Kunst-Aschermittwoch
Wie wir leben wollen, zeigt sich im kleinen und großen Beziehungsnetz sozialer Netzwerke vor allem in einem nie dagewesenen Mitteilungsbedürfnis: Eines ist das Teilen eben gekochter bzw. servierter Menüs auf Facebook und Instagram vor dem Verzehr. Die „FOOD-PORN“-Serie des steirischen Künstlers Erwin Lackner besetzt am Aschermittwoch 2020 die Kirche von Graz St. Andrä, ehe sie anschließend in die Ausstellung des Künstlers ins KULTUM zurückkehrt. Sie eröffnet damit auch eine Obertonreihe des Ausstellungsjahres 2020, das künstlerisch entwickelte Paradiesvorstellungen zeigt.
Der Anfang dieser Reihe markiert das private Paradies des Essens im geteilten Wohlgefühl der Facebook- und Instagram-UserInnen. Für den Aschermittwoch ist das freilich ein Widerspruch. Aber es ist nicht weniger Widerspruch angesichts einer Weltsituation, in der so viele derartige Menüs nicht teilen können, weil sie schlicht nichts zum Essen haben. Kunst, wie sie hier inszeniert wird, ist moralisch, ja. „Fastenzeit“ ist längst im säkularen Leben angekommen, in ihrer Sehnsucht nach Entschleunigung und nach Entschlackung. Es sind 40 Bilder, die – obwohl ursprünglich überhaupt nicht dafür geplant – zufällig auch die „40 Tage“, wie diese Zeit in ihrer ihr eigenen Zählung bis zum Osterfest in der christlich-liturgischen Zeitrechnung gezählt werden, überdecken. Zu Aschermittwoch werden diese „Foodporn-Bilder“ in den Bankreihen installiert, sehr nahe an den Gottesdienst Mitfeiernden. Sie verstellen diesen die Sicht auf den Altar.
Erwin Lackner, Installation in St. Andrä/Graz zum Aschermittwoch 2020. In den Bankreihen: "Foodporn-Serie", 40 teilig, je 60x60 cm, 2019, Öl auf Leinwand; vor dem Altar: "Kreuzfahrt", 2018. Foto: Johannes Rauchenberger
Die direkte Konfrontation mit diesen „Essensbildern“ ist wohl auch ein stellvertretender Nachdenkprozess, „was Fasten, aber auch Verantwortung für diese Welt bedeuten könnten“ (EL).
Das zeigt sich auch am anderen Objekt, das während dieser 40 Tage in der Kirche, die ja vor allem auch ein öffentlicher Ort ist, bleiben wird: Ein großes Kreuz in Form gekreuzter Boote. Das Objekt „Kreuzfahrt“, das zwei in Form eines griechischen Kreuzes gebildete Kanus im „rechten“ Winkel vereint, beansprucht den Raum der Grazer St. Andräkirche bis zum Karfreitag 2020. Sie greift die Ausweglosigkeit der Bewegung für ein Schiff auf, das seit jeher auch ein Symbol der Überfahrt ist. So aber heben sich die Kräfte für ein Fortgleiten auf; es gibt kein Weiterkommen. Zwar ist das schwimmende Objekt nach allen vier Himmelsrichtungen ausgeliefert, nur drückt es den Zustand des vollkommenen Stillstands aus. Die Vorstellung potentieller Bewegung ist auf den Nullzustand aufgehoben. „Die Interessenslagen, die sich in politischen bzw. ideologischen, religiösen Konzepten ausdrücken, verdichten sich in diesem Boot. So wird es zu einem signifikanten Bild eines Prozesses, der sich in seiner Komplexität und Vielschichtigkeit offenbar kaum prägnanter formulieren lässt als innerhalb der Kunst.“ (Günther Holler-Schuster).
Der harte Migrationskurs, den derzeit erfolgreiche politische Parteien in Europa den Wählern versprechen meinen zu müssen, ist hier in eine ansichtige Skulptur gegossen, als Zeichen in der Öffentlichkeit für jene, die eine derartige Politik fordern, und mit der so gewählte Parteien auf der anderen Seite derzeit siegreich sind: Es wird die Ausweglosigkeit derer sichtbar, die dieses Boot benutzen wollen. Es ist kein Zeichen des Heils, auch kein Identitäts-Zeichen fürs Abendland, im Gegenteil. Die Spannung zwischen einer übersättigten Wohlstandsgesellschaft mit starkem Mitteilungsbedürfnis und jenen, die solche Boote benutzen wollen, ist jedenfalls an diesem Aschermittwoch-Abend ins Unerträgliche gesteigert. Sie sind ja nur stellvertretend für die Vielen, die überhaupt nichts mitzuteilen haben.
Erwin Lackner, Kreuzfahrt, 2018, Installation in der St. Andrä-Kirche/Graz, bis Karfreitag, 10. April 2020, Foto: J. Rauchenberger
In den Dialog mit dem Andreaskreuz in der Leid-Inszenierung am Hochaltar mischt sich im Kirchenraum die Transformation des Herrschaftsgestus des barocken Vorstehersitzes zu einem Zeichen solidarischen Miteinanders, wenn Feuerwehrschläuche subversiv hierarchische Ordnung unterwandern und ein sprechendes Zeichen dafür generieren, dass sich die brennenden Probleme dieser Welt nur gemeinsam und grenzüberschreitend lösen lassen.
Franz Konrad, O.T. (Sessio), 2020 (Detail), St. Andräkirche Graz, Foto: A. Kölbl
Der Künstler Franz Konrad verwebt mit dieser assoziationsreichen skulpturalen Intervention seine Wandzeichnung mit dem brennenden Vierungsturm von Notre Dame im hinteren Teil der Kirche mit dem Zentrum des liturgischen Feierraumes. Während die Zeichnung der brennenden Kathedrale von Paris und ihres einstürzenden Vierungsturmes, der in den Flammen seinen schaurig-schönen, ultimativen Auftritt hatte und ein Jahrhundertbild generierte, das sich ins kollektive Gedächtnis einbrannte, die Fragilität abendländischer Kultur in Erinnerung ruft, gemahnt die durch Löschschläuche verbundene Bestuhlung an den oftmals verschütteten Wesenskern.
Die mittelalterliche Gestalt der ‚Frau Welt‘ an gotischen Kirchenportalen mit ihrer verführerischen Vorder- und ihrer von Ungeziefer zerfressenen und von Kröten bevölkerten Rückseite stand schließlich Pate für das von ihm für die Kunst-Kirche St. Andrä bearbeitete Messkleid, das im Stiegenaufgang des KULTUMs in der Fastenzeit 2020 zu sehen ist. Es zeigt keine religiösen Motive, sondern appliziert den künstlerischen Ruf nach Weltverantwortung auf ein Priesterkleid. Die spielenden Kinder der Vorderseite weisen den Blick in die Zukunft, Kreuzfahrtsschiff und auf den letzten Schollen treibende Eisbären der Rückseite werden zu Inkunabeln vordergründiger, individueller Paradiese auf Kosten anderer.
Johannes Rauchenberger/Alois Kölbl
Die Autorin in der Höhle des Mundes
Die belarussische Schriftstellerin Volha Hapeyeva ist eine Meisterin konzentrierten Erzählens. Ihre Texte sprechen eine schlichte und zugleich poetische Sprache, die dem Leben abgelauscht ist und mitunter auch lakonische Töne annimmt. „Selbstverständlich verspüre ich manchmal weder Lust auf Tee noch auf Kaffee – in diesem Augenblick schlägt die Sternstunde einer heißen Schokolade.“ Wer sich auf ihre Sprache einlässt, dem steigt nicht nur der Mund in den Kopf, der muss auch sein Schuhwerk wieder in den Mund nehmen, denn „der mund ist eine art linguistischer schuh…“, behauptet Volha Hapeyeva einmal.
Die Schauspielerin Ninja Reichert liest den Text von Volha Hapeyeva
„Ein Salat ist ein kollektives Subjekt, das aus jenen besteht, die sich hinzugesellen, es ist sozusagen eine andere Form von Existenz, und ähnelt damit ganz und gar nicht der einer vereinzelten Tomate, Gurke, einem Radieschen o. ä..“ Sie sympathisieren also mit einer Gurke? Sie bemerken, dass Ihr Tomat am Donnerstag verstarb. Sie haben das Vertrauen in Ihre Pasta verloren? Sie denken, dass Ihre Tasse eine Buddhistin ist? Sie hören den Klang einer Eierharfe? Volha Hapeyeva schreibt ohne große Gesten, ohne Überschwang über Lebensmittel, erhebt Küchengeräte zu Helden und verknüpft diese mit philosophischen Ideen. Leichthändig greift sie der Nahrung ins Herz, und was heißt das im Prosaischen anders, als dass sie die Dinge auf den Tisch legt, mit Understatement und Witz. Insgesamt sind es „31 essbare Geschichten“ geworden, die bisher nur auf Belarussisch veröffentlicht wurden. Und jede Geschichte ist ein Beispiel dafür, was entstehen kann, wenn man sich auf „Nährendes“ konzentriert und es durch den philosophischen Denkwolf lässt, als gingen Gott und die Welt, Mann und Frau, Text und Sprache durch den Magen. Volha Hapeyeva erhebt die Einbauküche zur ersten Höhle der Philosophie: „Das Öffnen von Dosen, von Gläsern, das Aufreißen von Päckchen, das Herausnehmen von etwas Hartem, Kaltem oder bereits Erhitztem, von Flüssigem oder Gummiartigem, von etwas, das immer Körper ist – dieser Vorgang des Herausnehmens eines Inhalts – macht mich zu einer Hebamme, (…)“. Nun werden einige dieser Geschichten am Aschermittwoch in St. Andrä zu hören sein. Ninja Reichert wird sie lesen: Gedankenvöllereien zu Beginn der Fastenzeit. In Graz ist Volha Hapeyevas übrigens keine Unbekannte mehr, bereits 2013 war sie Stipendiatin des Internationalen Haus der Autorinnen und Autoren. Jetzt lebt sie wieder in Graz. Bis August dieses Jahres ist sie noch Stadtschreiberin.
Barbara Rauchenberger
„Manchmal fällt da eine Maus hinein – die verhungert dann“. Es ist kalt auf der Chorempore der Grazer Kirche St. Andrä im Stadtbezirk Gries. Die Orgel hat den Zenit ihrer besten Zeiten längst überschritten und der Organist Alexander Bauer, der aus Salzburg angereist ist, um das Instrument auszuprobieren, findet eine Erklärung, warum manchen Pfeifen der Atem stockt. „Eine alte Mauracher“, weiß der Experte, noch bevor ihm der Schriftzug über den beiden Manualen seine Vermutung bestätigt. Schön seien die im Klang, aber auch anfällig. Alles bis auf den Blasbalg funktioniert noch mechanisch und manches davon spurt dem Maestro mit vereintem Widerwillen. Die Kombination mancher Registerzüge eröffnet dafür ungeahnte Möglichkeiten: Da g hier nicht gleich g ist, lassen sich Vierteltöne und allerlei interessante Schwebungen aus dem Instrument zaubern.
Vier Komponisten und Komponistinnen haben wir beauftragt, ein kurzes Stück für dieses Instrument und Elektronik zu schreiben, das auf das Thema der Ausstellung „Foodporn“ reagieren soll. Ein neues Werk wird Alexander Bauer, der selbst am Mozarteum neben Orgel auch Komposition studierte, beitragen. Der vielseitige Musiker kann auf Aufführungen bei den Salzburger Festspielen oder im ZKM Karlsruhe verweisen und ist als Musiker im oenm – österreichisches ensemble für neue musik und beim Ensemble NAMES aktiv.
Ebenfalls aus Salzburg kommt der zweite musikalische Beitrag. Matthias Leboucher, 1985 im französischen Vendôme geboren, studierte Klavier und Komposition in Frankreich und am Mozarteum. Seine Lehrer waren u.a. Paul Badura-Skoda und Tristan Murail. Der Salzburger Landesstipendiat von 2017 beschäftigte sich intensiv mit der Interaktion zwischen Computer und Musikern und ging dabei etwa der Frage nach, inwieweit ein Computer als eigenständiger Musiker fungieren kann.
Die am Institut für elektronische Musik und Akustik (IEM) der Grazer Kunstuniversität lehrende Komponistin Veronika Mayer wird ein weiteres Stück für Orgel und fixed media beisteuern. Die 1977 geborene Künstlerin schrieb Auftragswerke u.a. für Wien Modern, die Jeunesse oder das Ensemble reconsil. Sie befasst sich mit den Themenfeldern Improvisation, Live-Elektronik, Klanginstallationen, Klangobjekte, instrumentale und elektroakustische Komposition und ist auch auf internationaler Ebene rege künstlerisch präsent.
Adam McCartney, 1987 in Limerick geboren, studierte zunächst in Cork Komposition, später bei Klaus Lang in Graz. In seinen künstlerischen Arbeiten steht die Beobachtung von Klängen und deren Zusammenhängen im Mittelpunkt. Seine Musik zeichnet eine präzise Klangsinnlichkeit, mittels der McCartney versucht, den Erfahrungshorizont der ZuhörerInnen zu erweitern. Die Nachvollziehbarkeit und aktive Wahrnehmbarkeit von Klängen ist ihm in diesem Sinne ein großes Anliegen. Am 26.2. wird ein neues Werk für Orgel und Elektronik aus seiner Feder erstmals zu hören sein.
„Rondo“ heißt das Werk für Orgel solo von Christoph Herndler, welches das musikalische Programm im besten Sinne des Wortes abrundet. Form des Rhythmus und Form des Materials dieser Komposition folgen exakt einem geometrischen Muster. Die Form des Materials des circa vierminütigen Stücks lässt sich auf folgende Weise skizzieren:
A A A B B B B A
A A B A B A B A B B A B A B A B
A A B B B B A A
Herndler folgt dabei stets seiner eigenen Prämisse: „Es ist nicht einerlei wie man eine Idee notiert, denn die Art der Notation wirkt ihrerseits auf die Idee selbst.“
Wir hoffen natürlich, dass sich zum Anbruch der Fastenzeit nicht zu viele Kirchenmäuse in die Innereien der Orgel der Kirche zu St. Andrä in Graz verirren, um dort für immer in Klausur zu gehen und freuen uns umso mehr auf eine sehr besondere liturgische Feier, die uns gewiss Anlass gibt, über manches nachzudenken und den Gegebenheiten zu lauschen, die um uns herum vielleicht allzu selbstverständlich erscheinen.
Christoph Renhart