Nach außen wirken | Affecting the Outside

Andräkirche, Graz

Die historische Grazer Andräkirche aus dem 17. Jahrhundert hat eine außerordentliche, ja ziemlich provokante Außenhaut, die Vorübergehende nicht achtlos vorbeiziehen lässt. Sie provoziert im neuen Outfit buchstäblich eine Kommunikation. Gustav Troger (*1951) (gegen_wart ©2011) hat aus der Farbkarte der Firma Adler 50 Bezeichnungen und Begriffe ausgewählt, die dort den verschiedenen Farben zugeordnet sind. Diese Wörter wurden in der entsprechenden Farbe, in unterschiedlicher Größe und mit speziell ausgewählten Schrifttypen auf die Fassade übertragen. Die gesamte Fassade der Kirche ist somit von einem Netz unterschiedlicher Begriffe überzogen, die sich keinem Erfahrungs- und Wissensgebiet eindeutig zuordnen lassen. Diese Offenheit und der damit hergestellte direkte Bezug zu den unterschiedlichen Lebensbereichen baut auf dem sakralen „Trägerobjekt“ eine faszinierende Spannung auf. Die Wirkung nach außen ist eine irritierende und zum Nachdenken einladende zugleich. In ähnlicher Weise eröffnen einige Fenstergestaltungen der Andräkirche einen Kommunikationsprozess in den öffentlichen Raum hinein. Sie sind nicht nur Membrane des Übergangs von einem Kultraum hin zum Profanen, sondern bewusst eingesetzte Signale nach außen. An der Nordfassade leuchtet in der Nacht ein überdimensionaler Wippschalter, Rocker Switch, ein Werk von Valentin Ruhry (*1982). Die offensichtliche Ironie dieser Fenstergestaltung ist die Unterstellung, dass sich Kirche und Glaube auf Wunsch ein- und ausschalten lassen, eine „ON/OFF-Beziehung“. In jedem Fall regt das technische Versatzstück zum Nachdenken an, nicht zuletzt auch über das Verhältnis von Kirche als Institution inmitten einer scheinbar total säkularisierten Welt, in der die Suche nach spirituellen (Licht-)Quellen zur gleichen Zeit immer mehr an Bedeutung gewinnt. Markus Wilfling (*1966) montiert in  seiner Fenstergestaltung aus dem Jahr 2002, mit der die Serie von 15 zeitgenössischen Fensterlösungen für die Andräkirche begonnen hat, ebenso einen Alltagsgegenstand in die Visitenkarte der Fassade von St. Andrä. Eine Aluminiumtür, wie sie im Baumarkt erhältlich ist, schwebt auf der Glasfläche und wirft die Frage der Zugänglichkeit von Kirche und deren Überzeugungen für den Außenstehenden auf. Umso überraschender fällt dazu ein Jesuswort ein: „Ich bin die Tür. Wer durch mich ein- und ausgeht, wird Leben finden.“ (Joh 10,9) Noch forscher hinterfragt Werner Reiterer (*1964) mit seiner Fensterlösung die Repräsentationskultur von Kirche im offenen gesellschaftlichen Raum. In seiner Fenstergestaltung bleibt vom vertrauten Glasfenster nichts mehr übrig. Wie ein Häuslbauer der 80er-Jahre konstruiert er aus Mahagoniholz und Isolierglas, teilweise zum Kippen und inklusive Klimaanlage und Jalousie, eine höchst provokante Bausünde. Die sakrale Außenhaut der Kirche wird damit nachhaltig gestört, aber gerade dadurch an die kleinbürgerlichen Wohlbefindlichkeitsideale herangeführt. Wer wohnt denn in der Kirche und wer darf bestimmen, wie der „Außenauftritt“ aussieht? Außerdem führt das geschäftige Funktionieren des Fensters die Grundidee von Kirche, nämlich ein Raum des Göttlichen und somit des Nicht-Funktionierens zu sein, ad absurdum. Ebenso radikal agiert Manfred Erjautz (*1966) mit seiner Kapellen- und Fenstergestaltung A Short Break in Time aus dem Jahr 2008. Die Fensterfläche mitsamt des nachgeschmiedeten Barockgitters wölbt sich konvex/ konkav auf der einen Seite in die barocke Taufkapelle hinein und ragt wie ein überdimensionierter Bauch auf der anderen Seite wieder heraus. Ist die Kirche schwanger geworden? Was hat sie zu geben? Sehgewohnheiten werden in jedem Fall strapaziert und das Verhältnis von Kirche und Gesellschaft neu bestimmt. Es sind im Idealfall zwei kommunizierende Gefäße – mit Einwölbung und Ausbuchtung als Metaphern einer lebendigen Kommunikation. Die Eröffnungssätze der Pastoral-Konstitution des II. Vatikanischen Konzils (Gaudium et Spes) beschreiben diesen zutiefst menschlichen und geistlichen Austausch: „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi. Und es gibt nichts wahrhaft Menschliches, das nicht in ihren Herzen seinen Widerhall fände.“ Eine weitere Beziehungs-Arbeit mit der Öffentlichkeit leistet die Fenstergestaltung von Veronika Dreier (*1954), Placement, aus dem Jahr 2010. In der Außenansicht der Kirchenapsis ist eine Fensternische sichtbar, die in eine Vitrine für gebrauchte Stühle umfunktioniert wurde. Die Stühle sind in einer bizarren schwebenden Form arrangiert. Vielleicht sind sie Platzhalter für das Leben, denn die spiralförmige Drehung der Objektgruppe erinnert an eine DNA-Struktur. Oder sind die Stühle Platzhalter für Menschen, die um ihren Lebensraum zu kämpfen haben? Bei einer solchen Lesart wird eine gesellschaftspolitische Intention deutlich, die das Anliegen der pastoralen Arbeit von St. Andrä unterstützt und den sozialdarwinistisch konnotierten Lebensraum-Begriff ins Positive wendet: Wenn Gastfreundschaft gelebt wird, gibt es Lebensraum für alle!

Hermann Glettler