Unterbringung von Unendlichkeit: BLUMENBERGTAGE 2022
Wer ihn sehen will, muss ihn lesen, diese Bemerkung des ehemaligen Hanser-Verlagsleiters Michael Krüger hat vielleicht gerade erst nach dem Tod des Philosophen seine ganze Wahrheit entfaltet. Und vielleicht ist es leichter, wenn es auch großer geistiger Mühe bedarf, ihn zwischen den Zeilen seiner unzähligen Werke anzutreffen, als es zu Lebzeiten gewesen war, ihn leibhaftig anzutreffen. Hans Blumenberg fasziniert durch seine enorme thematische Breite und eine schwer zu überbietende Wissensfülle auf den Gebieten der Geschichte, der Literatur, der Theologie, Astrologie und der Philosophie. Dennoch sind seine Bücher selten in einem Atemgang zu lesen oder gar zu verstehen. Er verlangt dem Leser, der Leserin, ein Höchstmaß an „bereitwilliger Intelligenz“, ein Höchstmaß an „geistiger Wahrnehmung“ ab, denn Hans Blumenberg bediente sich zeitlebens nicht so sehr der Form des Beweises als der Form zu überzeugen. Absicht und These liegen am Weg. Blumenberg selbst spricht vom „Wühlergeist“: „Der Geist weht nicht, wo und wohin er will – (…), sondern er wühlt (…) geweht wird in der Luft, gewühlt wird im Boden (…).“
So schwierig es auch ist, in der Vielfalt seiner Bücher, Schriften und Studien eine einheitliche philosophische Strömung zu erkennen, so deutlich ist doch ein zweiteiliger Grundgedanke, der sein gesamtes Werk durchzieht. Die Übermächtigkeit der Wirklichkeit und der menschliche Akt, sich diese vom Leib zu halten. Last und Distanz, Absolutismus und Abstand bilden die magnetischen Pole seines Denkens. Ein Versuch zu begreifen, woran wir sind und die einzig legitime Möglichkeit des Menschen sich zu behaupten, in dem er sich in Nachdenklichkeit übt, hieße also: „Es bleibt nicht alles so selbstverständlich, wie es war. Das ist alles.“
Die ersten Blumenbergtage widmen sich nun dem, wohl wissend, wir sind nicht die ersten auf der Blumenwiese.
Aber jeder Frühling, jeder Sommer ist einmalig und verführt zu Blumen(berg)spielen.
(Wenn gleich es bereits Ende September ist.)
Barbara Rauchenberger
LESUNGEN: Lucas Cejpek + Hanno Millesi
Wir haben die beiden Wiener Autoren Lucas Cejpek und Hanno Millesi um Texte zu Hans Blumenbergs Metapher von der Lesbarkeit der Welt gebeten. Auf die Frage, was für ihn das vollkommene irdische Glück sei, hat Hans Blumenberg in einem F.A.Z. Interview am 4. Juni 1982 geantwortet: „Sagen zu können, was ich sehe.“ Es scheint, als würde der Umfang seiner Bücher auf einen glücklichen Zustand verweisen. Der Eindruck lässt sich zumindest nicht gänzlich von der Hand weisen, wenn gleich der Hand des Philosophen nichts mehr entfallen kann, was wir auflesen könnten. Was also (noch) lesen, bar jeder Aussicht auf Hilfe?
Cejpek widmet seinen Text der „Unterbringung von Unendlichkeit“ und unternimmt gefasst, wie gewohnt souverän, einen literarisch-essayistischen Versuch „möglichst viel“ Blumenberg zu verstauen in einem Zeitraum, in dem nicht nur eine gewichtige Bibliothek und ein Basteltisch für Leibniz steht, sondern auch ein banales Fernsehgerät.
Und Cejpeks Belesenheit schlägt Funken!
Gänzlich anders der Text von Hanno Millesi, der aufgrund eines ungeplant gekauften Kombitickets in der Hand nach einem Museumsbesuch einen weiteren anschließt. Ganz offensichtlich ist es das Kunsthistorische Museum. In einer als absurd geschilderten Begegnung mit dem Aufseher, dem die sprachliche Kommunikation mit seinem neuen Besucher nicht gelingt, wird er unvermutet eines Rollstuhls zuteil, in ihn versetzt, in die erste Etage gebracht und so durch die Sammlung gefahren. Vom Rollstuhl aus sehen die Bilder anders aus. Der Autor nimmt uns auf eine ganz spezielle Museumstour mit, in der er über die christlichen Bildthemen sinniert. Sie endet beim Sündenfall und die Erzählung nimmt eine abrupte Wendung ....
Barbara Rauchenberger
Mitschnitt der Lesungen und der Uraufführugen der ersten Blumentage im KULTUM, 29. September 2022
URAUFFÜHRUNGEN: Benedikt Alphart, Alyssa Aska und Henrik Leonard Erdödy
Ausgangspunkt für die neuen Stücke ist ein ebenfalls vom KULTUM in Auftrag gegebener Text von Lucas Cejpek, Unterbringung von Unendlichkeit. Den instrumentalen Rahmen für die neuen Werke bildet ein Ensemble aus Saxophon (Diego Garcia Pliego), Akkordeon (Filip Novakovic) und Elektronik (Benedikt Alphart).
Alle beteiligten Musiker*innen haben an der Grazer Kunstuniversität studiert und sich im Zuge ihres Studiums im Bereich Neue Musik spezialisiert. Henrik Leonard Erdödys Interessensschwerpunkt ist neben Komposition auch ganz zentral das wissenschaftliche Metier der Musiktheorie. Darüber hinaus befasste er sich in seinen Studien intensiv mit Philosophie. Alyssa Aska trat als Komponistin gleichermaßen im klassischen Feld der Instrumentalmusik hervor – ihre Werke werden regelmäßig in vielen Ländern aufgeführt, etwa bei den Darmstädter Ferienkursen, bei Wien modern oder beim Microtonal Festival Prague – wie auch im Bereich Computermusik. Sie studierte letzteres bei Marko Ciciliani am Institut für Elektronische Musik und Akustik an der Kunstuni Graz (IEM) und befasst sich insbesondere mit dem Thema Gamified Works. Ebenfalls Computermusik am IEM studierte Benedikt Alphart, der am 29. September auch für die Klangregie verantwortlich zeichnet, neben instrumentaler Komposition in der Klasse von Richard Dünser. Sein Monodram „Die Fähre nach Ingeborg Bachmann“ kam letztes Jahr im Wiener Musikverein durch das Ensemble Kontrapunkte zur Uraufführung, darüber hinaus gewann er bei den Ersten Tagen der neuen Klaviermusik Graz den Kompositionspreis für das beste Klavierstück, welches das Spiel im Innenraum des Instruments mit einbezieht.
Christoph Renhart
DISKURS-BRUNCH: Rüdiger Zill + Aglaia Kister
Wie bekommt man Zugriff auf einen – das Pathos ist hier durchaus angebracht – großen Geist, einen „bibliophilen Allesfresser“ (Rüdiger Zill), einen vor dem „Meer der Metaphern“ (Maria Behre) stehenden und in ihm schwimmenden Denker, wie es Hans Blumenberg einer war? Wie pirscht man sich an das Werk dieses auratischen Philosophen, Metaphorologen und obsessiven Lesers am besten heran? Stimmt man Nietzsche zu, dann gelingt die Annäherung an das „philosophische System“ eines solchen Denkers am besten, wenn man drei griffige Anekdoten aus seinem Werk herausdestilliert. Ist das so? Blumenberg selbst, der nicht als Troglodyt in einer Bücherhöhle auf die Welt gekommen, sondern sich mitunter als kaufmännischer Angestellter und Hilfsarbeiter verdingt hat, stellte in der Tat seinem abenteuerlich ausfransenden, teils auch sperrig formulierten, aber stets anschaulich-bildhaften Nachdenken über die Welt gerne eines voran: die Lebenswelt, die Anekdote, die kleine, aus der Erfahrung gespeiste Erzählung.
„Hans Blumenbergs Leben und sein Werk sind kein monolithisches Ganzes, sondern das Protokoll eines Wegs mit vielen Stationen, auch mit Ab- und Umwegen. Am Anfang stand der Zeitdiagnostiker, der den Geist der Zeit gegen das nihilistische Grundgefühl einfangen wollte, dann kam der Philosophiehistoriker, der die Menschheitsgeschichte als eine intellektueller und emotionaler Selbstbehauptung rekonstruierte, der Wissenschafts- und Techniktheoretiker, der sich gegen die Vorstellung der Apokalypse stemmte, der Anthropologe, der den Menschen als ein Distanzwesen feierte, schließlich auch der Apologet der Umwege selbst, der sich vor allem Unerlaubte Fragmente erlaubte“ (Zill).
Beim Diskurs-Brunch im Rahmen der Blumenbergtage im Innenhof vor dem Minoritensaal geht KULTUM-Diskurskurator Florian Traussnig solchen Blumenberg'schen Ab- und Umwegen nach, springt in den Text-Ozean und taucht zum biografischen Urgrund. Seine Gäste sind der Philosoph und Blumenberg-Biograf Rüdiger Zill, der dem Münsteraner Intellektuellen sowie dessen erlebten oder erlesenen – und mitunter mythisch überhöhten – Anekdoten sein halbes Forscherleben gewidmet hat, und die Germanistin Aglaia Kister, die dem „Zusammenprall zwischen Theorie und Lebenswelt“ ein erkenntnisreiches Momentum zuschreibt: „Hans Blumenberg erscheint mir nicht nur als großer Philosoph und Metaphorologe“, so Kister, „sondern auch als einer der tiefgründigsten Theoretiker der Schusseligkeit. Auf eindrucksvolle Weise gelingt es ihm, aus der Anekdote über den stolpernden Thales von Milet eine ganze ‚Urgeschichte der Theorie‘ und nebenbei noch eine Grundsatzreflexion über das Funktionieren von Komik zu entfalten.“ Diese „faszinierende Arbeit am Lapsus“ ist wohl kein intellektueller Nebenschauplatz, sondern wie die Philosophie als Ganzes „Arbeit mit Handwerkszeug“, so Zill. Wie weit lebensweltliches und geistiges Handwerk miteinander verzahnt, wie weit Mythen und Missgeschicke verwoben sind, und wie weit dieses produktive Spannungsfeld in Blumenberg’sche Denkbewegungen und unseren kulturellen Erfahrungshorizont als Ganzes eingeschrieben ist, werden wir von unseren Gästen erfragen. Wir freuen uns auf Sie!
Florian Traussnig