Doppelte Gäste: Ursula Krechel und Daniela Danz
WER SPRICHT, WER SCHREIBT?
Zum Gedichtband „Beileibe und Zumute“ von Ursula Krechel
Der Denkende kommt zu spät, wenn er sagt: Ich denke/dachte ich, oder das Denken hat ihm einen Streich gespielt (…) Das ist kein Satz, der sagt: „Zieh deinen Kopf ein“. Das ist kein Urteil, sondern ein Bekenntnis, eine Zugabe, ein überzeugender Einwand. Die Geburt der Sprache ist, wie das Hervorbringen eines Fohlens: Zunge, die leckt – dass etwas geschieht. Wenn aus Verstand Verständnis wird und Können Stolpern heißt. Wer käme hier nicht zu spät. Und ich frage mich: Ist Ursula Krechels Sprache nicht unentwegt zu spät und deshalb pünktlich, ja genau am Punkt, eben weil sie schreibt: Siehe: Die Sprache balanciert auf hochgespanntem Seil, stürzt ab/wenn sie herunterblickt auf den Gegenstand, über den sie spricht? Der Punkt der Sprache sind die Arme der Dinge und ich denke mir die Arme der Dinge offen. Und am Seil, dort oben, gibt es kein Zu-spät-Sein, dort oben ist das Spät-Sein zu Hause. Ursula Krechels Sprache ist selbst wie ein Seil und das Seil ist ja keines, das vom Himmel fällt. Und ein Seil ist zumeist dicker als eine Leine und dünner als ein Tau, ist wörtlich eigentlich das, was verbindet. Ich meine, es verbindet, also es kümmert sich um das Einzelne, aber es verbindet auch einen mit einer und vielen. Diese Sprache ist immer hochaktuell, eben wie dieses hochgespannte Seil. Vielleicht wie eine Gerade, also mit offenem Anfang und offenem Ende. Und der Balanceakt, das Schreiben, kommt und geht vor dem Fall und nach dem Fall kommt das abermalige Aufschreiben. Oder wie es im letzten Text dieses Gedichtbandes heißt: Die Sprache ist eine Mulde, Wasser sammelt sich in ihr, Worte brüten. Sie ist kein Tunnel, der von hier nach dort führt.
Diese Sprache stellt sich, ich meine, Ursula Krechel stellt sich der bedrängenden Wirklichkeit, dem eigenen Ich. Sie schneidet ein Seil in die Luft und bewegt sich, grenzt an Grenzen, ich meine, sie findet einen bleibenden Rhythmus, ein Paradoxon, wie ein Versprechen: Beinahe also ein Wunder! Dieser Gedichtband versammelt 62 Gedichte, darunter zwei große Zyklen mit jeweils mehr als zehn Gedichten, die alle dicht verfugt und verzahnt sind, lang – aber auch kurzzeilig, stets Gedanke und Laut miteinander verwebend. Diese Sprache arbeitet, bis es dicht wird und spürbar und einleuchtend zugleich, bis die Geister, Gespenster, Stimmen, Blasen und Tränen der Gegenwart sich zeigen, weil: Erkenntnis ist nach wie vor möglich, auch wenn es an anderer Stelle heißt: genau genommen wissen wir wenig/oder nur was zum einen Ohr reingeht/und durch die Dunstabzugshaube raus.
Und daher weht er, dieser Krechelsche Trost, der die Sprache stürmt und den Lesenden anhaucht, wenn dieser nur bereit ist, mit dem Finger Zeile für Zeile zu lesen. Krechels Ton ist innen hell und außen genau. Der Schalk sitzt im Nacken der Wirklichkeit. Der Schalk ist ein Seiltänzer und irgendwie scheint er darüber der Heilfrohe zu sein, einer kleinen Bärin nicht unähnlich. Jedenfalls ist es ein denkbar großes Wunder, wie weit sie sich entfernt hat von all den Tanzbären unter dem Himmels-Zelt.
Barbara Rauchenberger
SCHNEIEN BIS DIE WELT VORBEI IST
Zum Gedichtband „Wildniß“ von Daniela Danz
Wir haben noch einen Vorrat an Wildnis. Ich meine, wir stehen noch unter wachsendem Verdacht. Die natürlichste Beute der Welt, nenne sie Wildnis. Hier das Irrsal der Gegenwart, diese Wildnis, die die deutsche Lyrikerin Daniela Danz mit „ß“ schreibt (So steht es am Cover ihres Buches!). Gewagt ist das natürlich, auch eigensinnig, das so zu schreiben, aber sie holt damit eine Schreibweise, wie sie im späten 18., frühen 19. Jahrhundert verwendet wurde, mit ins Boot, und damit Hölderlin, der sich vor allem in seinen späten Gedichten gegen diese, seine Wildniß (Nahe am Wort Biss gebaut!) absichern musste. Er versuchte zu überwinden, was für ihn Bedrohung war in einer Zeit, in der das Paradies und die Wildnis noch ein Bild und eine Verheißung waren. Daher dieser Hölderlingrund, aus dem viele dieser Gedichte emporragen, wie Grüntürme an einem Wasserfall oder entlang einer künstlichen Treppe. Und dennoch steht das Wort Wildnis im Inneren des Buches stets richtig geschrieben, wenn es heißt: KOMM WILDNIS IN UNSERE
HÄUSER/zerbrich die Fenster komm/mit deinen Wurzeln und Würmern (…). Oder an einer anderen Stelle, wenn die Dichterin von der Wildnis der Rede spricht: (…) die Rede verirrt sich irrt umher/sie redet in Strömen (…). Ein ganzes Kapitel mit über zehn Gedichten widmet sie der sprechenden Wildnis, in deren wuchernden Strudel auch diese, unsere Krise gerät: die Wildnis der Pause (LOCKDOWN!) oder aber sie besingt den Punkt, der die Welt aus den Angeln hebt, dort, wo einer sich selbst vorausging und nun dem eigenen Rücken nachgeht, dort, wo einer fortgeht in das Innere einer Not. Hier also wird der Punkt zur Notwendigkeit und die Not zum springenden Punkt.
Ich erschrecke darüber, wie diese Dichterin wagt zu denken, mit welchen Umwandlungen sie es aufnimmt, wie sie, was ohnehin bereits eine glasklare Katastrophe ist, diese weiterwendet. Diese Gedichte wagen eine doppelte Wende, manchmal wird daraus beinahe ein Wiegen, ein Ein- und Ausatmen, Einsicht und Begehren, nie aber „a gmahde Wiesn“. Ich frage mich also, singt diese Dichterin, wenn sie schreibt, weiß sie Bescheid? Verfügt sie gar über eine andere Medizin? Über eine, die auch Inger Christensen zu Verfügung stand: „eine sprache/die erzählt/daß der körper/die toten/erwecken kann/wie/eine sprache/die erzählt/daß liebkosungen/die toten/erwecken können (...)“. Bei Daniela Danz klingen die Gebrechen: (…) du setzt die Nacht auf/und welkes Gras fällt dir in die Stirn/ (…) du hast die Stunden ausgezogen und wieder/angezogen und in die Maschine gesteckt/man kann sie getrost noch einmal nehmen:/ein kleiner Vorrat fast nicht benutzter Tage. Ich bin selten auf einen Gedichtband gestoßen, der in dieser Art und Weise unentwegt schlüssig war.
Barbara Rauchenberger