Doppelte Gäste: Elke Laznia und Olga Martynova
Zustimmung erforderlich!Bitte akzeptieren Sie Cookies von Youtube und laden Sie die Seite neu, um diesen Inhalt sehen zu können.
Mitschnitt der Lesung vom 15.11.2024
einer sollte die Blätter/von deinem Kalender reißen/wenn die Tage vergehen
(Elke Laznia)
Abschied nehmen von einem geliebten Menschen, sich mit seinem langsamen Verschwinden befassen, dem Sterben eine Sprache geben – das steht im Zentrum von Elke Laznias „fischgrätentage“ (müry salzmann, 2024): „wir kennen die Eigennamen der / Gesichter und Gesten von heute (…) müssen aber Worte finden für das / Ende das Sterben artikulieren / den Tod aussprechen zu Beginn“. Elke Laznias Sprache ist rhythmisch und musikalisch, sie findet unerwartete und eindrückliche Bilder und füllt so eine Lücke für das, was wir im Alltag oft nur schwer beschreiben können.
Mit wenigen Strichen evoziert sie ein facettenreiches Familientableau und erkundet in ihren Gedichten das Nebeneinander von zärtlicher Nähe und alten Verletzungen, die im Zwischenmenschlichen hausen. Auch liebevolle Pflege und der Ekel vor körperlichem Verfall schließen einander in Elka Laznias lyrischen Erkundungen keinesfalls aus. Selten wurde das schwierige Thema, eine nahestehende Person zu pflegen, das lange Abschiednehmen, die Trauer der Nachkommen und die familiären Verwerfungen, die das Beisammensein zutage fördert, so empathisch und vorurteilsfrei in eine Sprache gesetzt, bei der jedes Wort sitzt und jedes Bild nachwirkt. Und bei all dem finden die Gedichte auch Raum für hoffnungsfrohe Erinnerungen und singen eine Ode an das Leben.
Die Lebenden sind weg,/selbst die Bussarde./Nur ich bin da und die Weinstöcke/und du und Heinrich von Kleist.
(Olga Martynova)
Auch Olga Martynovas Gedichtband „Such nach dem Namen des Windes“ (S. Fischer, 2024) tastet sich über den Rand des Lebendigen hinaus und eröffnet mit der literarischen Tradition einen orphischen Raum für Trauer und Verlust, Krieg und Befragung, Wut und Bewunderung. Sie legt ein zutiefst berührendes dichterisches Zeugnis ab, nicht zuletzt, weil es ihr erster Gedichtband ist, den sie nach dem Tod ihres Mannes Oleg Jurjew, nicht mehr in russischer Sprache schrieb.
Herzzerreißend sind diese Begegnungen und reichen von nacktem rohem Schmerz bis zu sublimierter Verarbeitung von Trauerbewältigung und Trost. „Wir waren einander Mond und Sterne, Wein und Brot, Erde und Feuer, Wasser und Luft, Glatteis und Rad, Minuten und Zifferblatt, Regen und Wurm, Fliegen und Frösche, Bau-, Gold- und Jauchegruben, Funktürme und Turmfalken, Ekzem und Balsam, Krähe und Aug, Durst und Suff, U-Bahnen und Eselsbrücken. Es gebe all das nicht mehr, wollte ich sagen, aber alles ist komischerweise noch da, voneinander getrennt, doch ineinander verfangen (wie wir jetzt), todsicher beides.“
Unermüdlich klopfen ihre Gedichte die Welt ab auf der Suche nach Überbleibseln, Abbildern, Wiedergängern und Reinkarnationen, stellen existentielle Fragen nach dem, was bleibt. Wach, geduldig und ohne Erwartungen will dieser Band gelesen werden. Dann wird er zum großen Leseglück und zu einer wahren Erweiterung im Labyrinth des Lebens.