"Wir hohlen Menschen": Fasteninstallation von Ivana Radovanovic in St. Andrä
Ein Künstlerbuch und sieben Monitore dokumentieren den Prozess dieser Skulpturen von deren Entstehung bis zu ihrem Ende. Daneben stehen an der Kirchenwand in großer Höhe einige Verse des Gedichts „The Hollow Men“ von T.S. Eliot, die in der Nacht fluoriszierend leuchten:
„Wir sind die hohlen Männer / Aufeinandergestützt / Stroh im Schädel. Ach, /
Gestalt formlos, Schatten farblos / Gelähmte Kraft / Reglose Geste. /
Auf diese Weise geht die Welt zugrund / Nicht mit einem Knall: mit Gewimmer.“
The Hollow Men - (Wir hohlen Männer). Fasteninstallation von Ivana Radovanovic in Graz St. Andrä, Eröffnung: Aschermittwoch, 6. März 2019, Kuratoren: Johannes Rauchenberger/Alois Kölbl
Das gesamte Gedicht von Eliot über die Eitelkeit, den Popanz, die Macht und den Untergang bedeckt als Fastentuchstreifen die Hochaltarwand von St. Andrä. Mit dem Konzept dieser Arbeit vertrat Ivana Radovanovic Montenegro auf der letzten, der 57. Biennale von Venedig „VIVA ARTE VIVA“.
Für Ivana Radovanovic ist die Kunst nicht nur ein Weg der Freiheit, für sie ist „Kunst auch Religion“. „Es ist so vieles, was uns derzeit zerfällt. Ich glaube, dass ich mit meiner Kunst einen Akt der Ehrlichkeit und des Lebens setzen kann.“ Die Künstlerin befindet sich auf einer geistigen Reise, wenn sie Räume erkundet, sagt sie. Sie hält sich nicht für eine Konzeptkünstlerin, auch keine, die Theorien umsetzen will. Aber sie ist sensibel für den rechten Augenblick. Sie lädt die Betrachterinnen und Betrachter ein, sich irgendwo in dieser Reihe einzuklinken: Wenn das gelingt, findet sie ihre Skulpturen gelungen...
Seit Februar hat Radovanovic ein Stipendium in New York. Anfang Jänner war sie in Graz und bereitete die Intervention für den Aschermittwoch in Graz-St. Andrä vor, indem sie die Sätze von T. S. Eliot als weitere permanente Installation auf die Kirchenwand schrieb.
Zeitlichkeit und Leere und Auflösung sind etwas, das uns als Menschen definiert, denn unser Dasein ist so etwas wie ein Gegengewicht zu diesen Polen: Wir gestalten, nehmen Raum ein, fühlen uns zeitweise diesen Parametern enthoben. Und doch: Das memento mori durchzieht Religion wie Kunst, niemals ist es stärker als in der Mahnung des Aschermittwoch-Satzes: „Gedenke, Mensch, Du bist Staub!“ Das ist freilich eine Erinnerung an den Anfang, wo, so ist es im Buch Genesis der Bibel aufgeschrieben, der Mensch eben aus diesem Staub, der Erde, dem Lehm gemacht wird. Zwischen Verfall und Anfang aber ist Leben mit all seinen Sinuskurven.
„Angesichts der Defizite und des Chaos, in dem wir leben, steht uns kein anderer Weg zur Verfügung, als mit unserem Körper die Grenzen zu bearbeiten und vielleicht hie und da an einer Verbesserung zu arbeiten: Wenn es einer Künstlerin/ einem Künstler gelingt, diese Aspekte in ihre/seine Arbeit zu verweben, ist eine Möglichkeit vorhanden, dass es auf die Betrachterinnen und Betrachter überspringt – was ich deshalb anstrebe, ist eine Dreiecksbeziehung zwischen Künstler, Werk und Betrachter.“ (I.R.)
Johannes Rauchenberger