Doppelte Gäste: Kirstin Schwab und Julia Costa
Die Lesung vom 18. April 2023 hier zum Nachhören
Mit ihrem dritten Lyrikband WIR TEILEN UNSER UNGLEICHGEWICHT (2023, Löcker) hat Kirstin Schwab abermals einen wortspielreichen Band vorgelegt, der zum Wippen, Zappeln, Tänzeln einlädt; der einlädt, die Augen zu reiben und die unerwarteten Tiefen des Wahrnehmens zu beforschen; Wort für Wort, Zeile für Zeile, an der Grenze dessen, was Sprache freizugeben und festzuhalten vermag, balancierend. Und es scheint, als ob Schwab, wenn sie zum Stift greift, so etwas wie ein Augenblicksstäbchen zu fassen bekommt: Wie sie dann kichert und sieht, dass ihr der Hofnarr aus ihrem Königinnenhaupt lugt. Die Frage, wie viele Dichtchen sie denn aus dem Ärmel schleudern würde, wenn sie den ganzen, guten Tag nur so würschelt oder doch wurschtelt … Und sich immer wieder den Befehl erteilt, sich selbst zu überraschen. Auch dort noch, wo bei aller Teilung das Ungleichgewicht bestehen bleibt, wie in dem Gedicht „-sicher?“: die Gewissheit stürzt mich/lasse die Glassplitter/den Besen gegen den Herd/gehe/die löchrigen Häuserzähne/hinter mir/immer kleiner/klein krieche ich/in den Keller/hoffe auf Minuten/schlafe in Minuten/der sicherste Ort/in mir/heute/hat er mich verloren. (2022, Kriegsbeginn in der Ukraine)“
Julia Costas Debütband „hier“, soeben bei edition keiper erschienen, verwendet, verglichen mit den sprachräumlichen und sprachzeitlichen Punktlandungen der Schwabgedichte, die Sprache als treibende Kraft, die Raum und Zeit bewegt, stets in Richtung Herz. Klar und hellhörig ist diese Sprache. Sie zeigt sich unbelastet, tief und weich zugleich, wenn Costa ihr umfangreiches Gedicht „hier“ aufschlägt und von der Ankunft eines Flüchtlings erzählt, von seinem allmählichen Fußfassen im Lauf eines Jahres (alle Monate sind mit alten, gebräuchlichen Monatsbezeichnungen überschrieben) an einem ihm oder ihr vorerst noch recht befremdlichen Ort. Diesen Ort, der sich „hier“ nennt, zeigt Costa, wenngleich sehr „zugeschnitten“, immer auch als einen „Ort unser“, denn: hier/hier ist das Leben. Und schafft damit, so etwas wie „das große Ganze“ zurückzuerobern.
Barbara Rauchenberger