Alois Neuhold: Innergärten und Trotzdemblüten. Verstreute Blütenblätter aus dem Gartenbuch eines verlorenen Paradieses
In Neuholds Bildwelt scheint alles prall zu leben. Schicht um Schicht, Lage um Lage und vor allem Farbe auf Farbe wächst das intensiv strahlende Bildobjekt unter den Händen des Künstlers organisch heran. Seine Arbeiten, die täglich entstehen und oft über einen Zeitraum von Jahren weiterwachsen, zelebrieren die Materialisierung des Lichts in Farbe.
... für ausgetrocknete Innergärten
Doch hier sind seine scheinbar fröhlichen Blumenbilder auch „aus dem Dunkel gemalt“, wie Neuhold betont. Seine Blumen und Blüten, seine Gefäße und Tabernakel, seine Gesichter und Engel scheinen alle zutiefst mit Abgrund, Bedrohung und Leere vertraut zu sein. Das merkt man selbst seinen reliefartigen, skulpturalen Blumen-Gebilden an.
Die in den Ausstellungsräumen durchaus sparsam gehängten Werke konzentrieren sich in zwei überbordende Bild- und Objektinstallationen: Am Ende des Westkorridors ist ein „Blumenflügelaltar für dürstende Seelen und ausgetrocknete Innergärten“ aufgebaut: Neuhold nimmt dabei auch die (2018 in der Ausstellung „Glaube Liebe Hoffnung“ im Kunsthaus Graz gezeigten) „Unnützbarkeitsgefäße für ein Himmlisches Hochzeitsmahl“ auf, indem er einige dieser kostbaren Becher und Tabernakeln erneut installiert, doch diesmal in Arrangement mit den neu gemalten Blumenbildern. Es ist ein Arrangement um eine leere Mitte – ein Motiv, das sich zwei weitere Male in der Ausstellung wiederholt.
Neuholds Sinn für rituelles Wiederholen verlangt ihm seit über drei Jahrzehnten eine strenge Maldisziplin ab. Ein Film aus dem unvergleichlichen Ambiente seines Ateliers in der Südsteiermark bringt diese Atmosphäre in die Ausstellung hinein. Aufgereiht sind etwa die zahlreichen Pinsel in unterschiedlichen Farbnuancen, die auf ihren „Farborchester-Einsatz“ warten. Das wiederholte, oft abstrahierte Motiv und dessen stete Vertiefen, Aufspüren und geduldiges Entstehenlassen haben auch etwas Rituelles aber vor allem auch Demütiges an sich. Und Priesterliches, auf das der Künstler im Ernstfall besteht.
Neu in seinem Werk sind nun also die Blumen, die als Bilder und kleine Skulpturen in der Ausstellung gezeigt werden; letztere werden derzeit nach und nach größer und dehnen sich ins Räumliche aus, werden wieder zu Figuren: Neuholds Schaffen geht auch während der Ausstellung weiter. Je mehr sich Alois Neuhold mit Blumen beschäftigte – angesichts seines Ambientes in seinem Atelierhaus eine beinahe logische Konsequenz, ist er doch von einem üppig wuchernden Garten umgeben, wie es abermals der Film am Beginn der Ausstellung eindrucksvoll darstellt – desto mehr wurde daraus ein Nachdenken über das Paradies.
Gewebter Text
Paradies, dieses in der Spätmoderne so missbrauchte Wort aus dem früheren Wortschatz der Religion – Einkaufsparadiese, Urlaubsparadiese, Senorienparadiese, Pflegeparadiese werden (wurden?) für die Konsumwelt unentwegt bemüht – , ist für Neuhold, der in jungen Jahren auch Theologie studiert hat, ein Reibebaum angesichts der derzeitigen apokalyptisch gedeuteten Welt, die für viele freilich auch eine reale Apokalypse ist. Mit Corona kam ungeplant ein weiterer, immer tiefer wurzelnder Aspekt von Unsicherheit hinzu. Ist nun doch die bedrohte Gesundheit das geraubte Paradies? Neuhold will dieses Urwort, das einen Urzustand von Schönheit, Glück und Unschuld zum Ausdruck bringt, nicht einfach aufgeben. Er versucht, es TROTZ allem, was täglich dagegenspricht, dem Unheil förmlich entgegenzuhalten.
Die „Strategie“ ist nur scheinbar die Naivität. Doch ohne sie wird man seinen Urzustand auch nicht erahnen können, mit ihm die Erinnerung, den kindlichen Blick, das erste Mal... In ihr lässt er das Dunkle ein, die Ambivalenz der Schönheit, die Traurigkeit des Glücks, die Verantwortung für das, was er „Schöpfung“ nennt.
Mit seinem Text, der in einem Zeitraum von zwei Jahren entstanden ist – immer wieder hat er an den einzelnen Formulierungen herumgetüftelt – macht er sozusagen großes Welttheater und bündelt es zugleich an das lyrische Ich, das auch ein biografisches Ich ist. Vieles von dem, was er thematisiert, hat er selbst miterlebt und durchgearbeitet, manches aber eben auch nicht, weshalb er sich fast schämt, darüber „Worte zu verlieren“: „Mir ist das schmerzlich bewusst.“ In der Vielgliedrigkeit seiner Gedanken ist zum Hauptthema die zentrale Botschaft zu vernehmen: „Das Paradies ist ein Geschehen. Es ist in uns.“
In einem Hörraum (dem „Cubus“) werden die Besucherinnen und Besucher zu offenen Projektionsflächen für Rezeptionen in je neuen Biografien. Gelesen von Ninja Reichert – ursprünglich im selben Raum ebenso in der ersten Phase des radikalen Shutdowns aufgenommen – eröffnet der Text einen weiten Resonanzraum zu auf den ersten Blick vielleicht lieblich gemalten Bildern, denen sich beim zweiten Blick eine ganz andere Dimension erschließt. Man kann den Text in der Langfassung hören und lesen, es gibt aber durch die Buchstabensetzung auch eine Kurzfassung des Textes: Dieser ist im Gang des Südflügels auf einem Monitor Satz für Satz lesbar.
Medaillons
Dieser Bereich der Ausstellung ist beinahe ganz den Blumen und dem Paradies gewidmet: Bevor man aber in diese derartig besetzten Zellen eintritt, ist an der Fensterseite des Zuganges eine Serie von streng geformten Gesichtern, die mit Blütenbildern alternieren, angebracht. Die Gesichter haben etwas von großen Medaillons, wie einst Ahnenbilder eingerahmt wurden. Aber es ist keine Individualität erkennbar, vielmehr ein Antlitz, das jede Betrachterin, jeder Betrachter ansieht – mit einem allseits gültigen, nicht zeitlichen Blick. Wenngleich es keine Jungbrunnen-Galerie ist, die hier angeführt ist, sondern ein Blickserie, deren Erfahrung das pure Leben ist. Oder sind es womöglich doch die Spiegel, die in der endzeitlichen Vision des Apostels Paulus im 1. Korintherbrief angedeutet sind: „Jetzt schauen wir nur dunkle Umrisse wie durch einen Spiegel. Dann aber schauen wir von Angesicht zu Angesicht.“ (1 Kor 13, 12).
Metaphysischer Ernst, Leichtigkeit und Leere
Auf diesen metaphysischen Ernst setzt Alois Neuhold am Höhepunkt der Ausstellung, die sich in zwei, ganz in Weiß gehaltenen Räumen entfaltet. Man kann sie nur betreten, wenn man die Schuhe auszieht. Auch darin werden Theophanieerzählungen wach: „Tritt nicht näher heran, ziehe deine Sandalen aus, denn der Ort, wo du stehst, ist heiliger Boden“ (Ex 3,5). Der erste Raum zu den „zwei Einblickfenstern in den Vorhof mit dem Tor zum Paradies“ ist von Engelsgesichtern gesäumt. Wiederum sind es vor allem Gesichter, doch die Flügel weisen sie als derartige himmlische Wesen aus, die ikonografisch in der Seraphim-Tradition stehen. Irgendwie Wächterengel also. Doch von Angst und furchtgebietender Ehrfurcht wie auf den Barockdecken – der angrenzende Minoritensaal, der gerade renoviert wird, hat in seiner großen
gemalten Decke genau dieses Thema zum Inhalt – ist man hier weit entfernt. Aber irgendwie scheinen diese so lebenserfahrenen (womöglich mitunter sogar lebenssatten?) Engelsgesichter das angrenzende Paradies zu bewachen. Als Besucherin, als Besucher streift man an ihnen vorbei, wird vielleicht in manchem erkannt.
Die Ausstellung führt thematisch damit in den letzten Raum, wo die „zwei Einblickfenster“ einen Blick frei geben, der Blütenblätter, Blumen, Tiere zeigt. Am Boden liegen sie verstreut, irgendwie auch wie Scherben, denen hier eine seltsame Anmut zukommt. In der Mitte befindet sich eine zugemauerte Tür mit der Aufschrift „Ich sehe das Tor zum Paradies weit offen“. Um sie – ein drittes Mal die leere Mitte – ist alles in diesem Raum, den man nun auch nicht mit Sandalen betreten darf, gruppiert. Es bleibt ein Paradoxon zurück, eine Ahnung, ein inneres Bild.
Johannes Rauchenberger
Als Nachlese zur Ausstellung erschien im Verlag Bibliothek der Provinz ein reich bebildertes Buch, das die Ausstellung umfassendes dokumentiert: Erhältlich im KULTUM oder unter tickets@kultum.at
Alois Neuhold: Innergärten und Trotzdemblüten. Hg. von Johannes Rauchenberger, Verlag Bibliothek der Provinz, Weitra 2020. 112 Seiten, Festeinband, ISBN 978-3-99028-983-9. Preis: € 29,-