"Ich hab auch noch a Leb'n" - Selbstbehauptung im Portrait
Mitschnitt der Diagonale-Diskussion vom 24. März 2023
In ihrem feinfühlig-dokumentarischen Eingehen auf gesundheitliche oder zeithistorisch-politische „Katastrophen“ und die – vermeintlich – daraus resultierenden biografischen „Vorbestimmtheiten“ zeugen diese beiden Filme nicht vom bloßen Lamento über ein „eingeschränktes Leben“ oder eine „verlorene Zeit“, sondern erzählen auch von den oft selbstermächtigenden sowie eigensinnigen Antworten der Betroffenen auf herausfordernde Lebenskonstellationen – ob das nun Menschen mit Down-Syndrom, wie in Evelyne Fayes „Lass mich fliegen“, oder vor dem Holocaust geflohene Evolutionsbiologen aus illustrem Hause, wie in Rainer Frimmels "Emile - Erinnerungen eines Vertriebenen“, sind.
Die in beiden Filmen gezeigten Menschen wollen – um es mit den Worten der mitdiskutierenden Regisseurin und Drehbuchautorin Wheina Zhao zu sagen, entweder ihre „Geschichte selbst erzählen“ bzw. können sie ihre (Flucht- und Verlust-)Traumata auch ins Produktive und Lebensbejahende – natürlich mit allen „highs & lows“ – wenden: „Ich hab auch noch […] a Leb’n“, meint Raphael, einer der Protagonisten in Fayes Film. Und Emile Zuckerkandl, der fast 90-jährige, in Kalifornien lebende und international erfolgreiche Wissenschaftler – ja auch er hat(te) ein Leben, das sich nicht im Vertriebenendasein erschöpft. In der Diskussion spannt sich daher auch ein ethischer und - im Sinne von Stuart Hall - politischer Bogen auf: Wie viel sozialen und biografischen Wert misst man als Gesellschaft einer vorbestimmenden gesundheitlichen Diagnose oder der Kategorisierung „Flüchtling“ bei?