Das Medienzeitalter lehrt uns, dass es Personalisierungen braucht, um Inhalte optimal zu transportieren: das gilt nicht nur für Marken, sondern auch für die Politik, und nicht zuletzt auch für die Religion. Papst Johannes Paul II. hat diesbezüglich den Medientheoretikern das Staunen gelehrt, weil er es wie kaum ein anderer verstand, das „religiöse Bild“, das längst der Musealisierung unterworfen schien, zurück in den zeitgenössischen Bildgebrauch zu hieven. Er wusste die Macht der Bilder für seine Botschaft zu nutzen. Von 1978 bis 2005 war er das omnipräsente, globalisierte Bild von Religion. Er glich einem Medienstar, der als ein Monolyth der Geschichte des auslaufenden 20. Jahrhunderts ins Bild gesetzt wurde, in dessen Amtszeit brach schließlich der Eiserne Vorhang zusammen. Er küsste die Erde der unzähligen Länder, die er besuchte, er öffnete, schon schwer gezeichnet, die Heilige Pforte an der Jahrtausendwende oder steckte Vergebungsbitten in die Ritzen der Klagemauer von Jerusalem. Auf Schritt und Tritt folgte ihm die Kamera, aber nicht so, wie es andere Zeitgenossen im Starkultstatus oft empfunden haben: in der Form der Paparazzi, sondern weil er es selber wollte – bis hin zu seinem öffentlichen Sterben 2005. Auch beim Beten wurde Karol Wojtila gefilmt und fotografiert, sein Rosenkranzbeten ist heute noch zu kaufen. Das hier gezeigte Bild der aus Basel stammenden Theater-, Video- und Fotokünstlerin Nives Widauer zeigt den in seinem Abendgebet versunkenen, mittlerweile heilig gesprochenen Papst. Die Unschärfe des Bildes liegt nicht an der schwachen Auflösung, sondern darin begründet, dass es ein Stickbild ist. Die religiöse Imagerie hat schließlich nicht nur die Welt der Reklame für ihre Zwecke dienstbar gemacht, sie schwappte auch durch die Reproduktionstechnik in die Alltagsbilder über und erhielt so eine Breitenwirkung, die sie notwendigerweise auch in die Welt des Kitsches und der Fassade überführt. Alltagskultur und Alltagsbilder – auch in ihrem religiösen Kontext – auf ihre Robustheit zu überprüfen, diese mit Humor und Witz zu überführen, ist eine wesentliche künstlerische Strategie von Nives Widauer. Sie nimmt die Heimeligkeit von Alltagsbildern her, die in einem Alltagsmilieu, das sonst niemals zeitgenössische Kunst rezipieren würde, durchaus Bildcharakter haben. Aber in der Vorstellung, diese Bilder auszusticken, schleichen sich wie bei einem Suchbild kleine Fehler ein, oder, um ihre Serie beim Wort zu nehmen, „kleinere Katastrophen“: Komik, Verzerrung, Verschiebung – alles Strategien mit starkem Wahrheitscharakter. Diese Bilder sind nicht einfach Reproduktionstapeten, sondern Stickvorlagen zur weiblichen Kreativitätsbeschäftigung: Schließlich hat dieser Papst dem in jenen Jahren immer drängender werdenden Begehren nach der Gleichstellung der Frau in der katholischen Kirche gerade in der Form der Priesterweihe ein lehramtliches Ende bereitet. Umso härter ist freilich, wenn dieses Bild- und Arbeitsmaterial Bildwelten markiert, die sich mit dem modernen Geschlechterausgleich zumindest in der öffentlichen Meinung nicht vertragen. Was man als kreative Beschäftigung in der ganzen Fläche noch aussticken könnte, hat Nives Widauer in der kleinen Verschiebung der „kleineren Katastrophen“ bereits getan: Im Bild des Papstes von Nives Widauer ist das Cover des Breviers mit dem Schriftzug: „NIETZSCHE“ überstickt. An dessen Diagnose, Gott sei tot, haben sich die Kirchen und Theologien an der Schwelle zur Moderne bis heute bekanntlich am meisten abgearbeitet. „Nietzsche“ ist zum Symbolbegriff dessen geworden, was wir das Drama der Moderne nennen. Er verkündete den Tod Gottes am hellen Vormittage, das Wegwischen des Horizontes und das Losketten der Erde von der Sonne – durch uns. Mit dem, was er heraufbeschworen hat, kann man nicht diskutieren: „Widersprüche sind für den Glauben kein Hindernis“. Kann man sich in den Philosophen des Todes Gottes versenken, womöglich zu ihm beten? Jedenfalls ist er ins Innerste der Religionsverwalter eingedrungen.