Platz für alle! - Kurzfilm-Programm für Kinder 4 & Familien
Die drei Initiatorinnen Kathrin Kapeundl (Kuratorin Junges Publikum, KULTUM), Natalie Resch (Kuratorin Film, KULTUM) und Lisa Mai (Gründerin Kikeriki Kinder Kurzfilm Festival Tulln) interviewen sich gegenseitig über die vielfältigen Lebensrealitäten von Kindern, Begegnung auf Augenhöhe, Experimentierfreude und gemeinsame cineastische Erlebnisse.
Natalie: Kathrin, du machst seit drei Jahren das Programm für Junges Publikum und hattest die Idee, im Rahmen des Nachbarschaftsfestes Lendwirbel etwas Neues auszuprobieren. Warum?
Es ist eine Öffnung der imaginären Türen, die oft Menschen davon abhalten, hinter die Klostermauern zu blicken. Obwohl wir mitten im pulsierenden Lendviertel sind, kennen uns viele noch nicht. Das Kurzfilmprogramm am 30. April ist eine Einladung, vor allem an Menschen, die noch nie im KULTUM zu Gast waren. Sie sollen sich überraschen lassen von den unglaublich schönen Räumen und vielleicht das eine oder andere Objekt der aktuellen Ausstellung betrachten. Es geht darum, (wieder) neue Kontakte zu knüpfen, mit den Menschen und Netzwerken vor Ort und interdisziplinäre Kooperationen einzugehen. Das ist befruchtend, für unser Programm aber ebenso für die Besucher*innen.
Kathrin: Natalie, als Kuratorin für Film ist dir das Medium vertraut, worin liegt für dich der Reiz Kleinkindern Kurzfilme zu zeigen?
Mich hat ein Erlebnis bei den Kurzfilmtagen in Oberhausen sehr geprägt. Ich saß als Festivalgast zwischen hundert Schüler*innen zwischen 11 und 14 Jahren in einer Kinovorstellung über die berührende Geschichte eines Buben, der sich mit dem falschen Geschlecht geboren fühlte. Die Stimmung vor Ort, die vielen Emotionen und die anregende und vor allem kluge Diskussion haben mich berührt. Film berührt, weil er viele unserer Sinne anspricht und wir uns mit den Figuren mehr oder weniger identifizieren können. Jahre später bin ich dann auf das Kinderfilmfestival in Graz gestoßen, das jeden November stattfindet. Über 5000 Kinder können internationale, teilweise prämierte Filme sehen, viele davon in der Originalsprache und live eingesprochen. In einer solchen Vorstellung zwischen den Kindern zu sitzen ist ein Erlebnis! Es geht mir als Cineastin um das gemeinsame Sichten von Filmen als Gesamterlebnis, das Diskussionen über Wünsche, Ängste, unsere Gesellschaft und Visionen anstößt. Gemeinsam Filme zu sehen und sich damit auseinandersetzen, ist eine wichtiges Werkzeug, um mit Bewegtbildern kritisch umgehen zu lernen. Das Medium Kurzfilm ist so etwas wie die Kurzgeschichte in der Literatur: eine kluge und formal spannende Verdichtung der großen Fragen und Geschichten. Das Kurzfilmprogramm soll Lust darauf machen, wieder öfter als Familie oder mit Freund*innen ins Kino zu gehen und das Filmeschauen als Erlebnis, und manchmal sogar als Abenteuer, wahrzunehmen.
Natalie: Liebe Lisa, ...
... was ist das Besondere, an einem Ort wie dem KULTUM und im Rahmen des Nachbarschaftsfestes Lendwirbel euer Kurzfilmprogramm „Platz für alle“ zu zeigen?
Wir lieben es, Orte zu bespielen, die nicht in erster Linie Kinoräume sind. So können wir den Space frei gestalten, sodass er für Kinder und Erwachsene jeden Alters einladend ist, sie sich wohlfühlen und das Programm genießen können. Entspannung, Gemütlichkeit und ein Gefühl von Sicherheit, sich zurechtzufinden und willkommen zu fühlen, sind förderlich, wenn es darum geht, sich auf Neues einzulassen.
... kann ein-und dasselbe Filmprogramm samt Mitmach-Werkstatt überhaupt die ganze Familie begeistern, also Jung und Alt?
Das Gemeinsame steht im Vordergrund. Einerseits geht es um das gemeinschaftliche Erleben und darum, für die Kinder und die Erwachsenen, die sie im Leben begleiten, eine Gesprächsbasis auf Augenhöhe herzustellen. Andererseits hat das auch ganz praktische Gründe: Wir möchten niemandem zumuten, z.B. Betreuung für ein jüngeres Kind organisieren zu müssen, weil man mit einem älteren Kind die Veranstaltung besuchen möchte. Auf die Lebensrealität von Familien einzugehen und niemanden auszugrenzen, gehört zu unserem Credo. Die ausgewählten Filme können von Kindern ab einem gewissen Alter gut verstanden werden und behandeln Themen, die sie interessieren. Zugleich achten wir drauf, dass sie jüngere Kinder nicht irritieren. Inhaltlich erschließt sich letzteren vielleicht nicht alles, aber für sie gibt es immer etwas zu entdecken: Musik, Farben, Charaktere. Manche Erwachsenen glauben zuerst, ihre Kinder quasi „abzugeben“ und sich eine kleine Auszeit gönnen, lassen sich dann aber sofort in unseren Festivalflow hineinziehen und genießen die Stimmung.
... Kinder sind täglich tausenden von (Bewegt-)Bildern ausgesetzt. Warum machst du schon Programme ab 3+?
Gerade weil Kinder schon ab dem Kleinkindalter mit audiovisuellen Medien konfrontiert sind, ist es wichtig, den Einstieg zu begleiten. Die Erwachsenen, die sie im Leben begleiten, werden dabei leider oft alleingelassen. Man kennt es ja vom eigenen Konsum. Die „Kuratierung“ von YouTube & Co. übernehmen Algorithmen, die tatsächlich andere Zwecke verfolgen, als für wirklich wertvolle Inhalte zu sorgen. Beim Zappen durch die Videowelt des Internets geht auch der konzentrierte Blick verloren. Es ist ein besonderes Erlebnis für Kinder und Erwachsene gemeinsam ein Filmfestival zu besuchen. Das aufmerksame Schauen und drüber Sprechen ist wertvoll. Zu entdecken, welche ästhetische und erzählerische Vielfalt sich da anbietet, abseits vom meistens ziemlich überfordernden CGI-Einheitsbrei in den Kinos, kann eine echte Erleuchtung sein. Dass die erzählten Themen für die Kinder relevant und spannend sind, sowieso.
FILMPROGRAMM IM DETAIL
EIN LUCHS IN DER STADT (UN LYNX DANS LA VILLE)
Nina Bisiarina, Frankreich 2019, 7 min, ohne Worte
Ein neugieriger Luchs verlässt seinen Wald, angezogen von den Lichtern der nahegelegenen Stadt. Dort hat er viel Spaß, bis er mitten auf einem Parkplatz einschläft. Am frühen Morgen entdecken die staunenden Stadtbewohner*innen das seltsame, schneebedeckte Tier.
DER ELEFANT UND DAS FAHRRAD (LE VÉLO DE L'ÉLÉPHANT)
Olesya Shchukina, Belgien/Frankreich 2014, 9 min, ohne Worte
Der Elefant hat seinen Lebenstraum gefunden: ein Fahrrad! Mit seinem Job als Straßenreiniger versucht er Geld zu sparen, um sich ein tolles Rad leisten zu können. Ihn erwartet die Fahrt seines Lebens.
REULF
Quentin Carnicelli, Jean-François Jego & Charles Klipfel, Frankreich 2010, 4:20 min,
ohne Worte
Wie langweilig ist eine graue Stadt! In diesem beschwingten Musikvideo beschließen bunte kleine Kreaturen, Paris bunt anzupinseln.
ALLEIN IM AUFZUG (ELEVATOR ALONE)
Anastasia Papadopoulou, Griechenland 2021, 4 min, ohne Worte
In einem unbeobachteten Moment in der Nase bohren oder zur Musik aus den Kopfhörern so richtig abtanzen – wer hat das nicht schon mal genossen. Was aber, wenn der Lift plötzlich voll ist?
DAS HAUS (DOMEK)
Veronika Zacharová, Tschechische Republik 2016, 5:30 min, ohne Worte
Eine Familie zieht um. Ihr früheres Haus beschließt daraufhin, dass es seine ehemaligen Bewohner*innen nicht einfach ziehen lassen will, und macht sich auf die Suche nach ihnen. Mit einer roten Visitenkarte als einzigem Hinweis geht die Reise los …
LUCE UND DER FELSEN (LUCE AND THE ROCK)
Britt Raes, Belgien/Frankreich/Niederlande 2022, 13 min, ohne Worte
Die kleine Luce wohnt auf einer Insel mitten im blauen Meer, geborgen im Kreis der anderen Dorfbewohner*innen. Hier geht alles seinen immer gleichen Gang – bis sich eines Nachts ein Felskugelmonster aus dem Berg löst und das Leben durcheinanderbringt. Mutig stellt sich Luce dem schüchternen Ungetüm …