sein Sohn immer wieder betont – westliche Sprachen fremd. Bei seinen Abschriften erkenne er zwar die Buchstaben des Alphabets wieder, aber nicht deren Bedeutung.So treten der kalligrafische Aspekt, der auf die Form und Schönheit des Geschriebenen abzielt, und die von Knes vorgenommene Auswahl an Textfragmenten, die von größter Liebe, aber auch größter Brutalität zeugen, in ein Spannungsverhältnis.
KB: Danh Võ suchte sich den Ort, an dem die Zeichnungsserie präsentiert wird, bewusst aus: Steht man in der Needle, blickt man auf die Stadtlandschaft von Graz. Liest man die Texte von Winkler in der Schönschrift von Phong Võ, so gerät immer wieder der Blick auf die Stadt, und damit auch auf Gesellschaft, in den Blick. Die oder der Einzelne steht in Zusammenhang mit anderen, egal wie einengend dies empfunden wird.
BS: Das wird für mich in der Arbeit sehr deutlich. Sie spricht von Beziehungen, vom Mitwissen, Dulden, von Komplizenschaft und Schweigen – mitunter aus Liebe –, sowohl auf Winklers Erzählungen bezogen als auch auf die Beziehung zu seinem Vater. Manches möchte man nicht wissen, um persönliche oder auch gesellschaftliche Beziehungen nicht zu trüben.