HIMMELSCHWER. Transformationen der Schwerkraft
Graz - Gratia Plena! So beschrieb der berühmte Barockprediger Abraham a Santa Clara diese Stadt. Kunst und Religion haben hier eine einzigartige Tradition. "HIMMELSCHWER" - das war ein Netz von Ausstellungen, das sich vom Turm des Mausoleums bis zum Landesmuseum Joanneum spannte und eine neue Konfrontation alter und moderner Bildkonzepte inszenierte. Nach Graz wanderte die imposante Schau im Sommer 2003 in die dänische Kunsthalle Brandts Klaedefabrik Odense.
Die Kunst der Gegenwart zeigt die Erfahrung der Schwerkraft und ihrer Aufhebung auf vielfältige Weise. Sie bringt sie nicht allein zur Darstellung, die Werke sind selbst wesentlich von der Schwerkraft bestimmt und sie deuten sie aus. Schwerkraft und die verschiedenen Formen des Widerstands gegen sie sind seit jeher ein zentrales Thema abendländischer religiöser Kunst. Irdische Schwere wie die Versuche ihrer Aufhebung in religiösen Bildfindungen, besonders im Barock, sind der Ausgangspunkt für die Suche nach ihrem Weiterleben, ihrer Bestreitung oder ihrer Transformation bis heute. Die unmittelbare Zusammenführung aus völlig unterschiedlichen Epochen lässt die vertrauten historischen wie auch die modernen Bildschöpfungen in völlig neuem Licht erscheinen.
"HIMMELSCHWER" war mehr als eine Ausstellung. Hier wurde alte und neue Kunst zu einem spannungsreichen Dialog versammelt. Albrecht Dürer und Richard Serra, Gianlorenzo Bernini und Antony Gormley, Fra Angelico und Sooja Kim, Philipp Otto Runge und Roman Signer, Dara Freedman und Moholy-Nagy sind einige der 150 KünstlerInnen, die mit ihren Werken in überraschenden Konstellationen zu sehen waren. Die Leihgaben kamen aus ganz Europa, u. a. aus den Vatikanischen Museen.
Maßgebliche Vorstellungen der Erfahrungen der Erdenschwere, die das Christentum für das europäische Bildgedächtnis geleistet hat, wie etwa Auferstehung, Himmelfahrt, aber auch Sündenfall oder Engelsturz, waren Leitmotive der Ausstellung: Was ist aus diesen religiösen Szenarien geworden? Die Vorstellungen davon bildeten den Ausgangspunkt für vier Bereiche, die in einer exemplarischen Werkauswahl unterschiedliche Erfahrungen mit der Schwerkraft ins Bild setzten: Schwere und Levitation, Aufstieg und Anziehung, Balance und Schweben, Rotation und Sturz. Ort dieser "Versuchsanordnungen" war das Landesmuseum Joanneum, das sich in der Mitte eines Weges von Ausstellungen und künstlerischen Interventionen vom Grazer Kalvarienberg bis hinauf zur "Grazer Stadtkrone" (rund um den Dom) erstreckte. Installationen in Kapellen am Grazer Dom (Friedrichskapelle und Romualdkapelle), im Mausoleumsturm, im ehemaligen Jesuitenkollegium/Priesterseminar, in der Kirche St. Andrä, am Grazer Kalvarienberg und im Kulturzentrum bei den Minoriten gingen auf künstlerischer Ebene Konfrontationen mit der religiösen Geschichte ein und stießen damit auf eine so große Resonanz seitens des Publikums, dass beispielsweise Gormleys beeindruckende Inszenierung des Hofes des Priesterseminars verlängert wurde.
"HIMMELSCHWER. Transformationen der Schwerkraft" wurde vom Kulturzentrum bei den Minoriten unter Johannes Rauchenberger konzipiert und mit den Kuratoren Eleonora Louis und Alois Kölbl sowie einem internationalen Wissenschaftsteam (Wissensch. Leitung: Reinhard Hoeps) realisiert. Das zu diesem Projekt erschienene Katalogbuch versammelt Essays von prominenten Fachleuten aus den Bereichen Kunst, Bildtheologie, Philosophie, Kulturwissenschaft und Physik.
Ein Literaturfestival am Himmelfahrtstag 2003 (Leitung: Birgit Pölzl) fragte, was Himmel ist, was Himmel sein könnte. Zeitgenössische AutorInnen,
u. a. Friederike Mayröcker, Karl Markus Gauß, Birgit Kempker, Egon Leitner, Szofia Balla, Arnold Stadler und Istvan Eörsi wurden eingeladen, zu diesem Thema Texte zu verfassen, die sie selbst vortrugen. Anschließend verhandelte ein Symposium zum Thema "Himmel 2003" in unterschiedlichen kulturphilosophischen Positionen den religionsgeschichtlichen Standort des Himmels (u. a. mit Alex Stock, Peter Strasser, Thomas Macho, Gerhard Larcher).
Gravitation ist auch ein Achsenbegriff für zeitgenössische KomponistInnen: Im Jahr 2003 vergab die Sparte "Neue Musik" (Leitung: Florian Geßler) im Kulturzentrum Kompositionsaufträge an junge aufstrebende KomponistInnen, die an Orten der Ausstellung uraufgeführt wurden. Auch weitere am Kulturzentrum vertretene Sparten - Tanztheater und Performance (Editta Braun, Holly Zausner) sowie Theater - reagierten auf die Ausstellung.