Das das geheime Leben des Archivmaterials – Diskussion zum Nachsehen
Das Kultum ist stets bemüht Themen und Disziplinen miteinander zu verweben, Kontext und Beziehungen herzustellen. Es war also kein Zufall, dass Filmscreening und Diskussion am 12. Oktober im CUBUS stattfanden. Der Ort, an dem von 2. bis 22. Oktober Heinz Trenczaks Werk "3400 Semmeln" gezeigt wird im Rahmen seiner Ausstellungen "Kunst der Flucht. Kunst der Fuge."
Das Publikum war nach dem Screening der beiden Filme "Ceija Stojka" und "Wankostättn" merklich berührt. Karin Bergers Werke ließen wohl ebenso viele Gefühle wie Fragen im Raum entstehen; einige konnten im nachfolgenden Gespräch mit der Regisseurin geklärt werden.
Darunter auch, warum "Wankostättn", entstanden 1997 im Rahmen der Arbeit an "Ceija Stojka", erst 2023 als eigenständiger Film zu sehen ist.
"Die Interviews mit Karli haben mir immer gefallen, aber 1997 hatten sie keinen Platz im Film, an dem ich damals arbeitete. Sie sind mir auch nie aus dem Sinn gegangen. Ich wollte immer einen Film über das Kriegeende und die Befreiung machen, einen über die Gefühle wie Glück, Trauer, Hass, was hat sich in den letzten Wochen, Monaten vor Kriegsende abgespielt. Ja, und dann vergehen die Jahre. Es war immer so viel zu tun", lacht Berger.
Gut, dass sie doch noch Zeit fand, das filmische Portrait von Karl Stojka und seine Erzählungen zu Wankostättn, einem für Rom*nja und Sinti*zze wichtigen Platz in Wien, fertigzustellen.
Welche Mechanismen der Auswahl bei der Arbeit mit Archivmaterial zutage kommen, wurden ebenso besprochen wie der Umgang mit der flüchtigen Erinnerung und dokumentarischem Material.
"Eine der großen Qualitäten von Wankostätten ist, dass man mit Menschen Ort begeht und dessen Erinnerung habhaft wird mit allen emotionalen Qualitäten. Es gibt tolle Momente wie jenen, als Karl Stojka eine Straße nicht überqueren möchte, weil er noch das Kind ist, das diesen Ort nicht betreten durfte, eine Form der habituellen Erinnerung, die sich im Köper verfestigt. So ein Moment ist sprachlich kaum verstellbar.“ - so Dominik Kamalzadeh.
Er spricht an dieser Stelle die Macht des (Bewegt-)Bildes an. Zeithistoriker Traussnig erklärt, dass seine Arbeit in Archiven, hauptsächlich Textdokumente, keineswegs "fad" ist und viele poetische Momente aufweist:
"Biografisch zu arbeiten, heißt immer einen narrativen Bogen mit Lebensgeschichten zu spannen. Sprache ist nicht fad. Die Arbeit mit ihr in Archiven ist nicht nur etwas Knöchernes. Im seriellen Sichten von Infos, da entdecke ich Poetik in den Biografien der Menschen, die Widerstand geleistet haben. Auch die repressiven Bilder, die von den Nazis (wie im Film Ceija Stojka gezeigt) gemacht wurden, die erkenntnisdienstlichen Bilddateien, sind immer auch Spuren zum abgebildeten Menschen."
Ein bewegter Abend mit langen und intensiven Gespräch mit Podiumsgästen und Publikum. Die gesamte Diskussion zum Nachsehen...
Podiumsgäste (Kurzbios)
Karin Berger
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Studium der Ethnologie und Politikwissenschaft.
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Seit 40 Jahren arbeitet sie publizistisch in feministischen und zeitgeschichtlichen Kontexten.
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1984 entsteht im Kollektiv der erste abendfüllende Dokumentarfilm der Regisseurin "Küchengespräche mit Rebellinnen". Es ist einer vielen nachfolgenden Beispielen ihrer Arbeiten, die dem biografischen Erinnern von Frauen gewidmet sind.
Dominik Kamalzadeh
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langjähriger Leiter des Filmressorts derStandard und Filmzeitschrift Kolik.Film
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Kurator mehrerer Filmreihen und Filmfestivals im In- und Ausland wie Crossing Europe, Arsenal in Berlin
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Leitet gemeinsam mit Claudia Salat zusammen ab 2024 die Diagonale
Florian Traussnig
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Autor u.a. von: (2016) Militärischer Widerstand von außen. Österreicher in US-Armee und Kriegsgeheimdienst im Zweiten Weltkrieg / (2020) Die Psychokrieger aus Camp Sharpe – Österreicher als Kampfpropagandisten der US-Armee im Zweiten Weltkrieg
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Am Ludwig Boltzmann Institut für Kriegsfolgenforschung Projektleiter von „‘My job will be rockclimbing‘ – Digitale Kurzbiografien und Datenbank zu Exilösterreichern in der 10. US-Gebirgsdivision des Zweiten Weltkriegs “
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Kurator für Diskurs & Zeitanalyse im KULTUM Graz