Erwin Lackner: Kreuzfahrer
Eines der ersten Bilder der Ausstellung zeigt einen Mann gehobener Klasse, der über eine Mauer blickt: Ist er selbst der Kreuzfahrer auf dem Schiff? Oder erwartet er vielmehr ein solches? Schottet er sich ab? Ist es die Mauer, die ihm den Horizont nimmt? Ist die Angst in Sichtweite, dass hier jemand kommen wird? Die mit „Paradies“ bezeichneten Ölbilder im ersten Ausstellungsraum markieren subtile Malereien von Menschen, die sich innerhalb oder außerhalb eines solchen befinden. „Innerhalb“ bedeutet hier, sich innerhalb einer Mauer zu befinden, wo der fein gekleidete Mann seinen Blick nach außen richtet: Im anderen Bild markiert „Paradies“ die Aussicht eines im Bilde monumental gezeigten Mannes, der sein Essen eben aus dem Abfallkübel geholt hat. In einem dritten schließlich ist ein Mädchen auf einem Schemel stehend sehr verletzlich dargestellt. Lackners isolierte Figuren haben etwas sehr Beklemmendes. Sie richten den Blick auf Opfer, aber ebenso auch Täter. Immer sind es in dieser Serie Einzelmenschen. Einzelmenschen sind auch die Postings jener Menüfotos, die Erwin Lackner zum Ausgangspunkt seiner Bilderserie "FOODPORN" gemacht hat, die – nach der Installation am Aschermittwoch in St. Andrä – im Cubus zu sehen sind.
Erwin Lackner, Paradies 2, 2019, Öl auf Leinwand, 90 x 60 cm. Courtesy der Künstler
Auch das Objekt „Kreuzfahrt“ aus der Andräkirche, (das ursprünglich für den Minoriten-Innenhof geplant gewesen ist), hat sein Pendant in der Ausstellung: Ein zweites Boots-Objekt findet sich – jetzt als „Bootsrumpf“ (das Plakatmotiv) – in der Ausstellung im KULTUM wieder: Dort wird es zur Hülle für einen Corpus. Die Bauchwand ist seriell so beschnitten, dass durch das Einklappen der Bauchteile diese zu Rippen für einen Körper werden. „Kreuzfahrer“ ist freilich semantisch anders besetzt als mit den Bootsflüchtlingen auf dem Weg zum Paradies Europa. Die Kreuzfahrtschiffe der Gegenwart, die Europas Häfen verlassen, sind Ausdruck der Gigantomie des Luxus und das Fortschreiben einer sozialen Blase auf hoher See, die sich an der Verschmutzung der Weltmeere beteiligt. Der sprachliche Zynismus wird erst an derartigen künstlerischen Assoziationsbildern sichtbar.
Erwin Lackner, Bootsrumpf 1, 2020, Alu, Stativ, Lichtquelle. 458 x 91 x 33 cm. Courtesy der Künstler.
Erwin Lackner, Kreuzfahrt, 2019, Aluminium, Norista, Folie, 49,2 x 43,2 x 30,7 cm. Courtesy der Künstler.
Die Kreuzfahrer des Mittelalters wollten einst die Heilige Stadt Jerusalem von den Muslimen befreien; Lackner stellt dem eine Buchskulptur hinzu, wo sich Bibel und Koran Seite für Seite ineinander verklebt haben: „KoMBi“ – seit der Ausstellung „VULGATA. 77 Zugriffe auf die Bibel“ ein Teil der Sammlung des KULTUMdepots – ist ein Buchobjekt, das die Verschränkung dieser beiden großen Buchreligionen zum Ausdruck bringt.
Die Parallelen damaliger und heutiger Eroberungen lassen sich nur schwer begreifen.
Erwin Lackner, KOmBI, Buchobjekt I, 2015, Koran und Bibel vereint, Betonsockel, 28 x 28 x 23 cm, KOmBI, book object I, 2015 Koran and Bible united, concrete base, KULTUMdepot Graz (2017)
Der „Kinderkreuzzug“ war nicht nur eine Tragödie des Mittelalters, sondern wurde auch von Bert Brecht 1939 in die damalige Gegenwart übertragen, als er in seinem gleichnamigen Gedicht die Situation von jüdischen Kriegswaisen in Polen thematisierte, die nach dem Polenfeldzug auf der Suche nach einem friedlichen Land durch ihre zerstörte Heimat irrten und schließlich an Hunger und Kälte zugrunde gingen.
Erwin Lackner zitiert in seiner vierteiligen Bildserie „Sie wollten entrinnen dem Schlachten“ aus dieser Brecht-Ballade:
Sie wollten entrinnen den Schlachten
Dem ganzen Nachtmahr
Und eines Tages kommen
In ein Land, wo Frieden war.
Erwin Lackner, Sie wollten entrinnen den Schlachten, 2017/18, vierteiliges Objekt, Opalglas bedruckt, mixed Media, Lichtinstallation, je 99 x 84 x 5,5 cm, Sammlung Wolf
Im Zuge der Flüchtlingskrise 2015/16 sind viele Kunstwerke entstanden, die sich diesem drängenden Weltproblem verschrieben haben. Sie immer wieder auch öffentlich zu zeigen, zähle ich zu den Aufgaben von Museen und öffentlichen Institutionen, um weniger an der politischen Abschottungsstrategie mitzubauen. Das tut auch eine andere vierteilige Bildserie von Erwin Lackner: Wie in früheren Arbeiten verknüpft er dabei analoge und digitale Medien: Zuckerstücke über einem Wolfsfell, der Ausschnitt einer Schallschutztür oder das Bild eines röhrenden Hirsches verschmelzen mit Brechts Textpassagen, die erst durch einen Bewegungsmelder für die Betrachtenden sichtbar werden. In der Ausstellung „Grenze, Öffnung & Heimat“ auf Schloss Seggau anlässlich von „800 Jahre Diözese Graz-Seckau“ war diese Arbeit erstmals zu sehen.
Erwin Lackner, Carry, 2019, Bleistift, Artmarker auf Papier, 123,5 x 93,5 cm, gerahmt. Courtesy der Künstler.
Ganz neu für diese Ausstellung ist die Kreuzweg-Serie Erwin Lackners entstanden, die im Westkorridor des KULTUMs ihren repräsentativen Ort findet: Sie ist durchgehend abstrakt gehalten, kontrastiert aber mit Bildern von Figuren an der Fensterseite, die allesamt schwere Lasten zu tragen haben. Diese werden als Farbstrichzeichnungen ausgeführt, die jalousieartig die Sehnsüchte und Schmerzen der so Dargestellten transzendieren. Die 14 Stationen des in der Frömmigkeitsgeschichte des Christentums erst im Barock vollkommen herausgebildeten Kreuzwegs hat Lackner in einem gekonnten Austarieren der Formen, die in jedem der Einzelbilder ihren Platz beanspruchen, in seiner spezifisch entwickelten Artmarker-Schraffurtechnik gestaltet. Er kontrastiert sie hier aber nicht mit einer gezeichneten Figur wie in den Bildern gegenüber. Jedes dieser Bilder ist abstrakt, wenngleich die Serie von einer extremen Leidenserzählung handelt, die über Jahrhunderte herauf in der Fastenzeit betrachtet wurde – verbunden mit der Aufforderung zur compassio. Die einzelnen Stationen, die in den Passionserzählungen der Evangelien (Mt 27; Lk 23; Mk 14; Joh 19) (mit Ausnahme des dreimaligen Sturzes, der Begegnung Jesu mit Veronika und seiner Mutter) weitgehend ihre entsprechende Textquellen haben, lauten: (1) Jesus wird zum Tode verurteilt; (2) Jesus nimmt das Kreuz auf seine Schultern; (3) Jesus fällt zum ersten Mal unter dem Kreuz; (4) Jesus begegnet seiner Mutter; (5) Simon von Zyrene hilft Jesus das Kreuz zu tragen; (6) Veronika reicht Jesus das Schweißtuch; (7) Jesus fällt zum zweiten Mal unter dem Kreuz; (8) Jesus begegnet den weinenden Frauen; (9) Jesus fällt zum dritten Mal unter dem Kreuz; (10) Jesus wird seiner Kleider beraubt; (11) Jesus wird ans Kreuz genagelt; (12) Jesus stirbt am Kreuz; (13) Jesus wird vom Kreuz genommen und in den Schoß seiner Mutter gelegt; (14) Der Leichnam Jesu wird ins Grab gelegt.
Erwin Lackner, Kreuzweg, 14-tlg., 2019, Artmarker-Stift auf Papier, 80,5x60 cm, gerahmt, Museumsglas, KULTUMdepot Graz, aus: Erwin Lackner: Kreuzfahrer (2020)
Die Konstante in diesen Bildern ist das jeweils helle Kreuz, das sich aus den Artmarker-Schraffuren seinen dynamischen oder eben statischen Platz verschafft.
Johannes Rauchenberger