Wendezeiten/Zeitenwende #02: KUNST@KI
In der Serie "Stillleben 3000" tritt Claudia Larcher in einen zeitgenössischen Dialog mit der Tradition des klassischen Stilllebens. Die digital und mithilfe von KI erzeugten Werke sind inspiriert von Rachel Ruysch, einer wegweisenden niederländischen Künstlerin des 17. Jahrhunderts.
Claudia Larcher, STILL LIVE 3000, No_05, (2024) Giclée Print, 82 x 65 cm gerahmt. (c) Claudia Larcher, Bildrecht Wien 2024
Larcher verwendet Kunstblumen aus Plastik, die in ihrer unvergänglichen Perfektion den Zeitgeist des 21. Jahrhunderts widerspiegeln und auf ökologische Herausforderungen unserer Zeit hinweisen. Die Einbindung einer technoiden Bienendrohne betont die komplizierte Beziehung zwischen Natur und Technologie in einer Welt, die von Klimawandel und dem Verlust der Artenvielfalt bedroht ist. Schließlich finden sich zeitgenössischer Artefakte wie etwa iPhoneähnliche Accessoires in die Serie integriert, die sowohl den Geist der modernen Lebensweiseverkörpern als auch den Zyklus von Vergänglichkeit und Erneuerung thematisieren.
Das große Rasenstück
Claudia Larcher, Das große Baumstück, Experimentalfilm, 9 min 30 sek, 2023, (c) Claudia Larcher, Bildrecht Wien 2024
Woraus besteht ein Baum? Wie kann eine Annäherung an ihn aussehen? Und was hat der Baum selbst mit dem zu tun, was wir sehen? Claudia Larchers Film "Das große Baumstück" widmet sich wichtigen Fragen, die sich offenbaren, sobald wir den komplexen menschlichen Beziehungen zur Natur nachsinnen. Der Film besteht aus einer einzigen Kamerafahrt von einer Baumkrone bis unter die Erde, wo sich Humus, Pilze und Wurzeln als Welterschaffer in der Dunkelheit betätigen. Die Perspektiven, die bei dieser Bewegung entlang des Baumes entstehen, fächern sich mannigfach auf. Wie bei Albrecht Dürers Gemälde Das große Rasenstück, das als Inspiration für den Film dient, handelt es sich um eine Naturstudie, die aus sich selbst herauswächst. Die Materialität des Baumes wird enthüllt, indem die puzzleartigen Formen der Rinde mittels AI vermehrt werden, bis sich eine fantastische Chiaroscuro-Landschaft bildet. Wenn die Makroaufnahmen einer Hummel bis in die einzelnen Zellen gehen, und der Film sich in eine metamorphosierende Animation mit roten Lebensflüssigkeiten und Kleinstformen wandelt, fragt man sich, wie vergleichbar verschiedene Lebensformen sind. Unsere klare, aber oft vergessene Verwandtschaft mit Bäumen, die aus unserem Lebendigsein entspringt, ist in "Das große Baumstück" durchgehendspürbar. Die Bewegungen des scheinbar Unbeweglichen werden offengelegt. Mit größter Aufmerksamkeit spürt Larcher den Welten nach, die sich hinter dem vermeintlich unauffälligen Marillenbaum verbergen. In der magischen letzten Sequenz, in der wir aus der Makroperspektive in die Baumkrone zurückkehren, verkörpert sich das innere Bewegtsein der Blätter. Es raschelt, knistert und säuselt, als ob das Leben selbst zu hören wäre. Vielleicht hört sich das Leben eines Baumes genau so an.
(Text von Ivana Miloš für sixpackfilm)
Me, myself and I
Claudia Larcher, Me myself and I, 2022, Experimentalfilm, 5 min 30 sek,
Screen gerahmt mit Kopfhörern (Filmstills)
Me, myself and I
Die Trias im Titel sagt im Grunde alles: dass die Identität im digitalen Zeitalter, insbesondere unter entsprechenden Bildproduktions- und Reproduktionsprozessen, einer unaufhörlichen Vervielfältigung unterliegt. Oder anders ausgedrückt: dass das Ich, man kann es auch „digitales Subjekt“ nennen, mittlerweile einer technologisch befeuerten Spaltungstendenz unterliegt, die jedoch von einer trüben Illusion der Einheit umhüllt ist.
Claudia Larchers „Me, Myself and I“ tut nichts weniger, als dieses zersplitternde und gleichzeitig re-synthetisierende Moment in produktive Kollision miteinander zu bringen. Die Versuchsanordnung dazu ist so einfach wie bestechend: Larcher hat ein GAN (Generative Adversarial Network) mit 350 Fotografien von sich selbst (bis zum Alter von 24 Jahren) gefüttert, woraus ein sich ständig verformender Strom von Bildern resultiert, der über die ursprünglichen Fotos hinaus noch weitere Ansichten von Identität enthält. Babygesicht, Mädchenkopf, junge Frau, fast vorwärts ins Alter und wieder zurück ins Kleinkindhafte – all dies in einem sich ständig wandelnden Strom, der unmerklich das eine in das andere übergehen lässt. So wird ein digital vermitteltes Werden inszeniert, das sowohl auf ein produktives Verschwinden als auch auf eine ständige Neuerschaffung verweist – die Auslöschung alles Bisherigen bis hin zur völligen Abstraktion bei gleichzeitiger Wiederherstellung und Vorwegnahme des Kommenden. Groteske Verformung trifft auf grimassierende Neuausrichtung, organisch-synthetisch-hybrid, mit wiederholten Einblendungen von lächerlicher Gesichtskomik, wie man sie von Snapchat und anderen Bildbearbeitungsfiltern kennt.
Dass all dem keine wie auch immer geartete Meistererzählung darüber zugrunde liegt, was KI kann oder möglicherweise will, zeigt der Soundtrack. Larcher hat hier Dialoge, die sie mit verschiedenen Chatbots über Identität geführt hat, zu einem Skript verarbeitet, das Fragmente der Ich-Wahrnehmung multidirektional miteinander verknüpft. Die „reflexive Selbstreferenz“, die immer wieder als Kern jeder Identität angesprochen wird, ist möglicherweise selbst nicht mehr als ein Platzhalter für eine nicht zu bändigende Vielheit. Oder für den Rand der Nichtexistenz, der sich ebenso betörend in den lebendigen Fetzen der vor ihnen delirierenden Porträts ausdrückt.
(Text von Christian Höller)
TOTAL REFUSAL
Total Refusal, FEATHERFAll, 2019
2 Filmstills je 30x40,5 cm
Videoscreen 1/10, Video 10:28 sec
Video: Total Refusal