Wendezeit/Zeitenwende #01
WENDEZEIT/ZEITENWENDE
Von Johannes Rauchenberger
Fragen zur Eröffnung des neuen Kunstraums im Spiegelgitterhaus
Wie stellt man ein Haus für zeitgenössische Kunst der Öffentlichkeit vor, das ein Privatmann, der gleich nebenan sein Wohnhaus hat, saniert hat, um seine über viele Jahre erworbenen Werke nach und nach (zu) zeigen (zu lassen)? Wie findet man eine Strategie, die den Sammler und dessen Werk auf eine angemessene Weise würdigt, die aber gleichzeitig auch die Zeitlichkeit markiert – jene des Erwerbens, aber auch jene des Besitzens? Wie auch setzt man (Ruf!)-Zeichen, dass nicht öffentliche Gelder dies alles bezahlt haben, sondern dass dies alles vielmehr auf die Initiative eines zwar unternehmerisch denkenden Kunstliebhabers zurückzuführen ist, dessen Kaufstrategie aber gerade nicht Wertsteigerung bedeutet hat, sondern dass es vielmehr die pure Faszination für Kunst war, die ihn über die Jahrzehnte dazu brachte, ein wirkliches Substrat des künstlerischen Schaffens dieses Landes in Form ganz konkreter Kunst-Werke abzubilden – um am Ende des Tages allerdings ausgerechnet der katholischen Kirche diese so erworbene Kunst zu schenken? Was traut man als Sammler dieser auch gremial durchaus behäbigen Institution denn zu, was man den offiziell damit Betrauten, wie etwa dem Landesmuseum, mit ihrer ungleich größeren Expertise, ihren Fachkräften, ihren Depots nicht zutraut?
Und wie lässt man die Vertreter des öffentlichen Gemeinwesens sich über das hier Geleistete zwar freuen, und gleichzeitig darüber doch auch nachdenken, dass sie, die das Gemeinwesen bestimmende Politik, (die ja immer – selbst wenn es keine festgeschriebenen Etats dort gibt – auch eine „Kulturpolitik“ ist) gestalten, in Zukunft für den weiteren „Betrieb“ hier auch etwas leisten könnte? Etwa, dass mehrere Ausstellungen im Jahr wirklich möglich sind, Öffnungszeiten inclusive?
Es sind schwierige Fragen, die hier kursieren. Auch wenn uns bei dieser ersten Ausstellung zum Feiern zumute ist. Die Fragen lassen sich nicht wegwischen. Sie müssen gestellt werden.
Damit eröffne ich ein zweites Bündel an Fragen, die sich mir stellen: Wie zeigt man in einer ersten Ausstellung, die sich in eine Reihe von vielen weiteren einordnen soll – das ist der Wunsch des Schenkers –, die Breite, die mediale Vielfalt, die thematische Aktualität dieser Kunst auf? Wie behauptet man also als Kurator für eine nicht urbane Öffentlichkeit, dass die Kunst, die Erich Wolf mit der Zeit immer stringenter gesammelt hat, nicht deshalb so wertvoll ist, weil sie die wichtigsten steirischen Künstlerinnen der Gegenwart versammelt, sondern weil sie eine Relevanz für die je aktuelle Gegenwart hat? Für mich? Für dich? Für Sie? Wie baut man dann wiederum in einer Ausstellung eine Erzählung auf, die nicht nur aus möglichst vielen Elementen aufgebaut ist, sondern auch möglichst viele künstlerische Positionen der Gegenwart dabei versammelt?
Steirische Gegenwartskunst?
Was aber ist die aktuelle Gegenwart? Was ist „steirisch“ dabei? Wie verträgt sich eine „steirische Kunst“ mit einer Gegenwartskunst, die sich, will sie denn ernst genommen werden, mit internationalen Maßstäben misst, und gleichzeitig mit Lokalpatriotismus oder Identitätsbewusstsein, mehr noch mit politischer Vereinnahmung fremdelt, ja die dieses Schenkel klopfende „Wir-sind-steirisch“ im Grunde ihres Herzens verurteilen, ja die damit gar nichts zu tun haben will? Wie zeigt man dann aber in einer ersten Ausstellung Kunst, die aber dochdas Etikett „steirische Gegenwartskunst“ trägt? Wollte diese Frage nicht einmal Günter Waldorf stellen, am Anfang, als es die Idee eines „Kunsthauses“ gab? Wer hat seine Frage eingelöst? Wer war sich gerade als Sammler nicht zu schade, nicht auf den Markt zu schielen, sondern auch und nur auf die Kunst vor Ort zu schauen? Erich Wolf war und ist so einer.
Doch gesellt sich die Frage dabei hinzu: Taugen die Werke, die Erich Wolf gesammelt hat, überhaupt für diesen Spagat von „steirisch“ und einem überregionalen Standard? Halten sie diesen aus? Lösen sie ihn ein? Wenn wir die Frage mit Ja beantworten, dann können wir als Gesellschaft,dann kann die verantwortliche Politik, dann kann diese Stadt, ja dieses Land für diese Leistung des Sammlers mehr als dankbar sein: Denn dann ist in dieser Sammlung etwas versammelt und konzentriert, was das kulturelle Substrat dieses Landes in der bildenden Kunst (ab-)bildet.
Und jetzt die Eröffnungsausstellung im – zumindest verglichen mit Graz – kleinen Gleisdorf, Anfang Mai des Jahres 2024, in einem wunderschönen Ort, das noch vor einem Jahr ein „Pfarrstadl“ war, das in Wirklichkeit eine verfallende Garage war.
Gleich das erste Bild links vom Eingang ist ein derart „schiefes Erd-Haus aus der Oststeiermark“, niemand, auch nicht die Kundigen, würden den Künstler dieses Bildes wohl erraten, weil er nur wenige Jahre später schon seine unverkennbare Bildsprache des Kleinen und Krautigen entwickelt hat – bis heute. Nicht nur das farbenfrohe rote Haus ist auf diesem Bild schief, auch das Bild selbst ist schief, es kommt sogar einer Raute gleich.
Alois NEUHOLD: Oststeirisches Erdhaus, 1977
90x110 cm, Öl auf Leinwand, Künstlerrahmung, KULTUMUSEUM Graz, Sammlung Wolf
In einer Zeit, als man das Tafelbild damals hinterfragte, ist es eine erdige Rahmen- und wohl auch Ordnungsverschiebung, die der ganz junge Alois Neuhold im Jahre 1977 – noch abgekoppelt vom Kunstgeschehen – hier vorgenommen hat. „Junge Wilde“ – der Begriff für die neue Art von Malerei in den späten 1970er Jahren – wird er erst kurze Zeit später kennenlernen, als er begonnen hatte, auf der Akademie für Angewandte Kunst in Wien zu studieren.Auch die schneebedeckte Kuppel, die Richard Frankenberger und seine K.U.L.M.-Mitstreiter*innen in unmittelbarer Nähe zur Bundesstraße zwischen Gleisdorf und Pischelsdorf vor Jahren setzte, ist nicht im engeren Sinne Oststeirer-Architektur. Aber sie ist auch keine Moschee, wie manche assoziieren –
sie wurde ohnehin von Frankenberger mit „DOM“ getauft. Eigentlich war sie vielmehr einmal eine Sendestation für das Bundesheer, die später ausrangiert wurde. Als solche hat sie Frankenberger, dessen schöne Handschrift im Werk daneben zu lesen ist, erworben. Sie ist das spektakulärste Zeichen auf der B 54 in diesem Teil der Steiermark, wozu Kunst am Land fähig wäre oder ist. Davor steht freilich eine Stiege, die ins Leere führt. Der Weg führt zwar im Blick ins Weite, im Gang selbst allerdings zu einem Leuchtkasten, den schon sehr viele Künstler*innen bespielt haben: Nun steht der Schriftzug und das Sujet dieser Ausstellung dort zur Disposition.
WENDZEITEN/ZEITENWENDE am Leuchtkasten der Nomadin: Facebook-Posting von Richard Frankenberger vom 3. April 2024, Foto: Richard Frankenberger
Der langjährige Mastermind von K.U.L.M. ist dafür bekannt, unendlich viel abzuschreiben. Hier ist es ein Gespräch über die Utopie – zwischen Bruno Latour und Peter Weibel, beide in der Quellenlegende nicht nur mit Geburts-, sondern auch mit Todesdatum versehen: Letzteres verleiht den fünf Tafeln, von denen hier zwei ausgestellt sind, einen ziemlichen Gegenwartsbezug.
Abschreiben – das heißt doch: Sich einen Text, einen Gedanken, oder hier: ein Gespräch einzuverleiben. Und zwar deshalb, weil Sinnerfassung nicht einfach ein chemischer Prozess im Hirn ist, sondern ein ganz-leibliches Phänomen. Frankenbergers Abschreiben baut auf Einverleibung der gedanklichen Leistungen anderer – seine Handschrift steht hier stellvertretend für den unglaublichen Innovationsgeist, die er und seine Gruppe für „Kunst-und-Leben-miteinander“ ausgerichtet haben: Was diesbezüglich geleistet wurde, kann man im engeren Sinne nicht „sammeln“. Weil es eine große soziale Plastik ist, die hier über Jahrzehnte ausgerichtet wurde. Es ist nicht von ungefähr, dass das Künstlerpaar zweintopf vor ein paar Tagen einen leeren Bildstock, den Frankenberger vor Jahrzehnten als spirituelle Linie gegen ein Schnellstraßenprojekt errichtet hatte, in unmittelbarer Umgebung seines Hauses in der Nähe von Feldbach aufgebaut hat. Dort, im leeren Bildstock, wird die Leere zelebriert – und mit dem kleinen Architekturstück doch daran erinnert, das in den Nischen vielleicht einmal etwas war. Man kann dieses Etwas auslöschen, ruinieren, vergessen oder eben genau damit auch erinnern. Oder man kann dieses Etwas auch abwehren: zweintopfs eigener „Beitrag“, den ich für diese kuratorische Erzählung ausgewählt habe, ist schlicht eine Holztafel, auf dessen Fläche ein durchgehendes Taubengitter montiert ist: Wehe der Taube – oder dem Geist – der hier sich niederzusetzen wagt!
rechts: zweintopf: ohne Titel, 2012
45x45 cm, Taubenabwehrspikes, MDF Platte, Unikat, KULTUMUSEUM Graz, Sammlung Wolf
Foto: J. Rauchenberger
Dabei würde, ja müsste sich gerade am Geist viel entscheiden; geht es doch darum, ein Bild der Zukunft zu entwerfen, auf das hin man leben könnte. Ohne dieses kann doch keine Wahl gewonnen werden, mit der man in der Folge gestalterisch eingreifen kann. „Zukunft“ war doch lange ein Slogan, doch diese erscheint mittlerweile längst als sehr dunkel, besser formuliert: überhitzt. Auf der Gegenseite zum „steirischen Glückauf“ mit seinem schiefen Erdhaus, der schneebedeckten Kuppel auf der B54, den demolierten Österreich-Fahnen und des Abschreibens eines Gesprächs über die Utopie sind sehr visionäre Steiermark-Bilder aufgereiht, sogar versehen mit langen Bildlegenden, die Projekte zeigen, die aus der Perspektive von 2050 eine Rückblende auf die derzeitige Gegenwart machen. Es wird dabei die Frage gestellt, was etwa aus dem Autowerk Magna geworden ist, was auch aus dem Kohlekraftwerk in Mellach, was aus der Flugschanze am Kulm, wenn es längst keinen Schnee mehr gibt? Ja, die Bilder kümmern sich auch um den Grazer Flughafen, wenn man längst nicht mehr fliegen wird? Oliver Resslers Bilder „Reclaiming Abundance“ setzen darauf, den verlorenen Wohlstand wieder zurückzugewinnen:
Oliver RRESSLER, Reclaiming Abundance, 2021
100x52,7 cm; Legende 48x40 cm
6 Digitalprints und 6 Legenden auf Dipond hinter Acrylglas
Ikonen steirischer Erfolgsgeschichte werden unter dem Paradigma des Klimawandels und seiner damit verbundenen politischen Konsequenzen uminterpretiert: Die unendlichen Brücken in Bruck an der Mur sind entweder abgetragen oder sie sind begrünt und dienen dem Naherholungsraum. Kleine Wege reichen, um sich auf ihnen fortzubewegen. Am Kulm gibt es nun eine ganzjährige Sommerrodelbahn, die Landebahnen des Grazer Flughafens sind entsiegelt, auf ihm pflegen Klimaflüchtlinge ihre kleinen Schrebergärten… Man tauscht wieder Gut gegen Gut, man besinnt sich wieder auf das Wesentliche.
In einer gewissen Weise haben sich Erich Wolf und die katholische Kirche auf dieser Wellenlänge getroffen, auch hier wurde nachhaltig getauscht: 2023 schon hat die Pfarre Gleisdorf das Gebäude, in dem wir uns hier befinden, und das Grundstück als Gegengabe zur Schenkung der Kunstwerke – mehr als 1.300 Einzelwerke! – an die Diözese Erich Wolf geschenkt. Erst 2070 könnten die Werke auch verkauft werden – die Kirche hat einen längeren Atem als andere. Dieser „Pfarrstadl“ wurde im Vorjahr schneller als angenommen, mit beharrlicher Akribie seines Bauherrn, die bis zur Umbenennung auf Google Maps reichte, zu einem beachtlichen Ausstellungsraum umgebaut. Über den Winter „ausgetrocknet“ wird es nun eröffnet.
Ansicht des neu adaptierten Spiegelgitterhaues in der Kernstockgasse 28 in Gleisdorf, April 2024. Foto: J. Rauchenberger
Wendezeit: Eine Eröffnung im Mai des Jahres 2024
Nach einem April, dessen erste Hälfte ein Hochsommer und dessen zweite Hälfte fast Winter war, in einem Jahr von Kriegen in Nahost, einem weiteren Jahr des Krieges in der Ukraine, den ein wahnsinniger Diktator ausgelöst hat, dem fast alle Politiker hierzulande freundlich gesinnt waren und der noch nicht vor langer Zeit unsere schöne Südsteiermark für eine Hochzeit einer Außenministerin dieses Österreichs besucht hat – als könnte man ihn einfach buchen – , gar nicht so fern von hier, und dem dennoch – trotz dieses Krieges mit mehr als fünf Millionen flüchtenden Menschen, vor allem Frauen und Kinder, trotz der Bomben, trotz der Abertausenden an Toten, Parteien und Länder in unmittelbarer Nähe freundlich zugetan sind, ja in einem unfassbaren Spionagesumpf verstrickt sind, einem Jahr auch des Abschlachtens in Israel, einem Jahr mit drei Wahlen vor Ort – Europa, Steiermark, Österreich –, einem Jahr, wo nicht nur die Steiermark, sondern fast Dreiviertel der Weltbevölkerung seine Regierungen neu wählt, u.a. auch jenes Land, das mehr als 200 Jahre das Vorbild für Demokratie war und das womöglich erneut einen Politiker zu wählen könnte, der Wahrheit, Diskurs, Dialog für ungültig erklärt. (Allein die Aufzählung erklärt den Ausstellungstitel.)
Wie aber sollen wir weiter zusammenleben, wenn die Wahrheit nicht mehr gilt? Wenn das Recht nicht mehr Recht ist? Wenn die kapitalistische Ausbeutung ins Unermessliche geht?
„We have a situation here“ lautet jedenfalls eines der erschütterndsten Bilder dieser Ausstellung: Manager, Polizisten, Soldaten liegen schlafend am Boden, eingeschlafen aus Erschöpfung oder durch KO-Tropfen unschädlich gemacht: So etwas hat der aus der Steiermark stammende Künstler Oliver Ressler, der lange in den Vereinigten Staaten lebte und derzeit eine große Personale im belvedere 21 hat, auch einer von fünf österreichischen Künstlern auf der Hauptausstellung der eben eröffneten Biennale von Venedig, schon vor mehr als 10 Jahren als künstlerische Vision vorausgesehen. Auch diese Vision ist in dieser Sammlung geparkt.
Oliver RESSLER: We Have a Situation Here, 2011
je 130 x 92 cm, 3 Digitalprints hinter Acrylglas
KULTUMUSEUM Graz, Sammlung Wolf
Foto: Oliver Ressler
Aber umgekehrt gilt auch die Vision: Könnte, kann man Recht, Ordnung, Management vielleicht ganz neu aufsetzen – bevor diese hier Schlafenden überhaupt erwachen?
Die Fahnen der Demokratie aber sind auf Halbmast gesetzt: Drei österreichische Fahnen sind rechts vom Eingang dieses „Spiegelgitterhauses“, das von Erich Wolf auf so vorbildliche Weise als oststeirische Lokalarchitektur saniert wurde, auf drei Fahnenstangen montiert, sie wehen nicht, sie sind erstarrt – auf Halbmast wohlgemerkt. Warum, o felix Austria, sind deine Fahnen auf Halbmast? Eine mögliche Antwort aus dem Frühjahr 2024: Weil du ein Land der Spione für Russland bist? Ich möchte die Antwort nach den EU-Wahlen, aber auch die Antworten vom Herbst des Jahres 2024 nicht erst ahnen.
Hartmut SKERBISCH: 3 Fahnen am Rastplatz K.U.L.M., 2004
Alu-Fahnenstangen, Alu-Fahnen, Seilzug, Lackfarbe
Permanent-Installation vor dem Spiegelgitterhaus Gleisdorf, 2024
Foto: J. Rauchenberger
Hartmut Skerbisch, der 2009 viel zu früh verstorben ist, ein Mastermind auch für das über Jahrzehnte dauernde Projekt K.U.L.M. von Richard Frankenberger und seinen Mitstreiter*innen, hat es im Jahr 2004 für den Rastplatz K.U.L.M. geschaffen. Die Originale – eines von ihnen ist durch Wind und Hagel besonders mitgenommen – liegen in der Ausstellung unter einer kleinen Briefmarkenedition dieser Installation mit je 55 Cent.
Später hat Frankenberger diesen Ort zum „Platz der europäischen Republik“ erklärt. Dort wird eines Tages die Europa-Fahne vom Winde zerfetzt werden.
Hartmut SKERBISCH: 3 Fahnen am Rastplatz K.U.L.M., 2004
Alu-Fahnen, Seilzug, Lackfarbe
Demokratie! Wohin bist du nur gekommen! Demokratie! Dieses griechische Wort, von dem wir doch glaubten, es sei die einzig wirklich gerechte und richtige Staatsform zum Wohl der Menschheit. Meint Demokratie nicht Herrschaft des Volkes? Was aber ist der Demos, das Volk? Die medienhörige Masse? Die Armen? Eine politische Klasse, hörig den sie einflüsternden Lobbyisten? Wenn man die Zettel, die hier am Boden liegen, nur ein wenig liest, wird man hellhörig für diese Fragen und beginnt, ihre Repräsentanten sehr kritisch zu beäugen. Jede Ausstellungsbesucherin, jeder Ausstellungsbesucher kann einen Zettel mitnehmen.
Vielleicht fällt uns dabei eines ein: Die Unterscheidung von „liberal“ und „illiberal“ ist ein Anzeichen, dass etwas am Demokratiebegriff zu wackeln beginnt: Hätten wir zu der Zeit, als die Fahnen Skerbischs entstanden sind, je nur daran gedacht, dass die erstere nicht mehr selbstverständlich sein würde – selbst bei uns? (Wenn man auf die Entstehungszeit von „FLY DEMOCRACY“ sieht, ist auch ihre Erstaufführung nicht viel später passiert.) Demokratie, das Wort das vor allem die Amerikaner der ganzen Welt bringen wollten, indem sie, bevor sie Länder aus geostrategischen Überlegungen oder zur besseren Kontrolle der Erdölvorkommen angriffen, Zettel mit Botschaften an die Bevölkerung abwarfen, die Demokratie versprachen: im Irak, in Afghanistan. (Doch dort herrschen mittlerweile – d.h. 15 Jahre später – die Taliban. Frauen werden ihrer Rechte entraubt, sie dürfen nicht mehr auf die Universität, selbst Bildung wird ihnen mehr und mehr verboten.) Ein zentrales Werk dieser Ausstellung ist dies: Ein Zettelregen zur Demokratieanleitung von Oliver Ressler, sowohl als Video als auch in Form ganz realer Flugblätter. Doch der hier gezeigte „Abwurf“ geschieht symbolisch in den USA selbst, 13 Jahre vor dem Angriff der Trump-Anhänger auf das Kapitol, wohlgemerkt. Hier geht es um direkte und partizipative Demokratieformen – und diese stehen damit natürlich „in einem inhaltlichen Widerspruch zu dem von der US-Regierung forcierten Modell der formalen Demokratie, die in einem neoliberalen kapitalistischen Staat eingebettet ist“ (O.R.)
Oliver RESSLER: Fly Democracy, 2007
Videoinstallation, Video 05:18 sec; Flugblätter
KULTUMUSEUM Graz, Sammlung Wolf,
Foto: Johannes Rauchenberger
So steht auf einem der hier abgeworfenen Flugblätter:„PARLAMENTARISCHE REGIERUNG UND DEMOKRATIE SIND GEGENSÄTZE. DEMOKRATIE IST HERRSCHAFT DER MASSEN, DER ARMEN UND BESITZLOSEN; DAS PARLIAMENT DIE HERRSCHAFT VON PROFESSIONELLEN POLITIKERN, DIE NACH ANZAHL UND KLASSENZUGEHÖRIGKEIT EIN TEIL DER OLIGARCHIE SIND.“
WENDEZEIT / ZEITENWENDE – die Botschaft aus Gleisdorf?
„Wendezeit / Zeitenwende“ – von überall her schon tönt dieses merkwürdige Begriffspaar, das man, so habe ich es neulich in der Zeitung gelesen, nicht mehr zu übersetzen braucht, es wird auch im Englischen und in anderen Sprachen verwendet: Man weiß, was damit gemeint ist. Erst vor zwei Wochen wurde in Graz (vom 18.–20. Apriln 2024) eine europäische Kulturkonferenz zu diesem Thema abgehalten – sein Programm war Englisch, nicht aber „Zeitenwende“. Es geht um jetzt, um diese jetzige Wende-Zeit, die eine eben überstandene globale Pandemie, die Klimakrise, die Migrationskrise, den Umbruch mit KI, die Bedrohung liberaler Demokratien, die reale und wieder mögliche Kriegssituation markiert. Je nach Betrachtungsweise steht „Wendezeit / Zeitenwende“ als Chiffre für eine epochale Zäsur, für eine politische Neuorientierung oder einen gesellschaftlichen Umbruch.
Erich Wolf hat „Wendezeit / Zeitenwende“ für die Eröffnungsausstellung seiner geschenkten Sammlung vorgeschlagen. Ich kann mir in meiner Rolle als Kurator für diese Sammlung – und als solcher habe ich sie ja auch nach und nach kennenzulernen – freilich nicht die Bemerkung verkneifen, dass ein Werk seiner Sammlung tatsächlich diesen Titel trägt. Es ist hier zwar nicht ausgestellt, weil es sich nicht in die Erzählung dieser Werke einfügen wollte, ich erwähne es trotzdem vorab: Es ist eine der gefühlt jahrzehntelang erschienenen, weil immer wiederkehrenden Kartage- und Osterausgaben von Richard Kriesche der „Kleinen Zeitung“, die diesen Titel trägt: Es war der Karsamstag und der Ostersonntag des Jahres 2021 (3./4. April), also jenes Ostern ein Jahr nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie, in dem erstmals in der Kirchengeschichte Ostern nicht öffentlich gefeiert werden durfte. Genau genommen war es die letzte, die Richard Kriesche nach fast 15 Jahren gestaltet hat: Das Abchlussstatement des bekannten Medienkünstlers für ein Massenpublikum lautete demnach: WENDEZEIT/ZEITENWENDE. Und sie meint eigentlich Ostern.
Richard KRIESCHE: WENDEZEIT/ZEITENWENDE. Karfreitag/Karsamstag/Ostersonntag, Medienkunst für die Kleine Zeitung, 2021, je 30x23 cm, gesamt 30x72 cm
Offsetdruck auf Zeitungspapier, KULTUMUSEUM Graz, Sammlung Wolf
Doch eine von Kriesches Osterausgaben hängt in dieser Ausstellung und sie ist ausgerechnet nicht aus der Sammlung Wolf, sondern stammt aus der Sammlung des KULTUMUSEUM, in welches alle Werke Erich Wolfs mit dem Schenkungsvertrag integriert werden. Auch dorthin wurde dieses eine Werk geschenkt und zwar von Bischof Egon Kapellari, dem der Künstler Kriesche wiederum mit besonderer Widmung diese signierte Ausgabe anvertraut hatte. Diese Osterausgabe der Kleinen Zeitung – ein Geschenk Kriesches an Bischof Kapellari, (der es wiederum dem KULTUM schenkte) aber hat sich in die Erzählung dieser Ausstellung gefügt: „BLUT CHRISTLICH“ – „BLUT JÜDISCH“ – „BLUT ISLAMISCH“ war als Wasserzeichen der Seiten zu lesen – noch immer. Und am Cover ein Zitat des österreichischen Humangenetikers Markus Hengstschläger, das feststellt, das man am Blutbild vielleicht Krankheiten oder Defizite feststellen kann, nicht aber die Hautfarbe, auch nicht die Religion.
Richard Kriesche: BLUT. KUNSTEDITION KLEINE ZEITUNG, Kleine Zeitung vom 2., 3., 4., 5. und 6. April 2007. Rohauflage Kleine Zeitung: 306.763; editierte auflage: 25. editionsnummer: 12/25. Geschenk des Künstlers an Bischof Egon Kapellari, KULTUMUSEUM Graz
Seit dem 7. Oktober 2023 haben die drei Schriftbilder der lateinischen, hebräischen und arabischen Lettern aber noch einmal eine völlig neue Färbung erhalten. Denn zum Schock des Ukraine-Krieges kam noch das Massaker der Hamas an meist junge jüdische Menschen hinzu, ein unfassbarer Zivilisationsbruch, der allerdings bedauerlicherweise nicht die Massen der westlichen Eliten mobilisierte: Unfassbares Unrecht da am zivilisationsbrechenden Massaker an Jüdinnen und Juden und der Entführung der Geiseln, unfassbares Unrecht aber auch dort, im Vergeltungskrieg Israels in Gaza, wo Hunderttausende ebenso schuldlos leiden und hingeschlachtet werden. Die Logik des Krieges, jene von Angriff und Vergeltung ist selbstredend zerstörerisch.
Wolfgang BECKSTEINER: Während eine Bombe für unermässlichen Lärm sorgt, schaffen 30 weitere große Stille, 2014
1 Bombe ca 56 cm/ca 25 kg, Gestell: 145 x 65 cm
Beton, Metall
Foto: Wolf
Das eindringlichste „Bild“ in dieser Ausstellung ist die hängende Betonbombe der Marke „Becksteiner“ – ja, Waffen herzustellen ist vor allem auch ein Geschäft –; ihr ist 30-facher Vorrat an „Becksteiner-Bomben“ beigegeben. 30 steht freilich nur symbolisch, ebenso die Marke, nicht aber das Material: Wolfgang Becksteiners Bomben sind nicht echt, der Zahn der Grausamkeit ist ihnen dennoch nicht genommen: Sie sind keine „Schwedenbomben“. Sie werden, weil aus Beton, nicht explodieren; doch Kunst ist dazu da, Imaginationen zu entfachen. Selbsterklärend ist dabei der Werktitel. „Während eine Bombe für unermesslichen Lärm sorgt, schaffen 30 weitere große Stille.“
G.R.A.M., Hohes Haus (Kiew), 2011
C-Print, Alu Dibond, gerahmt / framed
92 x 112 cm, Ed. 1 + 2 a.p.
KULTUMUSEUM Graz, Sammlung Wolf
Wo in unmittelbarer Nähe die schlafenden – oder in den Schlaf versetzten – Polizisten, Soldaten und Manager von Oliver Ressler ihre Köpfe zusammenstecken, sind es beim angrenzenden Foto „Hohes Haus, Kiew“, (2010) von G.R.A.M. die Politiker, die in den Parlamenten handgreiflich werden und so aneinandergeraten. (Meist männliche) Schlägereien in Parlamenten – das gibt es immer wieder und bis heute. Es wird in dieser Serie nicht die Geschichte der Revolution in der Ukraine erzählt, der Künstlergruppe interessierten vielmehr die Fotos dieser Handgreiflichkeiten in Volksvertretungen weltweit, aus denen sie zehn Motive ausgewählt hat und als Reenactment im Grazer Gemeinderatssitzungssaal nachgestellt hat: „Zu sehen sind Menschengruppen in erstarrten Haltungen, wobei Abgeordnete gewürgt und gestoßen, geschoben, gerempelt oder Ähnliches werden. In einigen Szenerien erinnern die Abbilder der übersteigerten Leidenschaft an (barocke) Gemälde mit religiösen Motiven: Hell-Dunkel-Szenerien, gepaart mit manierierten Posen, pathetischen Armhaltungen, fratzenhaften Antlitzen oder dynamischen Körperverwicklungen.“ (G.R.A.M., „Hohes Haus“, Christine König Galerie, 2011)
Wir dachten, das Wort „Demokratie“ steht für einen mit Argumenten vorgetragenen Austausch von Interessen, die eine Gesellschaft mit ihren je eigenen Gruppen und Individuen hat und die, um weiterhin friedlich zusammenzuleben, sich damit Regeln und Gesetze gibt. Die Orte dieser Diskurse sind Parlamente.
Aber wenn man die Köpfe nicht denkend und im Wettstreit der Argumente zusammensteckt, sondern gewalttätig wird, ist die Demokratie in Gefahr: Das wurde im Gymnasium schon früh den Kindern im Fach Geschichte beigebracht, als ihnen erstmals Ursprung und Geschichte dieser Staatsform in Griechenland und Rom nahegebracht wurde; dass Gewalt und Macht ein unzertrennliches Paar bilden hat man dann später im Theater gesehen; es ist jedenfalls der Stoff unendlicher Tragödien seit ihrer „Geburt“, um an Nietzsche zu erinnern.
Im Arrangement der Eröffnungsausstellung im rechten Flügel des Spiegelgitterhauses werden die Köpfe kuratorisch auch einer Inszenierung unterzogen: Jene in den Bildern von Oliver Ressler und von G.R.A.M. aber auch jenen diesen folgenden Bildern von Wolfgang Wiedner, Friedrich Aduatz und Hans Jandl. Besonders ästhetisch überzeugend sind die Köpfe von Wiedner, wie sie so farbenprächtig aus dem Hellblau des Hintergrunds ragen. Wiedner, Vertreter der „Jungen Wilden“ aus der gleichen Generation wie Neuhold und Jandl, lässt das Malerische hochleben, ohne sich auf symbolische Bedeutungen festnageln zu lassen. Doch auch wenn dieses Bild uns noch so malerisch überzeugt kann man sich der Situation nicht entziehen, in der man als Betrachterin oder Betrachter dieses Settings ansichtig wird: Man liegt am Boden, wenn man diese Köpfe sehen sollte, die auf einen herabblicken.
Wolfgang WIEDNER: 4 Köpfe, 1997/98
160x125 cm, Öl auf Leinwand, KULTUMUSEUM Graz, Sammlung Wolf
Foto: Bernhard Wolf
Die Bedrohung ist auch gerade am Schönen nicht zu unterschätzen. Dass Menschenköpfe und seltsame Tierköpfe im angrenzenden Bild von Friedrich Aduatz, diesem bedeutenden Vertreter moderner Malerei auf dem Weg zur Abstraktion in der Steiermark, der sich schon damals um internationale Entwicklungen kümmerte – der 1907 in Pula (Istrien) geborene und 1994 in Voitsberg verstorbene Künstler ist der „älteste“ Künstler dieser Schau – den Titel „Das Massaker“ trägt, grenzt hier ans Mythische. Wer frisst wen in dieser Situation der Angst der hier so Dargestellten?
Friedrich ADUATZ: Das Massaker, 1970
105x141 cm, Öl auf Leinwand, KULTUMUSEUM Graz, Sammlung Wolf
Foto: Bernhard Wolf
Auch das neben diesem Bild hängende Gemälde „Massenangst“, ein frühes Bild von Hans Jandl, lässt ein flirrendes Geistergefühl aus blauen, amöbenartigen Körpern hochkommen, denen ein kollektiver Schrei eingeschrieben ist – eine Szene purer Panik nicht nur um das eigene Überleben, sondern um mehr: Es ist ein dramatisches Unbehagen ins Bild gesetzt, die so von der Panik Erfassten, wollen keineswegs im Bild verbleiben. Die Schwere des giftigen Bleis ist vielleicht später als charakteristisches Formelement in Jandls Bildern geblieben, nur finden sie einen ganz anderen gestalterischen Ausdruck.
Hans JANDL: Massenangst, 1985
200x160 cm, Öl auf Leinwand, KULTUMUSEUM Graz, Sammlung Wolf
Foto: Karl Schrotter
Im Mittelalter hätte man derartige Arrangements den Höllenbildern zugeordnet: Diese mögen wir für unsere religiöse Gefühle gesperrt haben, die kollektive Existenzangst ist deshalb nicht kleiner geworden, im Gegenteil. Gerade sie ist ein ungebetener Gast der WENDEZEIT/ZEITENWENDE.
Bleiern hat man Zeiten genannt, in denen nichts weiterging. Bleiern nennt man Zeitgefühle, die einen hinunterziehen. Hans Jandl hat über Jahre seine Bilder mit derartigen Bleifeldern als einem das Hauptfeld anschließende Assistenzbild gebaut, fast wie ein zweiflügeliger Altar, dem das eigentliche Zentrum „angebleit“ ist. „Und oben fährt ein Kriegsschiff“ lautet die Fotoarbeit, die hier zu sehen ist, ganz am Anfang aus jener Zeit, als es möglich wurde, Leinwand digital zu bedrucken. Auch aus dieser Perspektive ist das ein historisch gewordenes Bild. Das Schiffchen, das diesem dunklen Ei aufgesetzt ist, hat der Künstler aus Blei gefaltet: Ein nicht ganz gesundes Material, giftig, so giftig, wie es in Clemens Hollerers Arbeit, die Klebe-Streifen über eine Industrieruine zeigt, schon vom Titel her behauptet.
Das Gift einer falschen Ideologie malerisch zu verarbeiten – das war wie für kaum einen zweiten Künstler dieses Landes das Lebensthema des Hannes Schwarz. Wie sehr hätte dieser sensible, zuvorkommende, im besten Sinne gütige Mann nur gelitten, hätte er die faschistischen Ungeister der Gegenwart kommentieren müssen. Ich möchte es mir nicht vorstellen. Wer ihn gekannt hat, wird mir vielleicht zustimmen. In zwei Jahren würde er 100 Jahre alt werden. „Wir sind die betrogene Generation!“, sagte er immer wieder. Und wer lässt sich jetzt betrügen?
Hannes Schwarz wusste wie kaum ein zweiter, was es heißt, wenn die falschen Götter regieren, ihre Opfer und ihre Rituale fordern. Der Opferstein, der hier zu sehen ist, ist nicht, wie andere, leer und in die konturenlose Landschaft gestellt. Es ist eine grobe Draufsicht auf einen an den Pfahl gebundenen Körper, umwickelt mit Linnen, den der Künstler hier wählt; man ahnt, es könnten nur mehr Tücher sein für einen längst entschwundenen oder verwesten Körper, die hier aufgebreitet sind.
Hannes SCHWARZ (1926–2014): Ohne Titel, 1979
36,5x29,5 cm, Graphit und Buntstift auf Papier
KULTUMUSEUM Graz, Sammlung Wolf WN: 61013
Mit einer derartigen kultischen Anmutung, wie Hannes Schwarz sein Opfer in Draufsicht auf dem Altar zeichnet ist nur mehr kultische Sprache ein angemessenes Pendent. Diese findet sich, Einzelworte ausstoßend, auf der linken Seite angrenzend im Triptychon von Hannes Priesch.
Hannes PRIESCH: WORD/SWORD, WORSHOP/WORSHOP, LAUGHTER/SLAUGHTER, 2004
Ausstellungsansicht: "Wendezeit/Zeitenwende #01", KULTUMUSEUM im Spiegelgitterhaus Gleisdorf, 2024
WORD/SWORD, LAUGHTER/SLAUGHTER, WORSHIP/WARSHIP. Also übersetzt: WORT/SCHWERT, GELÄCHTER/GEMETZEL, SORGE/KRIEG. Es sind nur kleine Buchstabenveränderungen, die Verheerendes auslösen können, auch und gerade im Namen Gottes. Eben hat Hannes Priesch den vierten Band seiner auf sieben Bände angelegten Werkausgabe herausgegeben, der das Thema Religion bespielt. Auch dieses hier gezeigte dreiteilige Werk – es ist eines der ersten Abgebildeten in seinem neuen Buch „IN HOC SIGNO VINCE“ (PRIESCH WÖRKS 4) – war in einer Ausstellung des KULTUM im Priesterseminar (in Kooperation mit dem steirischen herbst 2007) das erste (und seither das letzte) Mal ausgestellt. Wolf hat es damals erworben. Nun habe ich es wieder ausgepackt.
Der Opferstein in der Grafik von Hannes Schwarz und das Triptychon von Hannes Priesch sind in einem Raumdreieck mit einem „goldenen Grenzstein“ von Alfredo Barsuglia verbunden, über den eine Lampe wacht … Die Grenze, um an den Anfang zurückzukehren, wo es darum ging, an die „Steiermark“ und ihre Kunst zu erinnern, hat dieses Land in ihrer historischen DNA. Aber wer will die Religionskriege des 16. und 17. Jahrhunderts wieder, wer will auch dieses Abseits wieder, in das die Steiermark in der Zeit des Eisernen Vorhangs verfallen war? Geht es nicht darum – und die Kunst hilft uns wie kein anderes Medium dabei – die Grenzen unserer Vorstellung, der Abschottung und vor allem der Angst zu öffnen? Ich weiß schon: Derzeit sind solche Visionen nicht en vogue. Wir sichern die Grenzen. Wir rüsten auf. Wohin das führt? An Wolfgang Becksteiners Titel der Bomben in der Mitte des Raums sei noch einmal erinnert. In einer der beiden frühen Druckgrafiken von Alois Neuhold aus dem Jahre 1981, die ganz in der Nähe hier positioniert ist und die man besser mit der Lupe anschauen sollte, ist zu lesen: „Mit Bomben und Penis“. Es ist ein Bombengroßangriff darauf radiert, mit Flugzeugen, Bomben, Autos, eine Art Stadt wird groß gezeigt, mit einem Innenleben, aber auch mit Häusern, Kirchtürme und einer Kuppel. Einmal ist zu entziffern: „DURCH GEFÜHLE IST NOCH NIEMAND UMGEKOMMEN, DOCH DIE UNTERDRÜCKUNG DIESER HABEN EIN RIESIGES SCHLACHTFELD HINTERLASSEN.“
„Nur ein Gott kann uns retten“, sagte der Philosoph Martin Heidegger, den man längst nicht mehr zitieren darf, aber in dem Kontext dieser Ausstellung dennoch zu Gehör bringen könnte. „LISTEN TO GOD“, schlägt Werner Reiterer in einer seiner „gezeichneten Ausstellung“ nämlich vor, der so Hörende sitzt vor einer Wand, sein Ohr ist durch sie hindurchgewachsen. Ein unendlicher Raum ist dahinter. LISTEN TO GOD - Werner Reiterer hat es natürlich ironisch gemeint, ich schlage im Kontext dieser Ausstellung und jener Institution, die diese Schenkung angenommen hat, dennoch vor, es auch wörtlich zu nehmen...