Marta Deskur: Visitation, 1999

Bildet die in der Moderne untergegangene „christliche Ikonografie“ letztlich nicht bloß das einfache Leben ab? In der französischen Salonmalerei des 19. Jahrhunderts war sie noch ein auslaufendes Vehikel für bereits entleerte Bildinhalte. An diesem Ende setzt die polnische Künstlerin Marta Deskur, selbst in Frankreich künstlerisch ausgebildet, an. In einem zweiten Blick holt sie die Inhalte der längst nicht mehr benützten Formeln in die Gegenwart. In ihrem mehrjährigen künstlerischen Projekt „Family“ aus den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts stellt sie Szenen aus einem fingierten Stammbaum dar: „Family“ handelt vom (gut bürgerlichen, standesbewussten, katholischen …) Begriff einer Familie – aber ihre Protagonisten sind in Wirklichkeit nicht miteinander verwandt, sondern leben zusammen: auf einer Bühne, als Band, in der Zusammenschau gemeinsamer Werte wie der Musik. Die Szenen von „Family“ sind beinahe ausschließlich in Form von Leuchtkästen präsentiert. Sie sind im wörtlichen Sinne „enlightened“, was ja nicht nur erleuchtet, sondern auch aufgeklärt heißt. Der Bildaufbau zeichnet sich durch den Kontrast von Vordergrundfiguren – Fotos von Menschen in betont zeitgenössischer Kleidung – und einem gleißenden weißen Hintergrund aus. Letzterer monumentalisiert die dargestellten Personen und ruft gleichzeitig die Geschichte der Malerei auf – vor der Entwicklung der Landschaft als Bildhintergrund. Dazu kommen Bildmuster, die uns trotz der Fremdheit irgendwie vertraut erscheinen: Eine Schüssel, in der vor Männerbeinen und hängendem Frauenhaar Wasser fließt; zwei junge Frauen, die füreinander Reime rezitieren, wie in diesem Werk. In einer Hand sieht man eine Zigarette. „Visitation“ ist hier mit „Heimsuchung“ zu übersetzen. Rückgeblendet interpretiert: Maria und Elisabeth singen sich einander ihr Magnificat vor.