Wiedergänger im Literatur Hotel: Raphaela Edelbauer und Lucas Cejpek
Das eine ist ein erzählender Text, der aber von Kunstrezeption und -theorie handelt; das andere, als Poetikvorlesung, ein Theorietext vom Erzählen. Lucas Cejpeks „Du siehst Gespenster und nichts in der Minibar“ (Sonderzahl 2024) und Raphaela Edelbauers „Routinen des Vergessens“ (Cotta 2024) sind damit zwei Bücher, deren Inhalte fast genau gegenläufige Bewegungen darstellen. Das heißt, sie haben einen Überschneidungspunkt, und zwar: die Idee des Gespenstischen, des unvollkommen Vergessenen; den Gedanken an das, was just durch Verdrängung konserviert wird.
Lucas Cejpeks „Gespenster“-Buch inszeniert die Film-, Kunst-, Literaturgeschichte der letzten zwei Jahrhunderte als Summe von konkreten Flucht-, Vertreibungs- und Verdrängungsbewegungen, die oft aus Mittel- und Osteuropa nach Westeuropa und Amerika führen; Historien verwandelter literarischer Stoffe als kollektiv wahnhaft erinnerter Realgeschichte; Rechercheschnipsel, eingebettet in gerade genug fiktionale Rahmenerzählung, dass aus der ganzen inneren Suchbewegung eine Geistergeschichte wird. Ein Geist ruft den Icherzähler ganz zu Beginn in seiner leeren Wohnung beim Namen. Der Rest des Buchs ist Lesbar als Versuch, die mysteriöse Stimme zu benennen.
Raphaela Edelbauers Poetik „Routinen des Vergessens“ geht – als Problemlösungsstrategie beim Schreiben wie als Rezeptionsmodus – auf die Wahrnehmungsverschiebung hin, die eintritt, wenn wir in den ästhetischen Setzungen innerhalb eines literarischen Werks Akte des Vergessens, der Subtraktion, der Löschung sehen. Es fragt sich dann, auf Leser*innen wie auf Autor*innenseite: was wird gelöscht? – Anmalen als Vergessen der weißen Wand, sagt Edelbauer; Licht als Vergessen der Dunkelheit; Wahrnehmen des Großen Ganzen eines Werks als Vergessen des je bestimmten Details. So ein Vergessen der guten Ordnung der Dinge in der Welt befreit nach der einen Richtung hin zum neuen Hinschauen – nach der anderen Seite fixiert es die Ordnung als gespenstischen Negativabzug.
(Wie) Kommentieren sich diese beiden Bücher? Sind sie zueinander wie Argument und Beispiel? Oder widersprechen sie sich?
Lucas Cejpek, *1956, arbeitet als Autor, Herausgeber und Regisseur, und ist besonders bekannt als Verfasser zahlreicher Hörspiele und Kunstradiostücke. Raphaela Edelbauer, *1990, hat inzwischen zwei Poetiken und drei höchst erfolgreiche Romane geschrieben. Zuletzt war sie mit „Die Inkomensurablen“ 2023 auf der Longlist des deutschen Buchpreises.
Raphaela Edelbauer,
geboren 1990 in Wien, studierte Sprachkunst an der Universität für Angewandte Kunst. Für ihr Werk „Entdecker. Eine Poetik“ wurde sie mit dem Hauptpreis der Rauriser Literaturtage ausgezeichnet. Außerdem wurde ihr der Publikumspreis beim Bachmann-Wettbewerb, der Theodor-Körner-Preis und der Förderpreis der Doppelfeld-Stiftung zuerkannt. Ihr Debütroman „Das flüssige Land“ stand auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises, für ihren zweiten Roman „DAVE“ erhielt sie den Österreichischen Buchpreis. Im Jänner 2023 veröffentlichte sie den historischen Roman „Die Inkommensurablen“, der Ende Juli 1914 am Vorabend des Ersten Weltkriegs spielt, in den Stunden, bevor Österreich Serbien den Krieg erklärt. Im Wintersemester 2023/24 übernahm sie die gemeinsame Poetikdozentur der Hochschule RheinMain und des Kulturamts der Landeshauptstadt Wiesbaden.
Raphaela Edelbauer lebt in Wien.
Lucas Cejpek,
geboren 1956 in Wien, aufgewachsen in Graz, Studium der Germanistik und Amerikanistik, Dissertation über Robert Musils Roman Der Mann ohne Eigenschaften als Kulturtheorie (Wahn und Methode), Mitarbeit im Forum Stadtpark und beim ORF Steiermark, Literatur und Hörspiel, lebt seit 1990 als freier Schriftsteller und Regisseur in Wien. Veröffentlicht Essays, Romane und Gesprächsbücher, zuletzt als Herausgeber gemeinsam mit Margret Kreidl: Wien, Schwedenplatz: polyphon, Sonderzahl Verlag 2023. Für die BLUMENBERGTAGE 2022 im KULTUM hat er den Text „Unterbringung von Unendlichkeit“ verfasst.