Henry Jesionka: FLEEING SHADOWS
Die Apokalypsen der „Fleeing Shadows“: Ausstellungsvorwort von J. Rauchenberger
Trinity
ein Grabmal für J. Robert Oppenheimer
Diese Bodenskulptur wurde als Schrein/Reliquiarkonzipiert, der die Erinnerung an die von J. Robert Oppenheimer entwickelte erste Atombombe birgt.
Henry Jesionka: Trinity – ein Grabmal für J. Robert Oppenheimer, 2023 Acryl auf Leinwand, Aluminium, Kupfer, Blei, Bandagen, Taschenuhren, Blattgold auf Kunststoff (Krone), Beton, oxidierte Kupferpfennige, Duratran, Leuchtkasten, Glas
(Ausstellungsansicht)
Foto: Nikola Milatovic
Die Mischtechnik-Skulptur besteht aus einer rahmenden Halbkugel, auf der Oppenheimers “Grabmal” montiert ist. Inspiriert von den “vesica piscis” - sich überlappenden Scheiben mit gleichem Radius, die in der frühchristlichen Ikonografie das Bild Christi einrahmen - ist Oppenheimer hier der Schöpfer, der auf ewig mit dem Moment der Detonation der Atombombe in Hiroshima verbunden ist. Sein Bild ist in eine Leinenbinde eingebunden, die in ein Bündel von Taschenuhren mündet, die alle auf den Zeitpunkt der Zündung eingestellt sind. Er ist an seine Erfindung gebunden. Er ist auch ein Flaschengeist.
Die “Bombe” selbst ist ein kugelförmiger 3-D-Spiegel, an dem Bilder von “Blumen” angebracht sind. Bei diesen Blumen handelt es sich in Wirklichkeit um Bilder von “Rapatronic”-Fotos von Atomexplosionen, die die ersten Millisekunden verschiedener Detonationen darstellen. Auf der Skulptur sitzt eine Krone, die dem berühmten Foto “Milk Drop Coronet Splash” von Harold Edgerton nachempfunden ist, der auch einen speziellen Verschluss für Atombombenfotos entwickelt hat.
Das gesamte Werk ist auf einem Betonsockel montiert, aus dem die geschmolzenen und oxidierten Münzen als Finger herausragen.
Schwarze Löcher
Diese an der Wand montierte Mischtechnik-Skulptur ist eine Hommage an Stephen Hawking, der vor allem für seine Arbeiten zur Physik der schwarzen Löcher bekannt ist. Die Skulptur ist im Stil einer religiösen Ikone gefertigt. Anstelle von Edelmetallen und Juwelen ist das Hawking-”Altarbild” jedoch aus Blei, Aluminium, Stahl, Eisen und Kupfer gefertigt.
In ähnlicher Weise umfasst das Bildfeld ein Porträt von Hawking in seinem Rollstuhl, umgeben von unpassenden Bildelementen: eine aus Kupfer gefertigte Krone aus “Teilchenkollisionen”; das Schaf Dolly, das erste geklonte Tier, ebenfalls aus Kupfer; in Kupfer geprägte Bilder von Atomexplosionen von Harold Edgerton; das “Hopefield-Netz”, ein piktografischer Verweis auf Neuronale Netze, einen Vorläufer der künstlichen Intelligenz, in Rost geätzt aus Stahl; ein in Kupfer geprägtes Bild der “anima sola” oder einsamen Frau, das eine Seele in der Vorhölle darstellt; und ein uraltes Sonnensymbol, das aus wirbelnden Mustern von Eisenspänen besteht, die durch Magnete auf der Rückseite einer großen oxidierten Kupferscheibe, die unserem Planeten oder der Himmelsscheibe von Nebra ähnelt, in Form gebracht wurden.
Henry Jesionka: Black holes, 2023
1,5 m x 1,35 m x 20 cm
Acryl auf Leinwand, Aluminium, Kupfer, Kupferoxid, Blei, bearbeiteter Stahl und Oxid, Magnete, Eisenspäne, Nägel, Glasbausteine, Glas
Foto: Nikola Milatovic
T=0-73,191 & T+76,437 – zwei Skulpturen der Challenger-Explosion von 1986
T=0-73.191: Die aus poliertem Aluminium gefertigte Skulptur spiegelt die Umgebung wider und fungiert als physischer Zeitstrahl von der Zündung bis zur Explosion.
Henry Jesionka:
T= 0–73.191, 2023, polierte Alu (Vordergrund)
T+76.437, 2023, patinierte Bronze (Hintergrund)
(Ausstellungsansicht)
Foto: Jesionka
Henry Jesionka:
T+76.437, 2023, patinierte Bronze (Vordergrund)
T= 0–73.191, 2023, polierte Alu (Hintergrund)
(Ausstellungsansicht)
Foto: Jesionka
Henry Jesionka:
T+76.437, 2023, patinierte Bronze
Foto: Nikola Milatovic
T+76.437 ist einem Detail der Explosion selbst nachempfunden. Die Rauchkugel mit divergierenden Rauchfahnen, die einem antiken Artefakt eines abgetrennten Opferkopfes ähnelt, ist aus patinierter Bronze gefertigt und verweist auf antike Artefakte - unser kollektives Gedächtnis.
Als solche ist die Skulptur „aus der Zeit gefallen“.
Elégie
Elégie ist eine Hommage an die Migranten, die bei dem Versuch, das Mittelmeer nach Europa zu überqueren, im Meer ums Leben kamen.
Henry Jesionka
Elégie, 2023
(Ausstellungsansicht)
Foto: Jesionka
Die Skulptur besteht aus zwei mittig angeordneten Händen, die Rücken an Rücken platziert sind - eine aus Aluminium gegossen, aber so bearbeitet, dass sie wie Blei aussieht, und die andere aus Messing gegossen, aber so bearbeitet, dass sie wie Gold aussieht - und in Augenhöhe zwischen zwei sich kreuzenden Stacheldrahtscheiben platziert sind (was wiederum an die “vesicapiscis” erinnert).
Hinter den Händen befinden sich zwei um 90 Grad versetzte Spiegel. Die dem Betrachter zugewandte “bleierne” Hand ist mit gestanzten Texten aus Berichten von Migranten aus erster Hand versehen - “Ich bin zersplittertes Holz und Tränen und Meerwasser”, zum Beispiel - während die polierte “goldene” Hand, die dem Spiegel zugewandt ist und nur in der Reflexion gelesen werden kann, Auszüge aus den christlichen Seligpreisungen trägt.
Henry Jesionka
Elégie, 2023
(Detail, Ausstellungsansicht)
Foto: Jesionka
Photo Graph
Wenn eine Atombombe gezündet wird, entsteht sofort ein intensiver Lichtblitz, der so genannte Flash.
Der Blitz dauert nur den Bruchteil einer Sekunde, aber seine intensive Energie erzeugt Temperaturen, die heißer sind als die der Sonnenoberfläche. Da das Licht alles in seinem Weg verschlingt, werfen Objekte in unmittelbarer Nähe Schatten auf die Oberflächen hinter ihnen. Diese Schatten sind das Ergebnis der extremen Hitze, die die freiliegenden Oberflächen verdampft oder versengt, während die abgeschirmten Bereiche relativ unberührt bleiben - Silhouetten von Menschen, Fahrrädern und anderen Alltagsgegenständen.
Henry Jesionka
Photo Graph, 2023,
Objekt und Wandmalerei, Ausstellungsansicht
Foto: Jesionka
Die Apokalypsen der „Fleeing Shadows“
Johannes Rauchenberger
Henry Jesionka hat mit dieser Ausstellung hoch gepokert. Monate, ja Jahre darauf vorbereitet, war er in den letzten Wochen im KULTUM zum Aufbau in einer Konsequenz, die ihresgleichen sucht, präsent. Lange wusste man als „Zuschauer von außen“ nicht ganz, ob und wie das wird, was er sich skizzenhaft vor Jahren als Konzept ausgedacht hatte. Ob es nicht alles zu viel werden würde, zu komplex und zu einfach zugleich. Aber jetzt: Das hohe Pokern hatte nicht nur ihren Preis – der Künstler hat ihn auch gewonnen. Und mit ihm die Menschen, die diese Ausstellung sehen werden. Sie ist nun – in Kooperation mit dem Festival La Strada – in den Sommerwochen 2023 im KULTUMUSEUM zu sehen. Sie zeigt auch von Jesionkas jahrzehntelanger Erfahrung, mit Bildern, Skulpturen und Räumen umzugehen.
Es ist leicht untertrieben, dass Henry Jesionka „Fragen um Auswirkungen naturwissenschaftlicher Forschung und Entwicklung auf unsere Gesellschaften umtreiben“. Er ging aufs Ganze, suchte nach den alten Fragen von Mythen, von Werden und Vergehen, von prometheischem Titanentum und der darauffolgenden Strafe der Götter – die ganz unmythisch und realpolitisch lauten: die Vernichtung ist nicht nur als Mythos denkbar, sondern auch real möglich, ja sogar wahrscheinlich – wenn wir nicht alle dagegen auftreten. Jesionka setzt dem Anherrn der Möglichkeit unserer Selbstauslöschung, dem Physiker und Vater der Kernspaltung, J. Robert Oppenheimer, ein Grabmal, setzt ihn, den „amerikanischen Prometheus“, in die Mandorla, die über Jahrhunderte Christus vorbehalten war, umgibt ihn sogar mit „Reliquien“ und lässt ihn am Ende der drei Ausstellungszellen umfassenden Erzählung als beinahe fluoriszierenden schwarzen Schatten an die Wand schlagen, dandyhaft und feingeistig parlierend mit Zigarette, während sein Stuhl, auf dem er eben noch gesessen haben muss, noch steht. Das sind die Berichte vom Energie-Flash, der höher ist als jener der Sonne, der Atombomben also von Hieroshima und Nagasaki vom 6. und 9. August 1945: Sie löschten binnen von Sekunden hunderttausendfaches Leben aus. Was so nicht ins Nichts ausgelöscht wurde, wurde in einer menschheitsgeschichtlich bis dahin nie dagewesenen Energie als Schatten an die Wand geworfen. „Fleeing Shadows“ ist der Titel dieser Ausstellung. Diesen Schatten ist – vor allem jenen in der Gegenwart, deren Flüchtlingsversuche uns täglich erreichen und deren Not die reichen, westlichen Gesellschaften politisch zu zerrütten drohen – im selben Raum eine „Elègie“ gewidmet.
„Trinity“ (Dreifaltigkeit) war der zynische Titel der ersten Atombombenexplosion, die J. Robert Oppenheimer der Detonation am 16. Juli 1945 in der Wüste von New Mexico gegeben hat. Ihm widmet Henry Jesionka ein raumhohes Denkmal, dessen Mandorla-förmiges Umkreisen zudem Zeitkapseln enthalten, die den Prozess der Kernspaltung „als Foto“ dokumentieren. Der Prometheus, der Titan, der Mensch, die „Krone der Schöpfung“ – fast kitschig positioniert der Künstler eine vergoldete, aus ihren Zacken fast triefende Krone über Oppenheimer.
Für Jesionka ist „Trinity“, diese unvorstellbare Ungeheuerlichkeit, der Schlüssel, sich vielfach der christlichen Ikonografie in dieser geballten Erzählung zu bedienen. „Quis Deus?“ „Wer ist (wie) Gott?“ Die Frage, die man dem Erzengel Michael als Namen gegeben hat, dekliniert Henry Jesionka an den unfassbaren Erkenntnisfähigkeiten, die gleichzeitig die Möglichkeit der potenziellen Totalauslöschung im Schatten haben, durch. Die „letzten Dinge“ kullern um die Nanosekunden von Fotos einer Kernspaltung, die hier wie Reliquien um den Ahnherrn dieser Kernspaltung im ersten Raum kreisen und schließlich der Auswirkung dieser Energie, die den rauchenden Physiker als schwarzen Schatten in dieser Ausstellung im dritten Raum an die Wand pressen. Sie kullern auch um zwei große Skulpturen im zweiten Raum – jener aus poliertem Aluminiumguss, die die nach der 73,191. Sekunde nach dem Start explodierte Challenger-Trägerrakete aus dem Jahre 1986 zeigt und die weitere – nur etwa 3 Sekunden später – als „T= +76.437“ bezeichnete, die nun ein patinierter und polierter Bronzeguss ist. Die Formen haben sich – freilich als zweidimensionales Bild – als mediales Bild dem kollektiven Gedächtnis eingebrannt. Aus ihm hat der Künstler zwei 3D-Modelle gebaut und die beiden Skulpturen aufwändig gegossen. Die „letzten Dinge“ kullern aber auch um die Erkenntnisse um „schwarze Löcher“ und um deren Wissenstitan Stephen Hawking, jener Ikone von menschlicher Intelligenz, die aufgrund seiner Krankheit auch zur Ikone der Kommunikation mit künstlerischer Intelligenz geworden ist: Einen Gott hat Hawking, der vielleicht so viel sah (bzw. berechnete) von den unendlichen Dimensionen des Kosmos wie kein zweiter, dennoch bestritten. Damit ist auch die nächste Mega-Bedrohung angedeutet, vor der ausgerechnet Hawking gewarnt hat (und die Wenzel Mraček in seinem Text zu dieser Ausstellung ausgegraben hat): „Wenn wir nicht lernen, uns auf mögliche Gefahren vorzubereiten und sie zu vermeiden, könnte KI das schlimmste Ereignis in der Geschichte unserer Zivilisation sein.“ Der 1942 geborene und 2018 verstorbene Hawking hat schon 1975 nachgewiesen, dass „Black Holes“, „Schwarze Löcher“, die alles verschlingen, sich selbst aber nicht aufsaugen, sondern nach außen hin strahlen. Anders gesagt: Das berechnete „Nichts“, das totale Vakuum, kann nicht das absolute Nichts sein. Auch physikalisch nicht. Körperlich nachspürbar ist diese „schwarze Strahlung“, wie gesagt, im letzten Raum. Doch das ist eine andere, als jene, die Hawking gemeint hat. Sie ist die aufgrund menschlicher Intelligenz möglich gemachte Kernspaltung, die so viel Energie freisetzt, wie es die Sonne unentwegt vormacht.
Doch sollte man die Sonne nicht auch metaphorisch denken? Als Licht vom Licht etwa, als ewiges Bild, als Trost einer guten Botschaft, als erlösendes Lamm? Henry Jesionka legt derartige Obertöne auch durch seine drei Räume, wenn man denn genau hinsieht. Er geht auch die feine, aber nichtsdestotrotz radikale Balance von Ästhetik und Ethik in seiner Ausstellung durch. Nicht nur, dass er das „Sheep Dolly“ der Ikone für Stephen Hawking beigibt (Könnte es nicht auch ein „Agnus Dei“ sein?), seine „Elègie“ für die Flüchtenden schreit auch nach der Sonne der Gerechtigkeit. Dem gestrandeten, zertrümmerten Holzboot sind zwei sich überschneidende Kreise aus Sperrdraht, die wohl an die Dornenkrone Christi und nicht an die triefende Krone des ersten Raums erinnern, vorgelagert. Deren Schnittfläche bildet erneut eine Mandorla – oder eine „vesica piscis“. Denen, die auf der Überfahrt über das Mittelmeer umgekommen sind, gilt nun dieses ikonografische Symbol für Ewigkeit. Die den Betrachtenden zugewandte Seite zeigt eine Blei-Hand; sie enthält Sätze von Flüchtenden. Ihr angelehnt ist eine Gold-Hand, die wir nicht sehen, sondern nur im Spiegel dahinter, ganz drinnen im zerschellten Boot: In ihm sieht sich aber auch jede/r Betrachtende selbst. Auf der nicht sichtbaren Gold-Hand sind Sätze der jesuanischen Bergpredigt geschrieben. „Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit…, selig die Hungernden…, selig die Trauernden…“ Et cetera. „Sie werden…!“ (Mt 5)
Für Henry Jesionka ist Kunst untrennbar mit einer Botschaft verbunden, einer, die er unverkennbar mit christlichen Codes versieht. Er schämt sich nicht dafür, im Gegenteil. Als Medienwissenschaftler, Filmemacher und bildender Künstler hat Jesionka im Christentum einen Lebensanker gewonnen, deren Codes er nun in einer Weise umsetzt, die nicht nur die letzten Fragen der alten Theologie aufgreifen, sondern vielmehr jene des Überlebens der Menschheit überhaupt. Fragen zu thematisieren freilich wäre für Henry Jesionka nicht genug. Es ginge ums Erkennen. Und um ein entschiedenes, verantwortliches Handeln, die Apokalypse nicht apokalyptisch im Gott-losen Sinne zu deuten, sondern als letzte Enthüllung.
10' Führung durch die Ausstellung mit Johannes Rauchenberger