Das Gefühl, nicht zu genügen, nennt Andra Rotaru zuweilen als Antrieb ihre Literatur (noch) weiter zu öffnen. So sucht die 1980 in Bukarest, Rumänien, geborene Autorin für ihr eigenes Schreiben oftmals ein Gegenüber, das ihr als Inspiration dient: die Zeile eines Gedichts von H. C. Artmann oder Friederike Mayröcker etwa oder ein Gemälde Frida Kahlos. Ihre Poetik generiert Räume für andere Texte und Kunstrichtungen, platziert sie geschickt, ohne sie zu vereinnahmen. Am Ende dieser Begegnungen steht die beide Seiten bereichernde Transformation.
Das Gegenüber in Julia Rüeggers Lyrik tritt hingegen oftmals personalisiert, aber nicht sichtbar auf. Es agiert aus dem Dunkel heraus, hat sich dem erzählenden Ich eingeschrieben, stellt Besitzansprüche, lässt es nicht los. Dem dadurch verursachten (Liebes-)Schmerz begegnet die 1994 in Basel, Schweiz, geborene Autorin mit unerwarteten Wendungen und erdachten Fluchtrouten, an deren Ende auch der Rückzug in die Einsamkeit stehen darf. Es ist ein lustvolles Experimentieren mit Sprache, ein Ausloten ihrer Möglichkeiten, das Lesende beschriebene Empfindungen zuweilen sogar körperlich erleben lässt.
Einführung und Moderation des Gesprächs: Silvana Cimenti.
Ein Abend in Kooperation mit der Kulturvermittlung Steiermark
Julia Rüegger
1994 in Basel (CH) geboren und aufgewachsen, studierte Literarisches Schreiben, Theater und Philosophie in Hildesheim, Biel/Bern und Madrid. Sie schreibt Lyrik, Essays und Prosa und forscht an der Schnittstelle von Theorie und künstlerischer Praxis. Ihr Lyrikdebüt einsamkeit ist eine ortsbezeichnung, mit dem sie u.a. zu den Solothurner Literaturtagen eingeladen wurde, erschien 2023 im Verlag Schiler & Mücke. Für die Arbeit an ihrem zweiten Gedichtband erhielt Rüegger einen Werkbeitrag vom Kanton Basel-Stadt und ein Arbeitsstipendium am Literarischen Colloquium Berlin. Im Februar 2025 erschien ihr zweites, zusammen mit Valerie-Katharina Meyer verfasstes Buch Und überlaut die Zikaden in der edition mosaik.
Andra Rotaru
geboren 1980 in Bukarest, Rumänien, arbeitet an der Schnittstelle zwischen den Künsten und hat an mehreren gemeinschaftlichen Projekten in Rumänien und im Ausland mitgewirkt. Sie veröffentlichte die Gedichtbände Intr-un pat, sub cearşaful alb [In einem Bett, unter dem weißen Laken] (2005), Ținuturile sudului [Die südlichen Gegenden] (2010), Lemur (2012) und Tribar (2018). Für Lemur wurde sie mit dem Preis „Nachwuchsdichterin des Jahres“ ausgezeichnet. Der Debütband wurde ins Spanische übersetzt (En una cama bajo la sábana blanca, Bassarai, 2008), Lemur erschien 2018 in der amerikanischen Übersetzung von Florin Bican bei Action Books. Tribar erschien 2022 in der englischen Übersetzung von Anca Roncea bei Saturnalia Books (USA) und in der deutschen Übersetzung von Alexandru Bulucz bei Elif Verlag (Deutschland). 2024 und 2025 ist Andra Rotaru Grazer Stadtschreiberin.
Silvana Cimenti
Studium der Dt. Philologie, Italienisch und Betriebswirtschaft. Langjährige Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Franz-Nabl-Institut für Literaturforschung. Forschungs- und Publikationstätigkeit zu Barbara Frischmuth. Seit 2020 in der Redaktion der manuskripte, Zeitschrift für Literatur.