Corona: Der Berliner Lyriker Björn Kuhligk schreibt ab März 2020 zwölf Monate lang sein Langgedicht „An einem Morgen im März“ (Hanser Berlin, 2023). Und gerät nach 50 Semestern angewandter Lyrik an die Ränder unserer Alltäglichkeiten mit einer Nachricht an die Sterne: Wir sind nicht friedlich, was seid ihr. Den Anfang nahm dieses Langgedicht mit vielen Notizen, die der Autor später, nach dem ersten Abflauen der Corona-Krise zu einem lyrischen Text verwob: „Ich habe sehr viele Zeitungen gelesen, Eilmeldungen notiert, die mir abstrus vorkamen und habe dann in einem zweiten Arbeitsschritt alles weggestrichen, was mit einer Prosa zu tun haben könnte. Ich habe nur das Material behalten, wovon ich ausgegangen bin, dass ich es für ein Gedicht gebrauchen kann.“
Das Ergebnis ist Sprachpoesie, glasklar, zart und virtuos, 70 Seiten lang: Der Text ist strukturiert, wobei jede Seite auch als Einzelgedicht funktioniert.
Die Quelle: ein verwundetes Ich – „woran hält es fest?“; der Flusslauf: die Zeit des Sich-Fügens – „Leichter Sommer“; die Mündung: Ich bleibe negativ – „Der Winter ist schwarz“.
Björn Kuhligks Sprache ist voller Kraft und kräftig genug, das Wunde, das Verletzte, das Zerbrechliche so hinüber, hinauf, hinunter (wer weiß schon, wo der Leser, die Leserin sich JETZT – und danach – befindet) zu retten, dass der Zeit, diesen bleiernen Tagen, ein „Schlüsselgewicht“ in den Fluss geworfen wird, denn an irgendetwas muss man sterben.
Ja man muss, muss selbst dann noch Gespräche führen mit dem Horizont. Denn dieser (…) sei eine waage, besetzt von fliegen (…) die mit sich selber sprechen, kommen in den himmel (…), so etwa beschreibt es der Frankfurter Autor und Übersetzer Marcus Roloff in seinem letzten Lyrikband „gespräch mit dem horizont“ (Stadtlichter Presse, 2021). Was wird dort befunden, gewogen, verhandelt? Die letzten Gespräche? Der erste Verlust? Das Gewicht der Vergänglichkeit? Von einem, für den Dichtung (augenzwinkernd) eine Extremform von Stil ist. Roloffs Parlando packt an. Da bringt uns einer (entschieden) aus der Schusslinie. Dahinter wird’s neu und fließend, ein wenig so wie Schlafen im Wind oder Fragen gegen den Strich. Marcus Roloffs Gedichten gelingt mittels Sprache, die stets präzise und ungefähr zugleich ist, die Wahrnehmung fallen zu lassen, dass sie zersplittert in Bilder, die zeigen was ist und was nicht ist: ein Balken Licht.
Barbara Rauchenberger