Museum Raum 06

Claudia Schink: 14 Passionen, 1999

die passion ist der hunger / des bewußtseins, / das leiden beweist / eine kunstvolle praxis, / sein siegel wird / den würdigen übertragen, der leib ist ein ort / zur schaffung zahlloser freuden, / die glied massen / bilden / das instrumentarium des geistes, / das ritual / lockt deine wahrheit hervor. dein körper ermöglicht / verschiedene strategien der qual. / du beendest / die gefangenschaft / deiner identität / der schmerz erschafft / den neuen menschen, unter meine adern / gräbt sich deine klinge. / in der kerbe wächst mir / das wärmende licht. / uns verlobt / die nicht endende pein. ich bin die glut / deiner qualen. / du willst an deine stellung / erinnert werden. / zwischen uns wächst / der geistige raum. das schauspiel deines blutes / berauscht deine sinne. / im fieber lauschst du / dem eigenen born. / dein schwarzes fühlen / löscht ein augenloser schlaf. die zungen sind weiß / vom fleisch der lüste. / die augen sind rot vom blut, / das gekostet wird / im quell deines heils. schaue die pracht / meiner marter. / meine gedärme / sind deines glückes aas. / im speichel meiner venen / wächst dein triumph. mein gedächtnis / ist der schmerz. / am fleisch des erkennens / nährt sich die wunde. / in der furche / keimt der sieg. der stachel starb, / das fleisch wohnt. / ich bin der stein / deines weges./ mein leib ist das grab / von scharen. die grausamkeit / ist ein untergrund / der kultur. / mit ihrem blick / zersetzt die geschichte / den leib. die marter / bildet ein werkzeug / des geistes. / ihre gewalt / formt das wissen / der macht. das verbrechen / ist ein fest der sinne. / die wahrheit / wird am körper erzeugt. / der leib ist von den gläubigern / durchdrungen. der glaube / ist eine mutmassung / auf der bühne des todes. / die opferung / ist das mysterium / der letzten grausamkeit.

14 Glasplatten mit sandgestrahlten Worten erscheinen fast immaterialisiert. Form, Titel und die Anzahl der Tafeln kommemorieren die Passion, näherhin die 14 Kreuzwegstationen. Die Texte selbst gemahnen an liturgische Sprache, doch als Pate hat sich mindestens ebenso Marquis de Sade breit gemacht. In dieser abgründigen Uneindeutigkeit heben sie einen Rest von Geheimnis auf. So schwebt über die ausgestellten Glasreliquien auch ein immaterieller Textkörper. Er führt in eine Sprache, die in Gebetbücher oder dogmatische Formulierungen weist, die aber an nicht genau definierten Orten entscheidend bricht – weniger in die Dimensionen von Passion, Lust und Ekstase, sondern in Gewalt und Grausamkeit. Ihre lyrische Rhythmik aber eröffnet Abgründe, die Gräben an Surrealität eher eröffnen als dass sie diese schließen. Es geht dabei um Gewalt, vor allem auch um sexuelle Gewalt, die den Körper und mehr noch die Seele vernichtet. Opfer und Täter werden hier ineinander verschlungen. Intimität entsteht trotz alledem, doch ist das Unbehagen eine Nebenwirkung, die ziemlich unangenehm ist. Die Texte geraten in semantische Felder, welche Blutaskese mit modernen Verbrechen, sexuellem Missbrauch, Foltern und Sadismus, heilige und unheilige Martern miteinander in Beziehung setzt: In der ersten Präsentation von „SOLILOQUIA“ (2001) waren diese Platten nicht nur mit den Glasobjekten konfrontiert, sondern auch mit einem Film aus dem Jahr 1995, der fürchterliche Bilder von vergewaltigen Frauen aus dem Balkankrieg aus dem Jahr 1993 zeigte, zynisch übertönt mit Mahlers 8. Symphonie und ihrem Text „Aus des Knaben Wunderhorn“: „Wir genießen die himmlischen Freuden ...“

14 Passionen, 1999, Glasscheiben, je 50x50 cm, Schrift sandgestrahlt, Texte: Claudia Schink, 1999, KULTUMdepot Graz, aus: Claudia Schink: SOLILOQUIA (2001) und: Seelenwäsche (2013) (2001) und: Seelenwäsche (2013) | Claudia Schink

Claudia Schink

geboren 1960 in Kempen, Deutschland, lebt und arbeitet in Köln. Schink studierte Philosophie, anschließend Medienkunst und audiovisuelle Medien in Köln. 2002 promovierte sie im Anschluss an ihr Dissertationsprojekt an der Humboldt-Universität in Berlin und der Kunsthochschule für Medien Köln. Ihre Arbeiten wurden u.a. bei der Art Basel, Art Cologne sowie in Krefeld, Ludwigshafen, Stuttgart, Maastricht, Marseille, Bonn, Berlin und New York ausgestellt. Im KULTUM wurde Schink in den Ausstellungen „Claudia Schink: Das Abendland: SOLILOQUIA“ (2001), „Seelenwäsche“ (2013), „reliqte, reloaded: Zum Erbe christlicher Bildwelten heute” (2015/16), „VULGATA. 77 Zugriffe auf die Bibel“ (2017), “Schönheit und Anspruch” (2018) und in einer Einzelausstellung 2015 gezeigt.

born in Kempen; Germany, in 1960; lives and works in Cologne. Schink studied Philosophy and the Media art and Audiovisual Media in Cologne. In 2002, she earned a PhD following her dissertation project at the Humboldt University, Berlin, and the Academy of Media Arts, Cologne. Her works were exhibited i.a. at the Art Basel, at the Art Cologne as well as in Krefeld, Ludwigshafen, Cologne, Stuttgart, Maastricht, Marseille, Bonn, Berlin and New York. Schink’s works were shown in the KULTUM in the exhibitions “Claudia Schink: Das Abendland: SOLILOQUIA“ (2001) and “Soul Underwear“ (2013).

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Claudia Schink: 14 Passionen, 1999

passion is hunger / of the conscious mind, / suffering proves / an artful practice, / its seal will / be conferred to the dignified, the body is a place / to create countless pleasures, / the extremities / form / the instrumentarium of the mind, / the ritual / lures out your truth. your body makes possible / different strategies of torture. / you finish / the captivity / of your identity / the pain creates / the new human, your blade delves / under my veins. / the warming light / grows for me under the incision. / we become engaged / through the unending pain. I am the blaze / of your agonies. / you want to be reminded / of your status. / the spiritual space / is growing between us. the spectacle of your blood / inebriates the your senses. / you listen to your own spring / in fever. / an eyeless sleep erases / your black feeling. the tongues are white / from the flesh of pleasures. / the eyes are red from the blood / that is tasted / in the well of your salvation. look at the glory / of my martyry. / my guts / are the carrion of your good fortune your triumph grows / in the spittle of my veins. my memory / is the pain. /the wound feeds / on the flesh of recognition. / victory sprouts / in the furrow. the thorn died, / the flesh abides. / I am the stone / of your path. / my body is the grave / of swarms of people. cruelty / is a fundament / of culture. / history corrodes / the body / with its gaze. martyry / forms an instrument / of the mind. / its power / shapes the knowledge / of power. crime / is a feast of the senses. / truth / is produced on the body. / the body is pervaded / by the creditors. belief / is an assumption / on the stage of death. / the sacrifice / is the mystery / of the last atrocity

14 glass panels with sandblasted words seem to be almost immaterialized. The form, the titles, and the number of panels commemorate the Passion or, more precisely, the 14 Stations of the Cross. The texts themselves are reminiscent of liturgical language, but the Marquis de Sade has made himself at home as a godfather to at least the same extent. What they keep in this abysmal ambiguity is a rest of mystery. Thus an immaterial body of text is floating over the exhibited glass relics. It leads us into a language that refers to prayer books or dogmatic wordings, but which breaks up in not exactly defined stages—less into the dimensions of passion, lust, and ecstasy but rather into violence and cruelty. Yet their lyrical rhythmics opens up abysses which rather open than close trenches of surreality. It is about violence, especially sexual violence too, that annihilates the body, and even more the soul. Victims and perpetrators become intertwined here. Intimacy is created despite all this but uneasiness is a quite unpleasant side effect. The texts enter semantic fields that interrelate blood asceticism with modern-day crime, sexual abuse, torture and sadism, and both holy and unholy martyrs. On the occasion of the first presentation of “SOLILOQUIA“ (2001), the panels were not only confronted with the glass objects but also with a film from 1995, shocking images of women raped in the Balkan War in 1993, sardonically drowned out by Mahler’s 8th Symphony and its text from “Aus des Knaben Wunderhorn“ [The Youth's Magic Horn]: “We enjoy heavenly pleasures…“

Text aus | Text from: Johannes Rauchenberger: Gott hat kein Museum. Religion in der Kunst des beginnenden XXI. Jahrhunderts. | No Museum Has God. Religion in Art in the Early 21^stCentury. (IKON. Bild+Theologie, hg. von | ed. by Alex Stock und Reinhard Hoeps), Verlag Ferdinand Schoeningh, Paderborn 2015, S. | p. 684-687.