Doppelte Gäste: Tim Holland und Saskia Warzecha
Was Tim Holland beschreibt, ist trotz aller Emphase, immer auch Groteske, Harlekinade, surreale Maskerade und, so der Kritiker Hendrik Jackson, „dissoziiert seine Rede in tausend kleine Splitter, die zwar von dieser zwackenden pathetischen Anrufung zusammengehalten werden, vom Manifestcharakter und dem luziden Tonfall – aber thematisch auseinanderfliegen, virtuos bis plakativ, philosophisch bis lakonisch: „jede verantwortung lehne ich ab. (…) ich schlafe wie raureif vor dem morgen.“
Die Landschaft in diesem Langgedicht ist in Bewegung, der Boden unter den Füßen nicht sicher, alle paar Schritte, alle paar Seiten gerät etwas ins Rollen, was nicht mehr aufzuhalten ist.
Die Frage „wann waren wir zuletzt winter gewesen?“ impliziert etwas, was wir schon lange wissen, und Tim Holland antwortet mit einem Trotzgesang, einer Hymne der Wellen, einem poetischen Manifest, mit Berichten von Heimlichtuereien und Notizen zu neuen Wesen.
Die Gedichte der deutschen Lyrikerin Saskia Warzecha sind, lässt man sich einmal auf sie ein, was Gedichte seit jeher sind: Annäherungen, sprachliche Kontaktversuche, hochgradig verdichtete Suchbewegungen nach einem Ort in der Welt.
Ihre Gedichte sind, was ihr Debütband „APPROXIMANTEN“ etymologisch unterm Herzen trägt, Annäherungen: approximare heißt übersetzt „sich nähern“. In vier Gedichtzyklen geht sie der Frage nach, wie es möglich ist, sich einem Gegenstand, einer Person oder einer Welterfahrung inhaltlich und sprachlich anzunähern.
Doch sie rüttelt weiter an festgefahrenen Einstellungen, entspinnt in ihrem zweiten Lyrikband FARBLEIB, der im August 2024 (Matthes & Seitz Berlin) erscheinen wird, ein Langgedicht in sechzig Augenblicken, spürt Harmonie auf, wo zuvor Ordnung regierte, fächert die Dimensionen aus, dehnt und verschleift sie, bis einem schwindlig wird. Die Frage, wo oben ist, wo unten, wann jetzt ist und wann dann, weicht einer Poetik der Öffnung, die berührt, ohne besitzen zu wollen, die sich nähert, ohne Land zu nehmen. Diese Welt, die so entsteht, mit dem rätselhaften Farbleib, dem Zögling, dem Haus, ist es, in der man gerne leben möchte.
(Barbara Rauchenberger)