Eine weltkirchliche Diagnose im Schatten des Konzils
Das Kulturzentrum bei den Minoriten wurde 1975 mitten in der damaligen Aufbruchszeit des II. Vatikanischen Konzils gegründet. Das Gründungsdatum dieses Kulturzentrums fällt mit der Diagnose von Papst Paul VI. in seiner Enzyklika "Evangelii nuntiandi" zusammen, wo dieser den "Bruch der gegenwärtigen Zeit mit dem Evangelium als zentrales Drama der Epoche" bezeichnet hatte. Das hatte auch die damals junge steirische Diözesanleitung um Bischof Johann Weber und Prälat Johann Reinisch konstatiert (freilich in umgedrehter Reihenfolge als der damalige Papst), indem sie damals fanden, dass "die Kirche den Kontakt zu den zeitgenössischen Künstlern verloren" habe. Im Visier der diözesanen Diagnose waren damals etwa die Künstler des Forum Stadtpark (sic!). Doch von einer Strategie, deshalb ein zeitgenössisches Kunst- und Kulturzentrum zu gründen, war man zu diesem Zeitpunkt wohl noch weit entfernt.
Die "Minoriten" – und ihre "Macht des Ortes"
Ausschlaggebend war vielmehr ein Ort: das damals schon ziemlich heruntergekommene Minoritenkloster in Graz mit seinem für diese Stadt schönsten Barockssaal ("Minoritensaal"), die kurz vor dem Verkauf an ein gegenüberliegendes Großkaufhaus standen, zu retten: Die Diözese übernahm für 34 Jahre die bauliche Verantwortung für das Gebäude (bis 2009). Für diesen Ort fasste Prälat Reinisch den mutigen Entschluss, in ihm für den damals schon aus der Reihe der sog. "wilden Kapläne" stammenden Josef Fink eine Arbeitsstätte für Künstler zu ermöglichen: Das was im Grunde die Gründungserzählung des später im deutschsprachigen Raum einzigartigen Kulturzentrum für zeitgenössische Kunst unter kirchlicher Trägerschaft. (Einige Jahre später (1978) sollte dann auch das Diözesanmuseum an diesem Ort seine Bleibe finden. Es blieb bis 2009, ehe dieses ins Priesterseminar verlegt werden sollte.) Doch die dahinter stehenden größeren Fragen, nämlich dass Kunst und Kirche in der Moderne oft gebrochene und unversöhnliche Wege gingen, waren somit ein zentrales Grundnarrativs "der Minoriten", wie das Kulturzentrum im Grazer Medien- und Volksjargon immer genannt wurde – bis 2009.
Die Gründungsurkunde, (die es damals niemals gab – erst Bischof Egon Kapellari errichtete das Kulturzentrum bei den Minoriten als eigenständige Rechtspersönlichkeit), war lediglich ein Satz von Bischof Johann Weber (1927–2020), Bischof von Graz-Seckau von 1969–2001, am 5. November 1975 an den damaligen jungen Kaplan Josef Fink, "neben der Schwesternseelsorge (!) sich auch um Künstler zu kümmern". Somit war Fink der erste (und einzige) "Künstlerseelsorger" – ein Amt, das es in anderen deutschsprachigen Diözesen bis heute gibt. Dieser war bereits in den 1960er Jahren als hervorragender Holzschneider biblischer Themen, Künstler und leidenschaftlicher Reformer im Sinne des jüngsten Konzils aufgefallen, für das er Zeit seines Lebens unermüdlich kämpfte. (Als in Österreich Mitte der 1990er Jahr kirchenpolitisch mit den Bischofsernennungen von Groer, Eder etc... die Neo-Restaurationswelle angelaufen war, war denn auch das Kulturzentrum bei den Minoriten die Anlaufstelle für das "Kirchenvolksbegehren" in der Steiermark.) Ein Jahr lang (1968) durfte der junge Fink – schon als Geistlicher – auch an der Akademie der Bildenden Künste in Wien studieren. Bereits 1975 leitete er noch als Kaplan von Kalvarienberg die ersten Malerwochen, die er später zu seinen legendären Künstlerklausuren ausbaute. Eng sollte die Verbindung zum Bildungshaus Mariatrost unter der Leitung von Karl Kalcic, Karl Mittlinger und Martin Gutl werden; diesem bis 2019 existierenden Bildungshaus gestaltete Fink auch die erste Kapelle aus.
Ein Duo stellt sich dem “Gespräch der Feinde“
Von 1975 bis 1999 sollte der als Rektor des Kulturzentrums bei den Minoriten legendär gewordene Josef Fink (1941–1999) mit Harald Seuter (1941–2016) als „weltlichem Leiter“ (bis 1997) diesem Haus vorstehen. Das kreative Duo entwickelte mit den Schwerpunkten Galerie, Diskurs, Theater und Gesellschaftskritik in den 1970er und 1980er Jahren „die Minoriten“ als einen „Ort des Widerstands“. Als „linksintellektueller protestantischer Querkopf“ verlieh Seuter mit dem katholischen Priester, Dichter und Maler Josef Fink diesem Haus bis hinein in die Mitte der 1990er Jahre seine für das Grazer Kulturleben unverwechselbare Prägung. Als Theatermann und Organisator zahlreicher Symposien und Musikveranstaltungen legte Seuter den Grundstein für die spätere Mehrspartigkeit des Kulturzentrums. Er sprach von der „Macht des Ortes“, längst bevor das Nützlichkeits- und Optimierungsdenken in Gesellschaft wie Kirche einzog. Die legendären Künstlerklausuren Josef Finks im oststeirischen Poppendorf, aber auch mehrmals in Israel vermochten es, viele Kunstschaffende für ein zu bearbeitendes religiösen Thema zu begeistern: „Himmlisches Jerusalem“ (die posthum ausgerichtete Gedächtnisausstellung), ,“Gott“, „Israel – Land der Verheißung“ waren etwa derartige Themen. Fink sah sich in der Nachfolge Otto Mauers als leidenschaftlicher Kämpfer für das Verhältnis von „Kunst und Kirche“. Er war Priester, Maler, Poet, Kolumnist, Drehbuchautor. Er war im nachkonziliaren Milieu der steirischen Kirche „wie eine helle Brandung“ (So lautete die von Johannes Rauchenberger und Roman Grabner herausgegebene Publikation zu seinem künstlerischen Werk anlässlich seines 10. Todestages.)
Neue Kunstsparten
Der Aufbaugeneration der beiden Gründungsväter folgte die nächste – wobei da vor allem die beiden jungen Mitarbeiterinnnen der beiden „Leiter“, Ute Pinter und Birgit Pölzl, zu nennen sind: Sie legten weitere Grundsteine dafür, aus der Üppigkeit der Programmvielfalt ein „Mehrspartenhaus“ zu entwickeln.
Die Sparte Galerie wurde in der Mitte der 1990er Jahren mit der zunehmend sichtbar gewordenen Krankheit Finks – ihm wurden aufgrund einer langjährigen Diabetes-Krankheit in den letzten Jahren beide Beide ambutiert – von Ute Pinter betreut. Sie verlieh den „Minoriten-Galerien“ mit ihren kuratierten Einzelausstellungen ein zunehmend jüngeres Profil. Nach dem Ausscheiden Pinters, die nach Wien zur „Jeunesse“ wechselte, übernahm Johannes Rauchenberger ab 1999 das Galerienprogramm, das er bis heute kuratiert.
Ute Pinter baute (bis 1998) auch die Sparte „Neue Musik“ sowie die Experimental-Filmreihe „strange movies“ auf. Während letztere leider nicht weitergeführt werden konnte – Ende der Nuller Jahre wurde kurzfristig eine Experimentalfilmreihe mit Ruth Anderwald+Leonhard Grond gestaltet – übernahm ab 2000 der junge Komponist Florian Geßler die Sparte „Neue Musik“, der sie erfolgreich mit Porträtkonzerten profilierte. Ihm folgten die Komponisten Christian Klein, Daniel Mayer und Christoph Renhart, der das Neue-Musik-Programm derzeit gestaltet.
Das Erbe von Harald Seuter war vor allem Gesellschaftsdiskurs und -kritik, sowie Theater und Tanztheater, das damals vor allem im Minoritensaal möglich war. Nach seinem Ausscheiden als „weltlicher Leiter“ des Kulturzentrums bei den Minoriten im Jahre 1997 übernahm die junge Germanistin Birgit Pölzl „Tanz“ und „Wissenschaft“, die sie 1998 wiederum an den zum Team gestoßenen Johannes Rauchenberger weiterreichte. Nach zwei „Internationalen Tanztheaterfestivals“ im barocken Minoritensaal gab Rauchenberger die Sparte an die Kuratorin Eva Brunner ab, gefolgt von Eveline Koberg (ab 2004), die mit „tanzschrittweise“ der Sparte wiederum über viele Jahre ein besonderes Profil verlieh, indem sie die Tanzszene aus den ehemaligen Ostblockländern mit der Grazer Tanzszene in Form eines kleinen Festivals verwob. Das enge Gesamtbudget des Kulturzentrums sowie die restriktiven Vorgaben in der Bespielung des barocken Minoritensaals machten es unmöglich, ab 2014 das Ressort weiterzuführen.
„Wissenschaft“ wurde von Johannes Rauchenberger in „Zeitanalyse und Religion“ umgewandelt, wo in der Folge Buchpräsentationen, Vorträge und – wiederum als Folge des Kulturhauptstadtjahres – die „Wissenschaftsgespräche bei den Minoriten“ installiert wurden. „Puzzle Mensch“ machte den Anfang, gefolgt von „Puzzle Zukunft“, „Wissenschaften – Machenschaften“, „Schubumkehr! Rückbau als Vision“ etc… Eng war in den Nuller Jahren auch die Verbindung mit der Akademie Graz unter Emil Breisach, wo in der Reihe „Im Brennpunkt“ (gemeinsam mit der Urania) regelmäßig gesellschaftsanalytische Themen mit herausragenden ReferentInnen behandelt wurden.
Die Sparte „Theater“ schließlich, das letzte Erbe Seuters, wurde anfänglich unter Birgit Pölzl (und kurz unter Johannes Rauchenberger) als Sprechtheater weitergeführt, ehe die Theologin und Germanistin Edith Zeier-Draxl übernahm. Sie führte in einigen Stücken Regie, entwickelte die Sparte mehr und mehr als „Theater für Kinder“ weiter. Nach ihrem Ausscheiden im Jahre 2005 übernahm Barbara Rauchenberger die Sparte, die ein spezielles Profil für diese Zielgruppe entwickelte. Höhepunkte waren sogenannte „Eigenproduktionen“ wie „Die große Nacht – Weihnachtsoratorium für Kinder“, „Messias“ oder „Elsas Nacht“. Auch eine Schiene für Kunst für Junge Augen wurde in dieser Zeit aufgebaut. Das beliebte PIXI-Buch, ein Miniprogrammbuch mit kunstvoll gestalteten Illustrationen von Christine Kastl, gehen auf die Initiative Barbara Rauchenbergers zurück. Für kurze Zeit war sie Mitte der Nuller Jahre auch Leiterin der Jeunesse – Geschäftsstelle Graz. Sie leitete die Schiene bis 2014, ehe Johanna Frank-Stabinger (bis 2019) übernahm, gefolgt von Kathrin Kapeundl, die die Schiene „Junges Publikum“ seit 2020 gestaltet.
Neu war ab 1995 für das Kulturzentrum die Sparte „Literatur bei den Minoriten“ hinzugekommen, die die promovierte Germanistin Birgit Pölzl ab Mitte der 1990er Jahre aufbaute. Sie entwickelte dieses Ressort zu einer Institution für das Grazer Literaturleben – lange bevor etwa das Grazer Literaturhaus (mit ganz anderen Budgetmitteln) existierte. Das im Kulturhauptstadtjahr als Protestveranstaltung entstandene „Lesefest. Neue Texte“, die Schiene „Literatur vor Ort“, „Literatur Ost:West“, „Spoken Poetry“ mit der ersten Grazer SlamerInnenszene, „freiSchreiben. Literatur und Widerstand“ sowie die mit Schreibaufträgen versehenen „Mehrspartenprojekte“ waren die inhaltlichen Hauptlinien ihrer kuratorischen Arbeit als Ressortleiterin im Kulturzentrum bei den Minoriten bis zu ihrer Pensionierung 2019.
Leitungswechsel zum Millenium
Nach dem plötzlichen Tod von Josef Fink (+ 29.11.1999) wurde der erst 30-jährige Theologe und Kunsthistoriker Dr. Johannes Rauchenberger, von Fink quasi als „Nachfolger“ installiert, Leiter des Kulturzentrums bei den Minoriten. Rechtlich über viele Jahre freilich nur „provisorischer Leiter“: Für ein Dekret reichte es ob der Hektik jener Tage. Ein Dekret gab es auch später nicht, man hatte den Status mehr oder weniger aus den Augen verloren. Dafür eine Freiheit ungeahnten Maßes in der Programmgestaltung! Kein Kuratorium, kein Aufsichtsrat, nur ein Beirat – nicht ein Kontrollorgan – wurde ihm beigestellt. Besetzt von namhaften VertreterInnen des Grazer Kulturlebens mit Schnittstelle zur katholischen Kirche wurde dieser acht Jahre lang von Dr. Harald Baloch geleitet, gefolgt von Dr. Alfred Tschandl, der bis heute hochgeschätzter Vorsitzender dieses Gremiums ist. Mit der Installierung von Bischofsvikaren war anfänglich Prälat Dr. Willibald Rodler Mitglied dieses Beirats, gefolgt von Prälat Dr. Heinrich Schnuderl. Mit der diözesanen Strukturreform durch Bischof Dr. Wilhelm Krautwaschl ist der neue Leiter des „Ressorts Bildung Kunst und Kultur“, Walter Prügger, der höchste Vertreter in diesem Gremium als Schnittstelle zur Diözese. Gleichzeitig wurde das Kulturzentrum bei den Minoriten Teil dieses neu geschaffenen Ressorts.
Johannes Rauchenberger, der in Kunstgeschichte bei Prof. Wilfried Skreiner diplomiert und im Fachbereich Fundamentaltheologie bei Prof. Gerhard Larcher promoviert hatte, hatte kurz vor dem Abschluss seiner Dissertation 1997 als noch sehr junger Kurator die Ausstellung „entgegen. ReligionGedächtnisKörper“ (mit Alois Kölbl und Erich Witschke) – eine internationale Großausstellung im Grazer Kulturhaus und an Orten der Altstadt anlässlich der II. Europäischen Ökumenischen Versammlung in Kooperation mit dem Kulturzentrum bei den Minoriten – hauptverantwortet. Gleichzeitig war ihm als Stipendiat des Deutschen Akademischen Austauschdienstes zeitgleich eine Assistentenstelle an der Bildtheologischen Arbeitsstelle der Universität zu Köln bei Prof. Dr. Alex Stock angeboten worden, sodass er fünf Jahre lang zwischen Köln und Graz in seinen Arbeitsstellen pendelte. Doch die Arbeit in Köln sollte ihn in seinem inhaltlichen Denken entscheidend prägen. Geschult an den „theologischen Kunsttheorien zu den Positionen der Moderne“ stellte er sich mit Alex Stock immer wieder die Frage, was es für die Religion bedeutet, wenn sie kulturell nicht mehr produktiv ist bzw. „auf der Höhe der Zeit“ ist. Daraus entstand zunächst die von Stock bereits maßgeblich begleitete Dissertation mit dem Untertitel „Kunst – Raum theologischer Erkenntnis“, später das Monumentalwerk „Gott hat kein Museum. Religion in der Kunst des beginnenden XXI. Jahrhunderts“. Dass Ausstellungen theoriebildend sein können, hatte Johannes Rauchenberger von Stock in dessen Analysen von Ausstellungen wie „Zeichen des Glaubens – Geist der Avantgarde“ oder „GegenwartEwigkeit. Spuren des Tranzendenten in der Kunst unserer Zeit“, beide von Prof. Wieland Schmied kuratiert, der später auch mehrmals im Kulturzentrum zu Gast sein sollte.