Iris Christine Aue: Himmel&Hölle
Iris Christines Aues Arbeiten transzendieren nichts, wohl aber markieren sie eine fragile Sehnsucht einer Transzendenz. Ihre Körper haben zwar meist eine gezeichnete Hülle, doch sind sie vielmehr nackt – zumindest in ihrer unter die Haut gehenden Fragilität.
Kunst zur Fastenzeit: ORF 2 – Orientierung (Gestaltung: Christian Rathner)
Iris Christine Aue zerschneidet mit dem Skalpell gezeichnete Gesichter und fügt sie wieder – zerschnitten – aneinander, vernäht sie miteinander. Ähnlich verfährt sie mit realen Körpern, die aus aneinander genähten gemalten Körperteilen bestehen. Mitunter sind diese aneinander gefesselt, mitunter sind es bloße Rückenansichten. Es sind nicht nur bloß „Bilder“, es sind zugleich zweidimensionale Skulpturen, die auch in den Raum ausgeweitet werden. Einmal hängt eine Körperhülle von der Decke, einmal ist sie zusammengefaltet am Teppich, einmal zeigt eine Rückenfigur mit ihrer Linken subtil die Falttechnik von „Himmel und Hölle“. Aues künstlerisches „Paradies“ sind die menschlichen Beziehungen, ihre Sehnsüchte und ihr Scheitern, vielleicht auch ihre Erfahrungen des Kittens und der Versöhnung. In ihm gibt es Verletzung, Rückenansichten, gefesselte Beine und Hände, auf dem Boden zusammengekauerte Existenzen. Sie zeugen von dem täglichen Machtgefälle, vom Überfrachten der Erwartung, von der Inanspruchnahme des Anderen, die ihn oder sie am Ende überfordert.
Kleine Kärtchen von Entwurfszeichnungen auf Büttenpapier sind gleichsam das Nest jener Imaginationen und Wortanreichungen in ihrem fragilen Kosmos, aus dem die Künstlerin später oft größere Arbeiten schafft. Darunter finden sich auch Zitate, mit der Hand auf Bleistift geschrieben. „So many stones in your garden.“ „Wenn Du von der Liebe sprichst, vergiss die Disteln nicht.“ „Under my thumb.“ „Your words cut deeper than knives.“ „Was Du auch willst, ich werde es dir geben. (Herodes zu Salome)“. Es sind unter die Haut gehende Bilder, die auf der Installation verteilt sind: Ein Nadelstich für den Finger. Eine Kinderschaukel, deren Trageschnur aus Mädchenzöpfen besteht. Ein kleiner, von einem Holzzaun umgrenzter Garten, in dem offenbar ein Riese steht. Wunderschön gezeichnete Disteln.
Letztere bilden beinahe einen neuen Werkzyklus. Sie sind Teil einer großen Rauminstallation, sie quellen aus Tagebüchern heraus, sind mit dem Messer vernäht und verschnitten.
Iris Christine Aue "reaching for", 2020, Bleistift und Aquarell auf Papier, Garn, 150 x 80 cm, KULTUMdepot Graz, aus: Iris Christine Aue: Himmel&Hölle (2020)
Die Ambivalenz von geschmähtem Unkraut auf der einen Seite und geschätzter Heilpflanze auf der anderen eröffnen einen weiteren „Graubereich“ im Kosmos der Künstlerin, der auch hier für ein differenziertes Sehen plädiert. Das Wachsen dieser Pflanzen ist zäh, durch jede Fuge findet sie ihren Weg. Dunkelheit hindert sie am Wachsen nicht. Das ist am Ende vielleicht auch das Credo von Iris Christine Aue, wenn sie den Finger auf all die Wunden menschlicher Sehnsüchte und Paradiese legt: Growing in the darkness.
Johannes Rauchenberger
Iris Christine Aue "das Geschenk", 2015, Farb- und Bleistift, Aquarell auf Papier, Stoff und Garn, 91 x 75 x 5 cm, Leihgabe der Künstlerin an das KULTUMdepot Graz, aus: Iris Christine Aue: Himmel & Hölle (2020)