Kommerz & Präsentation
Aus: Reflektiert zeitgenössische Kunst das Christentum? Ein kuratorisches Gespräch zwischen Katrin Bucher Trantow, Johannes Rauchenberger und Barbara Steiner | Is Christianty Reflected in Contemporary Art? A conversation between Katrin Bucher Trantow, Johannes Rauchenberger and Barbara Steiner, in: Glaube Liebe Hoffnung. Zeitgenössische Kunst reflektiert das Christentum | Faith Love Hope. Christianity Reflected in Contemporary Art, herausgegeben von | edited by Katrin Bucher Trantow, Johannes Rauchenberger, Barbara Steiner, (IKON. Bild+Theologie, hg. von | ed. by Alex Stock und Reinhard Hoeps), Verlag Ferdinand Schoeningh, Paderborn 2018, S. | p. 152-158.
Katrin Bucher Trantow: Ganz wesentlich manifestiert sich die katholische Kirche über ihre gebaute Architektur. Kirchen und Ordenshäuser sind neben dem Gemeindehaus die strukturgebenden Elemente von Siedlungen. Kaum eine andere Religion definiert sich so über ihre Gebäude wie die katholische Kirche, das Haus der Gemeinschaft Gottes, die Ekklesia. In Graz gehört insbesondere die Mariahilferkirche zu den aufsehenerregenden Bauten der Gegenreformation. Als gebautes Symbol der Stärke und Macht ist sie Pilgerstätte und Ort brennender Marienverehrung, dient der spirituellen Seelsorge und bietet in ihrer beeindruckenden Hallenform Platz für mehr als Hunderte Gläubige.
Johannes Rauchenberger: Selbst mir war das Ausmaß dieser Bedeutung nicht wirklich bewusst, etwa dass hier auch das Mariahilfbild als „Logo“ der Gegenreformation in Graz zu sehen ist.33 Man sieht es zahlreich über den Portalen der Grazer Häuser, es wurde in der Steiermark sehr oft für Kirchen kopiert. Nach dem Aufklärungssturm Josephs II., der alle Votivbilder entfernen ließ, berichtete noch 1791 ein Chronist über den damals größten Wallfahrtsort in Graz: „Die Krone aller Gnadenörter in Grätz war vorhin die den Minoriten gehörige Kirche zu Mariahilf in der Murvorstadt. Die Mauern des Tempels waren so dicht mit ex voto Tafeln besetzt, daß kein Messerrücken Platz hatte ... “34 Mein Vorgänger Josef Fink nannte das Bild in seinen berühmten Zeitungskolumnen damals gerne die „Stadtmutter von Graz“. Das hatte immer auch etwas Ehrwürdiges für mich. Dass das Ganze aber jenseits der erlebten Wunder ein bildliches Kalkül von Pietro de Pomis und Erzherzog Ferdinand II. war, habe ich erst nach 20 Jahren Dauerpräsenz des Mariahilfbildes realisiert.
KB: Dem Thema „Architektur als gebautes Manifest“ spürt Norbert Trummer nach, wenn er die Abtei Seckau zeichnerisch unter seine Lupe nimmt. Mit Farbstiften und herantastendem Strich schwingt in seiner auf Details fokussierenden Zeichnung wie auch in seinem animierten Film die Ambivalenz der ikonischen Architektur als menschengemachte Vision von Schönheit und Anspruch sowie von Form und Zwang mit – wenn auch nur im Unterton. Trummers Film und Bildserie in der Galerie bei den Minoriten (KULTUM) in eine ehemalige Zelle des Klosters einzufügen, schien daher kuratorisch konsequent. Schon allein durch die streng gegliederte Positionierung und Präsentation der Arbeiten wird inhaltlich und formal auf die aufgeladene Architektur des Hauses Bezug genommen.
JR: Norbert Trummer hat im KULTUM bereits einmal gezeichnet – vor neun Jahren.35 Es fasziniert mich, wie er mit seinen zitternden Animationsfilmen, die aus konkreten Zeichnungen vor Ort entstehen, plötzlich die „Geister der Vergangenheit“ zu wecken imstande ist – oder ihnen vielleicht auch nur drohen will.36 In seiner Animation begann damals der Finger des Puttos, der sich an der bekannten Statue des Johannes Nepomuk im Kreuzgang befindet, zu zittern. Über Jahrhunderte wies dieser auf das Beichtgeheimnis hin, worauf jetzt? Ähnliches passiert nun auch mit den Bildern von Seckau. Der 1588 von Bernardo Silvio gebaute Kreuzgang atmete bereits die Luft der Gegenreformation; in den darauffolgenden Jahren ließ sich Erzherzog Karl II. im linken vorderen Seitenschiff der Stiftskirche das frühbarocke Mausoleum errichten (1587–1610). Zwei Medaillons an der Decke dieses Mausoleums in Seckau hat Trummer während der Restaurierungsarbeiten gezeichnet: „Die Heilung des Blindgeborenen“ zum Beispiel, gemalt von Theodore Ghisi.37 Im Animationsfilm beginnt auch er zu zittern – wie auch die Steine dieses für uns so auratischen Gebäudes ...
Barbara Steiner: Das katholische Erbe, ausgedrückt in der Macht der Architektur, deren Ausstattung und Bildprogramm, kann nach wie vor auch als Last empfunden werden und als das gesehen werden, was es auch ist: Propaganda.
JR: Pietro de Pomis, der das Mariahilfbild malte, war ein Propagandakünstler. Manche seiner Altarbilder, wie etwa jenes, das in der Antoniuskirche hängt, halte ich für eine Kirche, die sich glücklicherweise heute ökumenisch aufgestellt hat, für völlig unakzeptabel. Kaiser Ferdinand II. als gerechter Streiter siegt über die Ketzer, tritt auf ihre Häupter. Noch in den 1770er-Jahren hat der spätbarocke Bildhauer Veit Königer im Innenhof des Grazer Domherrenhauses die Protestanten mit der abgeschlagenen Hydra verglichen. Man kann also wirklich sagen: Die Kirche hat dazugelernt, diese Bilder gehören der Vergangenheit an.
In der Dekonstruktion der Propaganda liegt freilich auch eine der Wurzeln der Trennung von Kunst und Religion in der Moderne. Noch im 19. Jahrhundert sprach man über die Rolle der Kunst für die Kirche unverblümt von der ancilla theologiae, der Magd der Theologie:38 Sie diene nicht mehr, konstatierte einst ein kunstsinniger Prälat in der damals sehr einflussreichen Zeitschrift „Stimmen aus Maria Laach“ – das sei das ganze Übel! „Bis in die letzten Zeiten hinein haben fast alle großen Künstler durch ein Jahrtausend sich des Schutzes und der Hilfe der Kirche erfreut.“39 Und noch heute – ich erinnere an die erste Begegnung zwischen uns – war der Ausschluss der Propaganda die conditio sine qua non für eine mögliche Kooperation zwischen Kunsthaus und katholischer Kirche („Keine Propagandaausstellung!“). Offenbar fürchtet eine zeitgenössische Kunstinstitution die Propaganda noch heute wie der Teufel das Weihwasser.
BS: In der Kunst ist man eben sensibel geworden, was ihren potenziellen Missbrauch anbelangt. Das hat mit jahrhundertealten Erfahrungen ihrer Instrumentalisierung durch Staat und Kirche zu tun, von denen man sich zu befreien suchte. In unserem konkreten Fall ging es jedoch nicht um die „Befreiung“ der Kunst aus den Klauen der Kirche, sondern um das Interesse, in einen partnerschaftlichen Diskurs einzutreten. Die Ausstellung sollte nicht nur „eine“ Sicht, wie es für Propaganda signifikant ist, umfassen, sondern verschiedene Perspektiven auf Religion, Glauben und auch die katholische Kirche zulassen.
JR: Doch wird im Dialog von Kunst und Kirche immer noch der „Autonomie der Kunst“ das Wort geredet. Reflexionen dazu füllen ganze Bibliotheksabteilungen. Aber ehrlich gesagt: Wirklich autonom sind weder Kunst noch Kunstinstitutionen. Das eigentliche Problem der Entfremdung zwischen Kunst und Kirche liegt meines Erachtens darin, dass sich die Kirche nicht mehr getraut hat, der Kunst wirklich etwas zuzutrauen, das heißt, sie schlicht zu beauftragen oder wenigstens zu befragen.
BS: In jenem Bereich der zeitgenössischen Kunst, in dem ich mich bewege, glaubt niemand an die Autonomie der Kunst und übrigens auch nicht an jene der Kunstinstitutionen. Dennoch geht es nach wie vor darum, Räume für Künstlerinnen und Künstler zu schaffen, die sich der Indienstnahme durch verschiedenste Interessengruppen entziehen. Freilich nicht weil man sich autonom geben möchte, sondern einfach weil man Orte braucht, von denen aus man aktiv in eine Verhandlung über verschiedene gesellschaftliche Interessen eintreten kann. Ich sehe die Stimmen der Künstlerinnen und Künstler diesbezüglich als wichtige Korrektive.
JR: Die an Bildern und Farben überaus dominante Installation von Anna Meyer zeigt, wie sehr der Autonomiebegriff der Kunst hinsichtlich religiöser Zeichen obsolet geworden ist. Er wurde anderweitig längst in einer Weise in Anspruch genommen, dass einem zu grauen beginnt. Das zeigt Anna Meyer geradezu fantastisch auf.
KB: Du sprichst hier auch die Lust an der Dekonstruktion des schönen Scheins an, den wir in so vielen Arbeiten sehen. Die popartig schrillen Bilder und Skulpturen von Anna Meyer brechen gewollt mit so vielem, was akzeptiert ist: mit der schönen Malerei, der gekonnten Ausführung, der harmonischen Farbwahl, mit sprachlichen Formulierungen, ja sogar mit der klassischen Hängung. Geschuldet einer grundsätzlichen Skepsis gegenüber dem Anerkannten, findet sie darin eine Formulierung des Selbstinitiierten, ich würde durchaus sagen: an vielen Stellen poetischen Protests. Auch der zum Lampen-Objekt abgestellte Heiligenschein Werner Reiterers wird innerhalb des barocken Klosters zum kritischen Provokateur einer übersäkularisierten Welt. Wie auch im Film von Luise Schröder und Anna Baranowski, ist es – jetzt allgemein gesprochen – die Ambivalenz , man könnte auch sagen, die Scheinheiligkeit, die Künstlerinnen und Künstler interessiert. Schröder/Baranowski filmen nicht das Aufstellen der monumentalen Christus-König-Statue in Świebodzin an sich, sondern sie interessieren sich für die Ereignisse am Rande – zwischen Vermarktung und wahrer Inbrunst.
JR: Scheinheilig – da muss einem geradezu der „Heiligenschein“ von Werner Reiterer einfallen. Er markiert nicht von ungefähr den Anfang der Ausstellung bei den Minoriten. Buchstäblich hingeworfen, viel zu groß – wer könnte sich diesen wohl aufsetzen? Ist es vielleicht doch die Institution? Gerade die gebaute Architektur des so schönen und von uns für zeitgenössische Kunstformen seit über 40 Jahren genutzten Minoritensaals ist doch ein blanker Verrat an der franziskanischen Idee der Armut, auch wenn das Geschlecht der Eggenberger am Ende des 17. Jahrhunderts dies alles bezahlt hatte ... Kirche und Geld, Macht und Ohnmacht, das sind Abgründe, die sich nicht so schnell auflösen lassen. Schröder/Baranowski nehmen die Verstörung in diese Ausstellung hinein, wenn eine eigentlich gegenreformatorische Strategie – eine zur höchsten Christusstatue der Welt avancierte Repräsentation – plötzlich in das frühe 21. Jahrhundert hereinbricht. Dieses Phänomen ist nicht von religionspolitischen Strategien, die wir lange überwunden glaubten, zu trennen. Wer schützt die Kirche in Ungarn? Viktor Orbán. Wer lässt im Jahr 2018 Kreuze in den Amtsräumen wieder aufhängen? Der (evangelische) bayrische Ministerpräsident. Es ist also die Politik, die das religiöse Zeichen für sich zu nutzen weiß und wieder in die Gesellschaft hineinträgt. Umgekehrt hat das laizistische Modell Frankreichs, das wir in dieser Frage auch bei uns stillschweigend zu übernehmen scheinen, ebenfalls nicht zu einer friedlicheren Gesellschaft geführt.
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[33]Vgl. Krenn, Woisetschläger, 800 Jahre Kunst in der Steiermark, S. 63 f.
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[34]Zit. ebda. Vgl. auch Rochus Kohlbach, Die barocken Kirchen von Graz, Graz 1951, S. 49 ff.
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[35]Vgl. Standortwechsel. Ein Film von Norbert Trummer, hg. von Johannes Rauchenberger. Zeichnung, Malerei: Norbert Trummer, Filmmusik: der schwimmer, Text: Johannes Rauchenberger, Weitra 2011.
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[36]Vgl. Johannes Rauchenberger, „Ortlosigkeit und Animation: zur geistigen Geburtsstunde des KULTUMdepots“, in: ders., Gott hat kein Museum, Bd. III., S. 1042–1053.
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[37]Vgl. Krenn, Woisetschläger, 800 Jahre Kunst in der Steiermark, S. 58 f., 65.
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[38]Vgl. dazu: Alex Stock, „Katholisches Kunstgespräch in der Moderne“, in: ders., Keine Kunst, Paderborn 1995, S. 83–104; ders., Zwischen Tempel und Museum. Theologische Kunstkritik. Positionen der Moderne, Paderborn 1991.
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[39]Vgl. Stefan Beissel, „Moderne Kunst in katholischen Kirchen“, in: StML 74 (1908), S. 19–29, 25.