Joseph Marsteurer: Bilder ohne Kunst
Das ist die Frage des JOSEPH MARSTEURER in dieser Ausstellung. Diese stellt er seit rund 20 Jahren. Die ihn kennen, waren bislang über die Konsequenz seiner Malereizerlegung erstaunt bis hingerissen. Täglich malt er etwa 5 Meter lange Pinselstriche auf einem Trägermedium, nimmt sie ab, wiegt sie ab, scannt sie ein, zeichnet sie auf, analysiert sie und ordnet sie in sein Archiv. Von diesen Strichen hat er Hunderte „anzubieten“. Schließlich, das versteht Jedermann und Jedefrau, ein Bild hat Bestandteile, muss Bestandteile haben. Wer ein „Bild“ von ihm will, darf ein bisschen mitreden, ein, zwei Striche meist wählt er oder sie aus, der User darf kurz Mitschöpfer am Bilde sein, freilich nur, was das Entstehungsdatum dieses Striches ausmacht, die weiteren setzt dann aber doch der Künstler selbst und mixt sie so zur veritablen Wandskulptur oder zu einem Bild – das man aber auf alle Fälle auch um 90, 180, 270 Grad drehen kann. Es gibt keine fixe Ansicht. Keinesfalls. Und da setzt der Prozess schon ein: Wer ist der Künstler? Was ist ein Bild? Wann wird ein Bild zum Bild? Ist auch der Endverbraucher ein Schaffender, mit seinem vielleicht symbolisch gewählten Datum seines aus dem Archiv gewählten Strichs, seiner Spontangefälligkeit, seiner Dreh- und Hängelust?
So hat man Joseph Marsteuer bis jetzt gekannt: Bildinstallationen aus „Pinselstrichen“, die er täglich produziert, abnimmt, misst und archiviert.
Ich kenne Joseph Marsteurer seit etwa 15 Jahren. In seiner Personale 2007 legte er gleich über drei Ausstellungsräume hinweg ein großes Bild, das sich in den Raum schob und wo man Teil dieser Bildbehauptung war. 15 Jahre lang blieb sein Œuvre mehr oder weniger gleich, archivierte Striche eben, die mal so, mal so auf Plexiglasbildern wandern oder eine Rauminstallation in Ausstellungen erfahren. Was ein derartig „abstraktes“ Bild darstellen könnte? Allein die Frage: Fehlanzeige. Joseph Marsteurer ist nicht nur ausgebildeter Künstler, er studierte auch Violine mit Abschluss und ebenso Philosophie. Und steht täglich ab halb 9 im Atelier, streng getrennt von Netz und Computer – die Archivierungsarbeiten in Tabelle und Bildarchiv kommen erst am Nachmittag dran. Joseph Marsteurer ist also kein abgelenkter Künstler. Im Gegenteil.
BILDER OHNE KUNST? Fangen wir dort an, wo wir etwas ergreifen oder sehen können: bei der Materialität. Sobald Materialität diese Extravaganz aufweist, dass es vielleicht Kunst sein könnte, beginnt man darüber nachzudenken. Wenngleich es nur ein materialisierter, vermessener, archivierter Pinselstrich ist. Der Strich ist nicht Kunst. Die Materie der Farbe ist auch nicht Kunst. Ist vielleicht die Anordnung Kunst? Joseph Marsteurer hält da höchstens die Zwischenräume zu. Diese Zwischenräume mit seiner Kunst zu beschreiben, ansichtig werden zu lassen, diese ästhetischen Räume erfahrbar zu machen: Das ist seine Intention, seine Kunst. Nun mag man einwenden, dass das Gewicht seines künstlerischen Handelns – täglich das Gleiche, und das seit rund 20 Jahren – bei der Konsequenz der Verweigerung der Darstellungsfähigkeit seiner Bilder schon sehr groß sein muss, um das Ganze auszuhalten. Aber das ist eine reine Spekulation. Die aber wiederum Teil dessen ist, was Joseph Marsteurer mit reiner Grenzziehung meint.
Mit dieser Ausstellung sind erstmals – noch von niemandem gezeigt – völlig andere Bilder zu sehen, die mit der formalen Sprache des Joseph Marsteurer bislang absolut gar nichts zu tun haben. Und über diese „Wohnzimmerschinken“ (jede und jeder würde sagen: „schöne, bravourös gemalte Bilder“, deren Motive wiederum die Voraussetzung haben müssen:
„Möglichst schön!“, „Möglichst kunstfern!“) sagt der Künstler: „Das ist keine Kunst!“ Gegenfrage: Aber warum dann eine Ausstellung? Das, was sonst bei Marsteurer die Materialität der Malerei ist – der Pinselstrich – mit der er dann Kunst macht, ist hier das bereits fertig gemalte Bild, (das nach seiner Auskunft ja nicht Kunst ist), das nun in den Kontext Kunst – immerhin ist es eine Ausstellung! – thematisiert: „Es hat mich fasziniert, Malerei im Kontext Kunst zu betreiben, d.h. eine Malerei entstehen zu lassen, ohne sie im Kontext Kunst messen zu lassen.“ Die materielle Erscheinung von Malerei wird zwar verdächtigt, Kunst zu sein, ist es aber nicht. Die Materie selbst dieser „so schön gemalten Bilder“, also die präparierte Materie ist nicht gleichzusetzen mit der kunstästhetischen Erscheinung.
Eine fotografische Vorlage, „die möglichst unkünstlerisch und möglichst schön“ ist, dient als Ausgangspunkt der großformatigen Gemälde, die „keine Kunst“ sind. Marsteurer bemisst den Preis nach den Arbeitsstunden von Malern und Anstreichern und führt genau Protokoll. Foto: J. Rauchenberger
Wo ist also die Kunst? Verfolgt Malerei von vornherein die Absicht, Kunst zu sein? An dieser Stelle schleicht sich der Kunstbegriff ein; was ist Kunst, wo hört sie auf, wo fängt Kunst an?
Noch einmal: die Behauptung über diese Bilder ist „Keine Kunst!“ Jedenfalls im Kontext von dem, was wir „Kunst“ nennen. Das Schöne an ihnen ist jedenfalls das Ausschließungskriterium von Kunst. Und er kalkuliert den Widerspruch von uns als Betrachtende. Er nennt es „Abmalerei“, keine Kunst. Er wählt sozusagen den umgekehrten Weg: Er nimmt eine Malerei, die – anachronistisch gesehen – Kunst ist, aus dem Kunstkontext heraus, verschiebt eine Grenze, und zwar durchgehend transparent.
Der Arbeitsprozess bei der „Abmalerei“ von Joseph Marsteurer wird genau dokumentiert: 200 Stunden Jahreshöchstarbeitszeit dürfen bei der Erstellung des Bildes nach einer fotografischen Vorlage eben nicht unterschritten werden. Die Optimierung läuft nach Plan.
Joseph Marsteurer nimmt seine Betrachterinnen und Betrachter auch in eine Vergleichs- und Stundenübung mit dem „Vorbild“ und den Aufzeichnungen seiner Arbeitsleistungen mit. Der Entstehungsprozess ist also genau dokumentiert; angefangen von den genau beschriebenen Arbeitsstunden, den fotografischen Zwischenaufnahmen, die den Arbeitsablauf und den –fortschritt dokumentieren. Seine Zielsetzung ist eine möglichst genaue Umsetzung der Bildvorlage, die gleichzeitig den Zeitfaktor im Blick hat: 200 Arbeitsstunden pro Bild sind projektiert. Und 500 Arbeitsstunden pro Jahr. „Das ist ein Viertel der Jahresarbeitszeit.“ Der Künstler bleibt deutlich darunter. Er optimiert sich. Er möchte und wird auch von Mal zu Mal besser. Er führt damit auch unsere gegenwärtigen Leistungsbemessungen ad absurdum und hält mit diesem Spiegel vielmehr das utopisch Nicht-Betretbare in der ästhetischen Erfahrung offen. Freilich fragt man sich sogleich, wie das eigentlich „funktionieren“ kann, dass jemand, der sich als Künstler bezeichnet, 200 Stunden malt, ohne dabei Künstler zu sein. Marsteurer bringt also auch die Grenzen seiner eigenen Person ins Wanken und untergräbt dabei auch das bis heute erhaltene Geniebild des Künstlers.
Das, was er hier gemacht hat, ist nicht Kunst, sagt Joseph Marsteurer dezidiert über seine Bilder, wohlwissend, dass viele BetrachterInnen seine Bilder für Kunst halten. Aber die Lust am Verschieben, die Lust, jene Räume aufzutun, die sich der Definition entziehen - das ist vielleicht die Kunst, um die es hier geht.
Joseph Marsteurer geht es bei BILDER oder KUNST vor allem um Zwischenräume. In dieser Arbeit (der Abmalerei) „grenze ich vielmehr ab, es sind eben nicht die ästhetischen Räume, die in der anderen Arbeit, die ich sonst mache, ständig zum Zentrum werden.“ Marsteurer schließt hier etwas – seine Malerei als Kunst – aus: Indem er aber ausschließt, grenzt er den Begriff ein. „Dazu muss es aber relativ kunstnah sein für eine breite Betrachterschaft. Mit diesem Ausschlussverfahren ist der Fokus, wo sich Kunst-Ästhetisches abspielt, enger, etwas exakter.“
Täglich werden die Fortschritte fotografisch genau festgehalten und dokumentiert.
Was ist Kunst? Für Joseph Marsteurer ist Kunst immer eine Behauptung. Mit dieser Arbeit vollzieht er eben das Gegenteil: Die „Nicht-Kunst“ als Behauptung hinzustellen: Obwohl ein Werk vor uns liegt, sei „keine Kunst“ in ihm. „Kunst“ und „Werk“ gehen hier vielmehr getrennte Wege, sie verschieben sich.
Der Künstler konfrontiert mit BILDER OHNE KUNST seine Betrachter damit auch mit ihrem je eigenen Kunstbegriff. Und ertappt sie dabei an der Überhöhung des Kunstwerks. Auch mit dieser Malerei liegen Werke vor uns, die wir herausheben möchten, weil sie „schön“ erscheinen. Und doch ist es keine Kunst. „Die Kunst“, so der Künstler Joseph Marsteurer, „ist etwas Luftiges, etwas, das eigentlich nur Spuren hinterlässt und kaum greifbar wird. Wenn man glaubt, die Kunst zu haben, ist sie auch schon wieder weg. Weil man sie nur für das persönliche Erlebte für Momente erreichen kann. Kurz darauf ist sie auch schon wieder verschwunden: Das ist für mich der Kunstbegriff schlechthin.“
Kunst ist also für Marsteurer vielmehr etwas Dynamisches, das man weder in einer materiellen noch in einer sprachlichen Setzung fassen kann: Sonst könnte man die Kunst auf rationale Fakten herunterbrechen, womit sie womöglich sogar ersetzbar wäre. Aber das ist sie nicht.
Johannes Rauchenberger